Morales gibt Gas
3. Mai 2006An starke Rhetorik der Politiker zum Tag der Arbeit dürften sich transnationale Konzerne längst gewöhnt haben. Zu gut wissen sie, dass das beim Volk populäre Donnerwetter gegen das internationale Kapital und die "Ausbeutung" durch die Großkonzerne spätestens am Tag danach wieder verzogen ist – konkrete Maßnahmen: Fehlanzeige. Entsprechend kalt erwischte die Ölmultis die sehr konkrete Neuigkeit, die Boliviens Präsident Evo Morales am 1. Mai zu verkünden hatte.
Ausländische Firmen dürfen ihre Gas- und Ölförderung in dem Land nur noch über die staatliche Gesellschaft YPFB abwickeln, mit der sie neue Konzessionen aushandeln müssen. Für die Umstellung haben sie sechs Monate Zeit. Andernfalls müssen sie das Land verlassen. Ein entsprechendes Dekret ist von Präsident Morales unterzeichnet worden. Nach Angaben des Vizepräsidenten Alvaro Garcia Linera sind Soldaten und Ingenieure bereits in 56 Anlagen landesweit entsandt worden.
Konzerne warten ab
Zwar wurde die Verstaatlichung der Öl- und Gasförderung in dem Land bereits seit längerem diskutiert. Doch es habe keine Hinweise darauf gegeben, dass die Maßnahme so hart ausfallen würde, so José Sergio Gabrielli, der Präsident der staatlichen brasilianischen Firma Petrobras, die knapp 45 Prozent der bolivianischen Gasproduktion kontrolliert. Die brasilianische Regierung sei "mit heruntergelassenen Hosen erwischt worden", wird ein enger Berater des brasilianischen Präsidenten Luis Inacio Lula da Silva in der brasilianischen Presse zitiert.
Die betroffenen Firmen halten sich bedeckt. Petrobras müsse seine Situation in Bolivien "genau analysieren", der spanisch-argentinische Konzern Repsol YPF will die "weitere Entwicklung abwarten" und auch British Petroleum ist gegenwärtig noch dabei, "die Situation zu bewerten". Ob sich an dieser Haltung in den nächsten Tagen oder Wochen grundsätzlich etwas ändern wird, ist fraglich. Denn auf die traditionellen Schutzpatrone können sich die Ölmultis nicht mehr verlassen.
Wenig Gegenwind aus Washington
In Zeiten des Kalten Krieges reichte zuweilen bereits die Ankündigung lateinamerikanischer Länder, ausländische Konzernaktivitäten zu beschränken, um in Washington allergische Reaktionen auszulösen. Dort wähnte man in den angekündigten Plänen nicht selten den Einfall des Kommunismus. Die betroffenen Regierungen hatten in der Folge den heftigen Gegenwind der USA zu spüren bekommen, und die Pläne wurden ad acta gelegt.
Damit ist heute nicht mehr zu rechnen. Die USA hätten vielmehr "keine Ahnung, wie sie mit der Situation umgehen sollen", sagt Bert Hoffmann vom Institut für Ibero-Amerikakunde in Hamburg. Das habe sich bereits in Venezuela gezeigt. Die Verstaatlichung von Ölfeldern dort sei ohne Konsequenz geblieben.
Möglich auch, dass die USA vor dem Hintergrund von Ölpreisen in Rekordhöhe, jede eigene Aktion verhindern wollen, um die internationalen Energiemärkte nicht weiter zu destabilisieren.
Wirksame Sanktionen fraglich
Auch Wirtschaftssanktionen laufen ins Leere. Experten bescheinigen Bolivien Fortschritte bei der Entschuldung. Das Land ist auf keine nennenswerten Finanzspritzen angewiesen und kann deshalb kaum unter Druck gesetzt werden. Dennoch werde Bolivien nun verstärkt ausländische Hilfe benötigen, damit dessen staatliche Firma YPBF die höheren Kapazitäten schultern kann, die im Zuge der Verstaatlichung auf sie zukommen werden, so Hoffmann. "Das nötige Geld und das technische Know-How erhält das Land jedoch aus seiner Allianz mit Venezuela."
Die rechtliche Position der Ölgesellschaften ist ebenfalls eher schwach. "Oftmals fehlen entsprechende Klauseln in den Verträgen, die sie mit den betreffenden Ländern abgeschlossen haben", sagt Enno Harks, Energieexperte von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Auch sei fraglich, ob Bolivien die internationalen Verträge unterzeichnet habe, die jetzt für eine Streitschlichtung herangezogen werden könnten.
Morales' Schritt: Anpassung an Weltmarkt
Vieles spricht dafür, dass die Unternehmen die neuen Bedingungen letztlich akzeptieren werden. Denn auch sie wissen: Die staatlich verordnete Neuverhandlung der Konzessionen stellt keine außergewöhnlich große Einschränkung ihrer Rechte dar. Vielmehr ist es eine Einschränkung der außergewöhnlich guten Bedingungen, zu denen sie bislang die Konzessionen erhalten hatten. Diese waren Teil von Verträgen, die vorhergehende Regierungen "nicht immer zu 100 Prozent im Sinne des eigenen Landes abgeschlossen hatten", so Harks. Zu einer Prinzipiendebatte über das Für und Wider von Morales' "Vertragsbruch", wie die Verstaatlichungspläne von einigen Beobachtern gesehen werden, eignet sich der Fall Bolivien daher kaum.
Nach den Plänen der Morales-Regierung sollen ausländische Förderkonzerne zunächst nur 18 Prozent ihrer Fördererlöse mitnehmen dürfen – bislang waren es bis zu 50 Prozent. Auf internationaler Ebene kein dramatischer Einschnitt: "In Norwegen erhalten die Konzerne auch nur 20 Prozent – der Rest geht an den norwegischen Staat", erläutert Harks. Damit hat die Forderung der Morales-Regierung weniger den Charakter einer dramatischen Einschränkung, als vielmehr den einer Anpassung an die Förderbedingungen in den Industrieländern.
Verstaatlichung "sinnvoll"
"Und selbst der neue Satz von 18 Prozent wird nur für die beiden größten Gasfelder Boliviens angesetzt", sagt Manfred Wiebelt vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Die Trauer versüßen werden den Konzernen auch die hohen Weltmarktpreise und die extrem hohe Rentabilität des Sektors in Bolivien: "Für jeden investierten Dollar macht ein Unternehmen gegenwärtig etwa 10 Dollar Gewinn", erläutert Wiebelt.
Seiner Ansicht nach ist die Politik von Evo Morales nicht nur nachvollziehbar, sondern auch sinnvoll. Der Energiesektor habe nur geringe direkte Auswirkungen auf den Rest der bolivianischen Wirtschaft. "Weder werden ausreichend lokale Arbeitsplätze geschaffen, noch entsteht dadurch Einkommen in anderen Sektoren der Wirtschaft." Der Abschöpfung von Gas- und Ölerlösen komme damit eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung der Armut in dem Land zu. "Sollte es Morales gelingen, einen Großteil der – nach der Verstaatlichung wahrscheinlich höheren – Staatseinnahmen aus dem Öl- und Gassektor in Ausbildung, Gesundheitsversorgung und soziale Programme zu investieren, könnte die Armut in Bolivien wesentlich verringert werden", so Wiebelt.
Internationale Auswirkungen begrenzt
Obwohl Bolivien nach Venezuela der zweitgrößte Erdgasproduzent Südamerikas ist, machen die Reserven des Landes lediglich ein halbes Prozent der weltweiten Vorkommen aus. Das sei zu gering, als dass sich die Verstaatlichung der Förderung in Bolivien auf den Weltmarkt auswirken könnte, schätzt Wiebelt.
"Wenn ausländische Investoren Angst haben müssen, ihr eingesetztes Kapital zu verlieren, wird die Investitionstätigkeit in Zukunft sinken", sagt Enno Harks. Doch die Fähigkeit der Bolivianer mit einem nun wachsenden Finanzpolster selbst zu investieren, könnte die Folgen des mangelnden Investorenvertrauens zumindest im Energiesektor abschwächen helfen.
Morales' Schritt könne das Vertrauen von Investoren sogar stärken, sagt dagegen Manfred Wiebelt. "Diese sind daran interessiert, dass in Bolivien langfristig Stabilität entsteht." Proteste der Bevölkerung gegen den "Ausverkauf " der Bodenschätze des Landes hatten seit 2003 bereits zwei Vorgängerregierungen aus dem Amt befördert. Evo Morales könnte es besser machen.