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Politik

Morias afrikanisches Viertel

Marianna Karakoulaki | Dimitris Tosidis
25. September 2016

Das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos hat ein Feuer teilweise zerstört. Doch die Menschen aus Afrika leiden noch unter anderen Missständen. Von Lesbos Marianna Karakoulaki und Dimitris Tosidis.

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Griechenland Afrikanische Flüchtlinge auf Lesbos
Bild: DW/T. Tosidis

Im Vergleich zu Flüchtlingslagern auf dem griechischen Festland sieht es erschreckend aus: Ein dreifacher Zaun, überall Stacheldraht und rund um die Uhr Militär, Polizei und Sondereinsatzkommandos. Das Lager Moria auf Lesbos wirkt wie ein Freiluftgefängnis mit Tausenden von Insassen. Medienvertreter dürfen das Lager nur eingeschränkt besuchen.

An der Rückseite allerdings zeigt sich das Camp anders. Der Zaun ist löchrig, alle paar Meter findet sich ein Durchschlupf. Durch diese Öffnungen klettern die Flüchtlinge, wenn sie einen Spaziergang durch die umliegenden Olivenhaine unternehmen oder sich an einem der Imbissstände in der Nähe stärken wollen. Einige der in diesem Teil des Lagers lebenden Flüchtlinge bezeichnen es als ihr afrikanisches Viertel.

Eine hygienische Katastrophe

"Hier ist ganz Afrika - aus Ghana, Somalia, Eritrea, Nigeria", sagt ein junger Nigerianer, der sich Wafor nennt. Wie alle Gesprächspartner auch, möchte er seinen richtigen Namen nicht nennen. "Wir hängen hier zusammen rum. Aber der Ort ist schrecklich - geradezu ein Gefängnis. Die hygienischen Umstände sind fürchterlich. Wir haben kein Wasser zum Duschen. Als Klo benutzen wir manchmal das benachbarte Feld, denn Gestank und Hygiene in den Toilettenhäusern sind unerträglich."

Griechenland Afrikanische Flüchtlinge auf Lesbos
Waschtag: Viele Bewohner schimpfen über die schlechte hygienische SituationBild: DW/T. Tosidis

Nach dem Feuer vor rund einer Woche, das Teile des Lagers zerstört hat, ist der Frust unter den Flüchtlingen mit Händen zu greifen. Gedrückte Stimmung herrscht allerdings schon seit Monaten. Die meisten der afrikanischen Flüchtlinge klagen im Gespräch mit der DW über schlechte Behandlung durch die Asylbehörden. Sie haben den Eindruck, ihre Asylanträge würden nicht ernsthaft bearbeitet. Die Behörden räumten den Flüchtlingen aus dem Nahen Osten höhere Priorität ein, meinen sie.

Sexuelle Orientierung als Fluchtgrund

Dabei flohen die meisten von ihnen ebenfalls vor einer akuten Bedrohung in ihrer Heimat. Michael aus Kamerun etwa. Der großgewachsene, sportliche wirkende 24-Jährige wirkt reserviert und besorgt. Den Behörden dürfte er als Wirtschaftsflüchtling gelten, denn weder befindet sich Kamerun im Krieg noch gilt das Land als gescheiterter Staat. Trotzdem wäre eine Rückkehr für Michael lebensgefährlich.

Als Student engagierte sich in einer Menschenrechtsorganisation für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender. "Ich musste Kamerun wegen meiner sexuellen Orientierung verlassen. Wenn ich jetzt zurückkehre, bin ich so gut wie tot. Ich brauche nur Schutz, mehr nicht. Mir ist egal, in welchem Land ich lebe, ich möchte nur nicht wieder nach Kamerun. Dort wäre ich so gut wie tot", sagt Michael der DW. Homosexualität ist in Kamerun seit einem Präsidentendekret aus dem Jahr 1972 illegal.

Griechenland Afrikanische Flüchtlinge auf Lesbos
Keine Fotos bitte: Nicht alle Flüchtlinge wollen fotografiert werdenBild: DW/T. Tosidis

"Griechenland kann Flüchtlinge aus Kamerun nicht zurückschicken. Das ist sehr gefährlich", sagt Barbara Harrel-Bond, Anthropologin und Gründerin des Studienzentrums für Flüchtlingsfragen an der Universität Oxford, gegenüber der DW. "Wenn ein Flüchtling aus Kamerun am Flughafen aufgegriffen wird, muss er mit Haft, Verfolgung und Folter rechnen. Homosexuelle haben überhaupt keine Chance."

Ein Gefühl von Gefangenschaft 

Michael hat den Eindruck, die Asylbehörden interessierten sich kaum für seinen Fall. "Sie haben mich nach meinem Namen, Alter und Herkunftsland gefragt, ob ich zu einem Stamm gehöre und weshalb ich aus meinem Land geflohen sei. Außerdem wollten sie wissen, welche Sprachen ich spreche. Sie notierten meinen Fluchtgrund und gaben mir einen Termin für den 20. September", berichtet er. Als er an jenem Tag erschien, erklärte man ihm, der Termin sei auf Ende Oktober verlegt worden. Zur Begründung hieß es, das System arbeite langsam.

"Wir sind keine Bürger, wir sind Flüchtlinge. Aber eigentlich sind wir noch nicht einmal das. In Moria sind wir Gefangene", sagen Omar aus Somalia und Walaa aus Eritrea. Beide flohen aus ihren Ländern, um eine bessere Zukunft zu finden. Walaa landete in Israel und wurde von dort ohne korrekte Papiere nach Uganda abgeschoben. Er verließ das Land schnell wieder.

Somalia befindet sich seit Jahrzehnten im Krieg und wurde als erstes Land als "gescheiterter Staat" definiert. Eritrea hingegen gilt als Diktatur. Hunderttausende seiner Bürger sind in den vergangenen Jahren ins Ausland geflohen. Alle eritreischen Flüchtlinge, mit denen die DW sprach, erklärten, sie seien wegen des Militärdienstes geflüchtet. "Sobald du 18 bist, musst du zur Armee gehen. Aber der Dienst dort endet nie. Man wird 80, bevor man da wieder rauskommt", sagt Walaa.

Griechenland Flüchtlings-Chaos auf Lesbos
Im Abseits: Flüchtling auf Lesbos Bild: DW/D. Tosidis

Das System versagt

Omar will am Anfang kaum sprechen, doch dann zeigt sich, dass er der optimistischste unter den jungen Männern ist. Seit zwei Monaten lebt er in Moria, ist aber überzeugt, das Lager irgendwann verlassen zu können. Er ist dankbar, auf der Flucht nicht gestorben zu sein. Aufgeben will er nicht: "Ich glaube an Gott. Aber ich glaube nicht, dass er auf die Erde kommt, um mich zu retten. Ich muss mich selbst retten. Das ist auch der Grund, warum ich mein Land verlassen habe."

Die Situation auf Lesbos ist nahezu unhaltbar. Das EU-Türkei-Abkommen hat die Insel in das Gefängnis eines versagenden Systems verwandelt. Das Asylverfahren ist langsam und viele Flüchtlinge glauben, dass sie je nach Herkunftsland unterschiedlich behandelt werden.

"Ein wesentliches Problem ist, dass diejenigen, die die Asylanträge bearbeiten, das Asylrecht nicht kennen und auch nicht wissen, wie sie die Menschen befragen sollen", so Barbara Harrel-Bond. "Und die Flüchtlinge selber kennen ihre Rechte auch kaum. Das ist eine unmögliche Situation."