Musik made in Germany
20. Juli 2015DJ Felix Jaehn hat das geschafft, was vor ihm Milli Vanilli vor 26 Jahren gelungen war: Ein in Deutschland produzierter Hit ist in den USA auf Position eins der Charts. Der junge Hamburger DJ nahm sich den Song "Cheerleader" des jamaikanischen Sängers OMI vor und remixte ihn in Richtung Elektropop. Damit schaffte er es weltweit in mehr als 20 Ländern auf Platz Eins. Ein großer Erfolg für den Musiker aus Deutschland. Was "Musik made in Germany" international so erfolgreich macht? Das zeigt ein Blick auf die Exportschlager der letzten 40 Jahre.
Elektronik versus Mainstream
In den 1970er Jahren will in der Welt der Popmusik eigentlich so gar nichts zusammenpassen. In den Charts jener Jahre tummeln sich Disco-Hupfdohlen und Glamrock-Stars neben epischen Rockbands wie Genesis oder Pink Floyd. Der Punk kommt auf, und Künstler wie Abba, Elton John oder Fleetwood Mac sorgen für die Pop-Hits.
Ein paar Musiker aus Deutschland halten dagegen. In Westberlin treffen sich Künstler, die sich vor allem dem elektronischen Sound verschrieben haben. In ihrer Musik loten sie die Möglichkeiten ihrer Synthesizer aus. Eine dieser Gruppen nennt sich Tangerine Dream. Am Schlagzeug sitzt ein gewisser Klaus Schulze, der im Lauf der Zeit sein Interesse für die synthetische Klangerzeugung entdeckt und sich alsbald eigenen Projekten zuwendet. 1972 bringt er sein erstes Album "Irrlicht" heraus und stellt alles bisher Gehörte auf den Kopf. Schulze selber nennt das Werk eine "quadrophonische Symphonie für Orchester und E-Maschinen". Der Rhythmus steht im Hintergrund, hier geht es plötzlich um Klanglandschaften und psychedelische Soundteppiche.
Immer mehr Musiker interessieren sich für diesen Tüftler aus Deutschland. So kommt es zu berühmten Kooperationen, wie etwa mit dem japanischen Elektroniker Stomu Yamashta. Dessen Allstar-Kult-Platte "Go" ist maßgeblich von Schulze mitgeprägt.
Klaus Schulzes Sound ist der Beginn einer neuen Musikära, die sich noch viele Jahre lang weiter entwickeln wird und die Grundlage vieler heutiger elektronischer Musikstile ist - von Ambient bis Trance und Techno. Für viele heutige elektronische Musiker ist Schulze sogar der "Godfather of Techno".
Pioniere des Elektropop
Auch in Düsseldorf machen sich zwei Musiker mit Synthesizern auf die Suche nach neuen musikalischen Ufern. Ralf Hütter und Florian Schneider gründen das Duo Kraftwerk, nehmen ein paar Musiker dazu, machen zwei Alben, die schon für Beachtung sorgen. Den Urknall aber liefern sie mit ihrer dritten Platte ab. Sie heißt "Autobahn", ist rein elektronisch produziert und gilt als das allererste Elektropop-Album überhaupt. Der Erfolg reicht bis in die USA, wo der Titelsong die Billboard-Charts erobert.
Elektronische Musik, wie wir sie heute kennen, ist ohne Kraftwerk nicht vorstellbar, darüber sind sich Musiker wie Musikexperten einig. Und die Liste der Künstler, die sagen, Kraftwerk habe sie inspiriert, ist sehr lang. Dazu zählen David Bowie, Depeche Mode, Duran Duran, Moby und New Order. Bis in die Elektro-Funkszene strahlt die Musik von Kraftwerk. Und natürlich beruft sich auch die Techno-Szene immer wieder auf die zwei Düsseldorfer. Das französische Elektronic-Duo Daft Punk bringt die Idee von Kraftwerk, sich auf der Bühne lieber als "Mensch-Maschinen" denn als leibhaftige Musiker zu präsentieren, bis zur Perfektion.
Indie-Jazz-Rock mit Kölner Wurzeln
Can gründen sich 1968 in Köln. Mit dabei der Stockhausen-Schüler Holger Czuckay am Bass und der Freejazzer Jaki Liebezeit am Schlagzeug. Von Anfang an war klar, dass hier nicht der übliche Rock'n'Roll gespielt wird. Die Musik von Can bricht aus den bisher bekannten Formen aus; es wird improvisiert, Einflüsse aus der Weltmusik werden eingearbeitet, später Geräusche und Elektronik. In Deutschland kommt das nur in der Avantgarde-Szene an: Die Musik von Can ist in der Tat schwer zu vermarkten.
Erst 1975 gibt es einen Plattenvertrag bei einem Major Label. Es soll noch Jahre dauern, bis Musiker aus der ganzen Welt Can als Inspiration entdecken. Indie- und Alternative-Bands wie Portishead, Sonic Youth oder Radiohead nennen die Musik der Kölner als wichtigen Impulsgeber.
Die Erfinder der Power-Ballade
Der Siegeszug der Scorpions beginnt Mitte der 1970er Jahre. Zunächst erobern sie England, werden immer wieder von großen Rockbands wie Kiss oder Uriah Heep als Vorband gebucht. Das Album "Virgin Killer" wird 1976 in Japan vergoldet, worauf es eine ausverkaufte Nippon-Tour gibt. Drei Jahre später probiert es die Band in den USA, spielt bei einem Festival vor 60.000 Menschen – neben AC/DC und Aerosmith. Bei der ersten Scorpions-Welttournee 1982 treten Iron Maiden als Vorband an.
Das Album "Love at first Sting" katapultiert die Band 1984 in den Metal-Himmel. Allein in den USA gibt es dafür Dreifach-Platin, in allen Charts stehen die Scorpions in den Top Ten – und geben Konzerte, zu denen bis zu 400.000 Besucher kommen. Im Vorprogramm spielen Metallica oder Motörhead - mit der Ansage seitens des Managements, sie sollten sich die Auftritte dieser deutschen Band genauestens angucken; dann wüssten sie, wie man auf der Bühne zu performen hat.
Die berühmteste Power-Ballade "Wind of Change" ist zum Soundtrack des Mauerfalls geworden und steht weltweit symbolisch für das Ende des Kalten Krieges.
Teutonisch, martialisch und laut
Auf dem gesamten Globus stehen Rockfans auf die "neue deutsche Härte". Allein in den USA gehen über zwei Millionen Exemplare des Rammstein-Albums "Sehnsucht" über die Ladentische. Zweimal sind sie für den Grammy nominiert, Regisseur David Lynch setzt zwei Songs in seinem Film "Lost Highway" ein.
Für die US-amerikanischen Rockfans sind Rammstein in den 1990ern endlich mal was wirklich Deutsches. Dass sie die Texte nicht verstehen, ist nicht so wichtig. Keyboarder Flake schreibt 2001 in sein Tourtagebuch: "Sie schätzen es, wenn deutsche Bands deutsch klingen – und eben nicht amerikanisch! Praktisch jeder Amerikaner, den wir treffen, sagt erst mal: 'Achtung! Verboten!' – und findet das dann saukomisch." Das US-amerikanische Publikum und letztendlich auch die Medien sind fasziniert vom teutonischen, martialischen Auftreten der Band. Über die Jahre lernen die Amerikaner schließlich auch die Texte und brüllen im Dezember 2010 im ausverkauften Madison Square Garden die Lieder mit.
Blixa Bargeld und Frank Farian
Viele weitere Musiker aus Deutschland gelten als besonders einflussreich und inspirierend. Depeche Mode etwa haben sich intensiv mit dem Sound der Einstürzenden Neubauten – einem eher experimentellen Musikprojekt aus Berlin – beschäftigt. Die Band um den Sänger Blixa Bargeld benutzt mehr Schrott als Instrumente zur Klangerzeugung und prägt den sogenannten Industrial Sound mit.
Frank Farian erobert in den 1970ern mit Boney M. die internationalen Charts. Ende der 80er hat er mit seinem Pop-Duo Milli Vanilli einen weiteren riesigen internationalen Erfolg – sogar einen Grammy gibt es. Bis herauskommt, dass alles Lug und Trug ist: Milli Vanilli haben keinen einzigen Ton selbst gesungen. Daraufhin wird der Grammy wieder aberkannt.
Mehr über die Erfolge deutscher Popmusik gibt's auch im Popxport-Ranking zu sehen.