Mottenlarve verdaut Plastik
24. April 2017Federica Bertocchini hat sowohl einen spannenden Beruf, als auch ein liebenswertes Hobby: Sie forscht als Evolutionsbiologin amInstitut für Biomedizin und Biotechnologie im spanischen Cantabria und imkert in ihrer Freizeit.
Durch einen Zufall konnte sie nun ihre Leidenschaft für Bienen mit ihrer Forschungsarbeit zusammenbringen. Und dabei heraus kommt möglicherweise eine Lösung für das Problem des Plastikmülls. Das Forscherteam um Bertocchini hat die Ergebnisse am 24. April 2017 im Fachjournal Current Biology veröffentlicht.
Parasit im Bienenstock
Nicht nur Federica Bertocchini liebt ihre Bienenstöcke, auch die Wachsmotte Galleria mellonella hat eine Vorliebe für sie - genaugenommen für die Bienenwaben. Dort legen die Motten ihre Eier ab, die dann als Larven schlüpfen und sechs bis sieben Wochen brauchen, um sich zu verpuppen und als Schmetterling zu schlüpfen.
Eines Tages entfernte die Hobbyimkerin die unerwünschten Larven des Parasiten aus einem Bienenkasten und verpackte sie in einer Plastiktüte aus Polyethylen, um sie wegzuwerfen. Doch innerhalb kurzer Zeit hatten sich die Larven durch die Tüte einen Ausweg gefressen.
Das ist nicht ganz neu. Schon lange ist bekannt, dass sich Wachsmottenlarven durch Plastiktüten hindurch fressen können. In einschlägigen Foren von Terrarien-Besitzern oder auch Imkern finden sich zahlreiche Berichte darüber. Wachsmotten sind ein beliebtes Futtermittel für Reptilien und auch bei Anglern als Köder beliebt.
Nur Fressen oder auch verdauen?
Unklar war aber bisher, ob die Mottenlarven das Plastik einfach nur fressen und später als Mikroplastik wieder ausscheiden oder ob sie in der Lage sind, es auch zu verdauen und tatsächlich abzubauen.
So weiß man etwa von der Kleidermotte, dass sie neben reiner Wolle auch gerne Pullover aus Mischgewebe zerfrisst. Dabei verdaut die Motte aber nur die Wollbestandteile des Gewebes. Die Kunststofffasern scheidet die Kleidermotte wieder aus, und zwar als Mikroplastik.
Die Biologin Bertocchini wollte es jedenfalls genau wissen. Durch spektroskopische Analysen konnte sie herausfinden, dass es bei der Wachsmotte anders ist als bei der Kleidermotte. Sie hinterlässt offenbar kein Mikroplastik sondern wandelt das Polyethylen chemisch in Ethylenglycol um. Das ist ein kurzes Molekül, ein Monomer - also kein Plastik, Kunststoff dagegen besteht aus langkettigen Polymeren.
Zeitversuch im Labor
In Kooperation mit den Kollegen Paolo Bombelli und Christopher Howe führte Bertocchini daraufhin in biochemischen Labors der University of Cambridge ein Experiment durch. Die Forscher setzten etwa 100 Mottenlarven auf eine handelsübliche Plastiktüte aus einem Supermarkt in Großbritannien.
Bereits nach 40 Minuten zeigten sich erste Löcher in der Tüte. Nach zwölf Stunden hatten die Larven 92 Milligramm Plastik aufgefressen. Diese Abbaugeschwindigkeit sei extrem hoch, sagt Bertocchini.
Auch Bienenwachs ist ein Polymer
Sie vermutet, dass die Wachsmotten über ein bestimmtes Enzym verfügen, welches Verbindungen aufbricht, die sowohl im Bienenwachs als auch im Plastik vorkommen. "Wachs ist ein Polymer, quasi ein 'natürliches Plastik' und hat eine Struktur, die der von Polyethylen ähnelt", sagt sie.
Die Vermutung, dass beide Polymere ähnliche Verbindungen besitzen, sieht sie auch durch ein weiteres Experiment untermauert: Die Forscher nahmen einige der Wachsmottenlarven, zermatschten sie und trugen die Masse direkt auf eine Plastiktüte auf. Auch dabei entstanden Löcher in der Tüte.
Nun geht es den Forschern darum, dieses Enzym zu identifizieren. Falls es sich im industriellen Maßstab nachbauen lässt, könnte man es nutzen, um Plastiktüten umweltfreundlich zu entsorgen oder um Plastik auf bestehenden Müllhalden abzubauen, indem man das Enzym direkt ausbringt.
Eine ähnliche Beobachtung machten vor einigen Jahren chinesische Wissenschaftler mit derDörrobst- beziehungsweise Hausmotte. Auch deren Larven fressen sich durch Plastik, auch sie verdauen das eigentlich unverwüstliche Polyethylen. Jedoch mit Hilfe von Bakterien. Und das soll sehr viel länger dauern als das gefräßige Plastikfressen der Wachsmotten, die offenbar Enzyme verwenden. Jetzt gilt es herauszufinden, welche potenten Enzyme das sind.