Mut zum Experiment: Heiner Goebbels
16. August 2012Heiner Goebbels liebt es, mit Gewohnheiten zu brechen. Dabei greift er durchaus auf unkonventionelle Methoden zurück. Als Jury der Ruhrtriennale, die am Ende des Festivals am 30. September über die Qualität der Stücke entscheiden soll, hat er keine gestandenen Profis eingesetzt, sondern 100 Kinder aus dem Ruhrgebiet: Der Frankfurter Theatermusiker bringt gerne Dinge zusammen, die auf den ersten Blick gar nicht so richtig zusammengehören.
Wie das aussehen kann, zeigt auch die Oper 'Europeras 1+2' von John Cage, mit deren Aufführung Goebbels am 17. August in der Bochumer Jahrhunderthalle eine neue Ära der Ruhrtriennale einläutet. Die Oper des Zufallsmusikers Cage ist ein bisher kaum aufgeführtes Opus Magnum, das gängige Hör- und Sehgewohnheiten auf den Kopf stellt, wie Goebbels betont: "Es passt nichts zusammen bei diesem Stück. Jeder Musiker singt seine eigenen Arien, das Bühnenbild verändert sich ständig. Cage hat dem alten Material den Sinn entzogen als Motivation für das Publikum, die Dinge selbst zusammen zu bringen. Es kann dadurch eine souveränere Haltung erlangen."
Oper als Baustelle
Diese Anti-Oper sei nicht nur eine Herausforderung für die Besucher, sondern auch eine für den Kulturbetrieb selbst. "Sie widerspricht dem institutionalisierten Opernbetrieb, der Arbeitsteilung, hier gibt es kein Orchester im Graben, keinen Dirigenten, sondern es sind selbstständig arbeitende Musiker, die sich durch den Raum bewegen. Wir gucken in die Großbaustelle Oper, es gibt viel zu entdecken und so nähern wir uns der bildenden Kunst mit seinem etwas größeren Freiheitsbegriff an."
Heiner Goebbels Arbeit ist nicht auf eine einfache Formel zu bringen: Er komponiert und inszeniert und beliefert mit eigenwilligen Musiktheaterperformances die großen internationalen Festivals. Auf der ganzen Welt wird seine Arbeit geschätzt. Anfang des Jahres erhielt Goebbels für seine Leistung den Hendrik Ibsen-Preis. Die Begründung: Der 59-jährige Intendant des Kulturfestivals Ruhrtriennale sei "eine der großen kreativen Persönlichkeiten der heutigen Zeit".
Improvisation und Sampling
Natürlich passt die Wahl der Eröffnungsoper sehr gut zu Heiner Goebbels, zu dem Komponisten und zu dem Kulturarbeiter, der aus der linken Szene kommt. In den 1970er und 1980er Jahren trat Heiner Goebbels als Musiker bevorzugt auf Demonstrationen auf. Das begann im 'Sogenannten Linksradikalen Blasorchester' in den 1970er Jahren, setzte sich fort in den Hörstücken, die er zu Texten von Heiner Müller entwarf, und mündete in Klanginstallationen, Musiktheaterstücken, z.B. "Schwarz und Weiß" von 1996, Kompositionen für das Ensemble Modern und vieles andere. Das Improvisieren und das Sampling gehören zu seinen Markenzeichen.
Parallel dazu nimmt der studierte Soziologe, der sich eigentlich nie dauerhaft an Institutionen der Musikindustrie binden wollte, Lehraufträge und administrative Aufgaben wahr - bis zum letzten Jahr als Leiter des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaften an der Uni Gießen oder als Präsident der Theaterakademie Hessen. Trotzdem achtet er stets auf Unabhängigkeit und darauf, dass eigenverantwortlich gearbeitet werde.
Innerhalb eines Stadttheaters könne man keine Berge versetzen, aber "in freieren Arbeitsformen, in denen sich jeder mitverantwortlich fühlt, schon." Darin, so Goebbels, stecke auch eine politische Dimension, dass man nämlich wirklich gemeinsam eine Produktion auf die Beine stelle.
Materialität und Radikalität
Für die jüngsten Produktionen hat Goebbels bei der Ruhrtriennale eine denkbar üppige finanzielle Ausstattung – rund 13 Millionen Euro stehen ihm pro Jahr zur Verfügung für das internationale Fest der Künste im Ruhrgebiet, bei dem Kunst und Kultur mit Industrieanlagen verschmelzen. Goebbels setzt ganz bewusst auf Projekte, die neben dem herkömmlichen Repertoire von Schauspiel und Opernbetrieb aufzeigen, was alles möglich ist. Die Spielorte kommen ihm dabei entgegen, denn die alten Industriehallen, Koksereien und Zechen, eigneten sich gut für Experimente, so Goebbels. "Ich suche einen offenen, ästhetischen Prozess, in dem die Materialität der Hallen nicht nur den Hintergrund bildet, sondern gleichberechtigt mitspielt".
Dementsprechend laufen die Proben schon seit vergangenem Herbst, damit die Hallen nicht nur Abspielraum für eine Idee seien, sondern die Idee durch den Ort entstehen könne. Musik, Tanz, Performance und die Grenzbereiche der bildenden Kunst - das sind die kreativen Ausdrucksmöglichkeiten, die Goebbels interessieren. Er ist dafür ungewöhnliche Partnerschaften eingegangen, z.B. mit dem Museum Folkwang in Essen. Dort bieten unter dem Titel '12 Rooms' renommierte Künstler, Performer, Tänzer, Zeitgenossen direkte Erfahrungen, die man sonst im Theater nicht machen könne. Oder bei der Installation 'Pulse Park', bei dem die Besucher nach dem Kunstgenuss ihren Puls messen und in eine Lichtinstallation umwandeln lassen können.
Was am Ende wirklich dabei herauskommt, davon lässt sich Goebbels, der 60 Jahre alt wird am Eröffnungstag der Ruhrtriennale, genauso überraschen, wie alle anderen auch. Und eine Vision hat er für seinen dreijährigen Vertrag genauso wenig, wie ein Thema. Schließlich, so schmunzelt er: "Menschen mit Visionen sind hoch gefährlich".