Kehrwoche am Mount Everest
20. Februar 2019Deepak Baijal bereitet sich seit vier Monaten auf diesen Moment vor. In seinem Haus in Jaipur, Westindien, legt er sich Seile, Gurte und alles, was er als Bergsteiger braucht, zurecht.
Um den höchsten Gipfel der Welt unbeschadet zu erklimmen, ist Sorgfalt geboten, selbst für einen erfahrenen Kletterer wie Baijal. Über das Basislager des Mount Everest ist er bislang noch nicht hinaus gekommen. Und der Berg ist tückisch. Fast 300 Menschen sind im Laufe der Jahre an seinen Steilwänden ums Leben gekommen. Doch Baijal ist fest entschlossen, er will hinauf.
"Ich liebe den Everest", sagt er, "den Gott der Berge, für seine Schönheit, die Stimmung, die er bei mir auslöst, für seine mystische Ausstrahlung." Aber, ergänzt er, er habe Sorge, dass der majestätische Berg zur höchsten Müllkippe der Welt wird.
Denn der tiefe Respekt, den Baijal für den berühmtesten Berg der Welt empfindet, wird nicht von allen geteilt, die ihn besteigen wollen. Je größer die Zahl der Abenteurer und ihrer Führer wird, die den Gipfel erreichen, desto mehr Müll bleibt auch liegen. Und mehr Menschen als im Jahr 2018 hat der Berg in seiner Geschichte noch nicht gesehen. Immerhin 800 Bergsteiger haben den Gipfel erreicht.
"Dass immer mehr Leute auf den Berg wollen, bedeutet, dass der Berg so eine Art Ausflugsziel für Hobby-Bergsteiger wird und weniger für wirklich professionelle Kletterer", sagt Baijal.
Und das sieht man. Die Weite aus Schnee und Eis ist übersät mit verwaisten Zelten und leeren Sauerstoffflaschen, Kletterwerkzeugen und Nahrungsmittelverpackungen. Nicht zu vergessen, die Ausscheidungen der fast 5000 Erben von Edmund Hillary und Tenzing Norgay, die seit 1953 versucht haben, die 8848 Meter bis zur Spitze zu überwinden.
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Die Lage ist dramatisch. Inzwischen ist auch die nepalesische Regierung alarmiert. Und das Problem ist grenzüberschreitend, denn auch auf der tibetischen Seite gibt es ein Base Camp und das lässt sich sogar bequem mit dem Auto erreichen. Entsprechend stark sind in den vergangenen Jahren die Besucherzahlen in die Höhe geschossen. Dadurch kam so viel Müll in die Berge, dass die chinesische Regierung jetzt zu einer drastischen Maßnahmen gegriffen hat: Seit vergangener Woche dürfen keine Touristen mehr zum Base Camp, nur noch Bergsteiger mit Genehmigung.
Aufräumarbeiten
Dawa Steven ist ein Sherpa und Unternehmer aus Nepal. Er leitet das Unternehmen Asian Trekking und hat mehr als 150 Kletterer aus 18 Ländern auf den richtigen Weg zum Gipfel gebracht.
Als er selbst das erste Mal auf dem Dach der Welt stand, im Jahr 2007 war das, war der Müll schon da. Steven war so beeindruckt von dem Bild, das sich ihm bot, dass er sich sofort daran machte, die erste "Eco Everest Expedition" zu organisieren. Deren einziges Ziel war es, den Müll von den Hängen zu sammeln.
"18.800 Kilogramm sind inzwischen zusammengekommen", sagt der 35-Jährige.
Die Regierung in Nepal drängt Reiseveranstalter nun verstärkt dazu, Müll zu vermeiden, etwa durch die Einführung eines Pfandsystems. Expeditionen in die Berge müssen eine Kaution von rund 4420 Euro hinterlegen - Geld, das sie zurückerhalten, sobald ein Regierungsbeamter bestätigt hat, dass die Expedition "sauber" war.
Von jedem Kletterer wird erwartet, dass er mindestens acht Kilogramm Müll wieder von seiner Reise mitbringt. Aber wirklich durchgesetzt werde das nicht, sagt Dawa Steven. Er selbst zahlt deshalb jedem seiner Kunden etwa 100 Rupien (0,77 Euro) pro Kilo Müll, das dieser mit zurückbringt. So, hofft er, werden sie motiviert, das Gesetz auch tatsächlich zu befolgen.
Ausscheidungen im Trinkwasser
Darüber hinaus hat er auch eine Lösung für ein allzu menschliches Abfallproblem ausgedacht. Sogenannte "poop bags", in denen menschliche Ausscheidungen von Chemikalien zersetzt werden, tragen die Namen ihrer Besitzer. Diese sind verpflichtet, sie bei ihrer Rückkehr vom Everest wieder abzugeben.
Würden diese Exkremente in der Natur zurückgelassen, wären sie ein gewaltiges Problem. Dabei geht es um viel mehr als die Gefahr, vielleicht auf einen Haufen zu treten. Diese Art Abfall kann die Gletscher verunreinigen und damit auch das Trinkwasser, sagt Love Raj Singh. Er muss es wissen. Singh ist ein Kletterprofi, der erste Inder, der den Gott der Berge sieben Mal bestiegen hat.
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Das wäre eine Gefahr für die Menschen in der Region und für die Bergsteiger selbst, die Schnee schmelzen, um ihn zu trinken, so Singh.
Unter dem Eis lauern auch bedrückende Überraschungen
Der Mensch ist allerdings nicht die einzige Herausforderung für die Berge. Der Klimawandel hinterlässt Spuren. Höhere Temperaturen lassen das Eis der Gletscher schmelzen und legen so Zeugen aus der Zeit frei, in der die ersten Menschen sich in die Berge gewagt haben - die Leichen derer, die bei Aufstieg umkamen.
Bis heute hatte die extreme Kälte ihre Überreste konserviert. Nun tauchen sie wieder auf. Sie zu bergen ist eine gewaltige und gefährliche Aufgabe, sagt Dawa. Er und sein Team haben inzwischen fünf Leichen vom Berghang geholt.
"Wir haben keine Ahnung, was noch alles unter dem Eis ist" sagt Dawa. "Die Gletscher bewegen sich und nachdem wir in einem Jahr aufgeräumt haben, taucht an anderer Stelle im nächsten Jahr neuer Abfall auf. Wir können nicht sagen, wie viel Müll dort tatsächlich liegt."
Ein neuer Bericht, der sich mit dem Hindukusch und dem Himalaya beschäftigt, kommt zu dem Ergebnis, dass die Gletscher auf dramatische Weise verschwinden. Sie könnten um zwei Drittel schrumpfen, sollte es nicht gelingen, die vom Menschen verursachten CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren.
Für den Khumbu-Gletscher am Mount Everest hat das International Center for Integrated Mountain Development etwa einen Rückgang von fast 20 Metern pro Jahr gemessen. Deshalb erhöhe sich auch das Lawinenrisiko, heißt es.
Jedes Kilo zählt
"Jeder Bergsteiger wünscht sich so wenig Ballast wie möglich", sagt Love Raj Singh, "dort oben liegt der Sauerstoffgehalt bei 30 Prozent. Da noch Müll zu tragen ist eine echte Aufgabe."
Aber es geht. Singh leitet die "Clean Himalaya, Clean Glaciers" -Kampagne des indischen Grenzschutzteams und widmet sich der Reinigung des Berges. Mit seinem Team hat er im vergangenen Jahr rund 700 Kilogramm Müll aus höheren Lagern ins Basislager gebracht. Auch der Sherpa Dawa Steven sagt, dass er die schwierige und gefährliche Arbeit weitermachen will. "So lange ich in den Bergen unterwegs bin", sagt er, "werde ich sie sauber halten."
Der Everest - 60 Jahre nach der Erstbesteigung