Muss New Orleans verlegt werden?
5. September 2005Nachdem er einen Aufschrei der Empörung ausgelöst hatte, musste der republikanische Sprecher des Abgeordnetenhauses wieder zurückrudern. "Ich trete nicht dafür ein, dass die Stadt aufgegeben oder verlegt wird", erklärte Dennis Hastert am Donnerstag (1.9.2005). Genau das hatte er in einem Interview jedoch getan. Es mache keinen Sinn, Milliarden Dollar in den Wiederaufbau zu stecken, sagte er: "Es sieht aus als ob ein großer Teil des Ortes planiert werden kann." Die Aussage musste wütende Reaktionen hervorrufen, doch auch amerikanische Katastrophen-Experten schlagen inzwischen vor, die Stadt zu verlegen oder aufzuschütten.
Am falschen Ort
"Eigentlich dürfte an dieser Stelle gar keine Stadt stehen", sagt auch Barbara Hahn, Stadtgeographin an der Universität Würzburg. Zwischen dem riesigen Lake Pontchartain und dem Golf von Mexiko liege New Orleans in einer Ebene, die früher regelmäßig vom Mississippi überschwemmt wurde, mit dem positiven Effekt, dass die Sedimentablagerungen ein Absinken verhinderten. Heute werde die Stadt lediglich durch Dämme und das beständige Abpumpen von Wasser geschützt, erklärt Hahn: "Dadurch sinkt das Land jedes Jahr zwei Zentimeter weiter unter den Meeresspiegel." Verursache in dem Hurrikan-Gebiet dann ein Sturm einen Rückfluss des Wassers aus dem Golf von Mexiko in den Mississippi, könne es leicht zu Überschwemmungen kommen. "Wenn ich das nur als Geographin betrachten würde, müsste ich sagen: Es wäre Wahnsinn, die Stadt noch einmal neu aufzubauen."
"Risiken minimieren"
Doch der Hochwasserschutz sei eben nicht der einzige Aspekt, sagt Axel Bronstert vom Institut für Geoökologie der Uni Potsdam. "New Orleans ist ein Kulturdenkmal", betont der Hochwasser-Experte. "Es wäre das erste Mal in der Geschichte, dass eine Stadt aufgegeben wird." Im Hochwasserschutz gehe es nicht darum, Überschwemmungen zu verhindern, sondern darum, das Risiko zu minimieren. Dazu müsse zum einen die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe vermindert werden, was in New Orleans offenbar versäumt worden sei: "Dass ein Deich durchweicht und dann nachgibt, darf eigentlich gar nicht passieren." Zum anderen gelte es, die Schäden klein zu halten - beispielsweise durch Evakuierungspläne und regelmäßige Übungen. In Zukunft müssten die offenkundigen Mängel in diesen beiden Bereichen behoben werden. Der radikale Vorschlag, die Stadt zu verlegen, blende jedoch alles jenseits des Katastrophenschutzes aus, sagt Bronstert: "Dann dürfte auch Venedig nicht an seinem Standort bleiben."
Wochenlange Überschwemmung
Doch Venedig steht noch, während derzeit keiner weiß, was von New Orleans übrig bleiben wird. Nach der unmittelbaren Katastrophenhilfe und der Reparatur der Dämme wird das erste große Problem beim Wiederaufbau darin bestehen, die Stadt, die wie eine Schüssel mit Wasser voll gelaufen ist, wieder zu trocknen. "Wie lange das dauert, hängt von der Sickerfähigkeit des Untergrundes ab", sagt Hubertus Oelmann, Vorstand der Stadtentwässerungsbetriebe Köln. "Man kann die Versickerung mit Bohrungen beschleunigen." Bevor das Wasser zusätzlich abgepumpt werden kann, muss zunächst die Stromversorgung wiederhergestellt werden. Doch auch dann werde es Wochen dauern, bis kein Wasser mehr in der Stadt stehe, schätzt Oelmann.
Irreparable Schäden
Erst danach wird sich das Ausmaß der Schäden abschätzen lassen. "Die Gebäude werden sich alle so vollgesogen haben, dass sie gar nicht so schnell getrocknet werden können, wie irreparable Schäden entstehen", sagt Martin Pfeiffer, Direktor des Instituts für Bauforschung. Die in der Stadt verbreiteten Holzgebäude nähmen das Wasser auf wie ein Schwamm und dürften verloren sein. Besser sehe es für die alten Steinhäuser im French Quarter und die hohen Stahlskelett-Bauten im neuen New Orleans aus, doch auch hier könnten die Schäden eine Rettung vielfach unmöglich machen, vermutet der Experte für Gebäudeschäden.
Beim Wiederaufbau, der Jahre dauern werde, müsse auf Schutzmaßnahmen geachtet werden, etwa indem Häuser hochwasserbeständig gebaut werden. "Das sind aber aufwändigste Maßnahmen", erklärt Pfeiffer. "Ich kann mir vorstellen, dass es kostengünstiger wäre, die Stadt woanders aufzubauen." Doch das sei undenkbar: "Es kann nicht sein, dass New Orleans, eine der ältesten Traditionsstädte der USA und Geburtsort des Jazz, nicht wieder aufgebaut wird."