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Kalkuttas Gewissen

Cosima Gill1. September 2016

In ihrer Wahlheimat, der indischen Metropole Kalkuttas, war Mutter Teresa längst eine Heilige. Die Kanonisation nutzt Indien, um sich an sie und ihre Taten zu erinnern.

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Mutter Teresa (Foto:AFP/Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/M. Munir

Als junger Journalist brachte Jamil Saagar sein Motorrad an einem Sonntagmorgen in eine Werkstatt. Schon damals hatte er viel über Mutter Teresa berichtet und wollte sie schon immer persönlich kennenlernen. Das war 1995. Völlig unverhofft erfüllte sich sein Wunsch. Auf einmal stand Mutter Teresa direkt neben der Motorradwerkstatt, umringt von einer großen Frauengruppe in blauweißen Saris. "In diesem Moment wollte ich nur ihren Segen", erinnert sich der Journalist. Er warf seine Zigarette weg, ging schüchtern auf sie zu und berührte den Boden vor ihren Füßen. "Als ihre Hand meine Stirn berührt hat, war ich sehr nervös. Bis heute erinnere ich mich an ihr herzliches Lächeln", so Saagar im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Von dieser besonderen Ausstrahlung sprechen viele Menschen in Kalkutta (heute Kolkata), die die Ordensschwester persönlich kennenlernen durften. Manche nennen sie "das Gewissen Kolkatas". Hier kümmerte sich Mutter Teresa jahrzehntelang um die ärmsten Menschen, versorgte sie mit Essen und pflegte schwer kranke Menschen. Darin sah sie ihre Berufung und gründete 1950 den Orden "Missionarinnen der Nächstenliebe". Allein in Kalkutta betreuen die Nonnen heute noch 19 Einrichtungen für Frauen, Waisenkinder und bedürftige Menschen.

Skulptur von Mutter Teresa in Indien (Foto: Jamil Saagar)
Skulptur von Mutter Teresa in IndienBild: Jamil Saagar

Sinnbild für die moderne Kirche

Schon mit 19 Jahren reiste die albanische Nonne Anjezë Gonxha Bojaxhiu 1929 nach Indien und hat jahrelang in Kalkutta unterrichtet, bevor sie ihrer Berufung folgte. 1979 gewann sie für ihre Engagements in den indischen Slums den Friedensnobelpreis. Zu diesem Zeitpunkt war Indien schon ihre Heimat geworden: "Als Mutter Teresa den Nobelpreis erhielt, wurde sie in Indien längst nicht mehr als Ausländerin wahrgenommen", erinnert sich Journalist Sagaar.

Besonders für die katholische Kirche in Indien spiele Mutter Teresa auch heute noch eine sehr wichtige Rolle, so Vater Savarimuthu Sankar von der katholischen Diözese in Neu-Delhi: "Wenn man über die katholische Kirche in Indien spricht, muss man Mutter Teresa erwähnen. Beides gehört zusammen." Sie habe nämlich gezeigt, dass die Kirche mehr sei, als eine religiöse Institution, die den bedürftigen Menschen helfen könne.

Gute Taten mit bösen Absichten?

Trotz ihrer Bekanntheit als gute Seele Kalkuttas hagelte bereits zu ihren Lebzeiten immer wieder Kritik. Die Vorwürfe: Sie wolle Bedürftige konvertieren und nehme jedes Geld als Spenden für ihren Orden. Noch vor wenigen Wochen sagte ein indischer Politiker, Mutter Teresa sei Teil einer Verschwörung gewesen, um das Christentum in Indien weiter zu verbreiten. Arme Hindus würden in Notsituationen Hilfe bei Missionaren suchen, die sie dann zu konvertieren versuchen würden.

Anhänger beten vor Porträt von Mutter Teresa in Indien (Foto: SAM PANTHAKY/AFP/GettyImages)
Anhänger beten vor Porträt von Mutter Teresa in IndienBild: AFP/Getty Images

Dass Mutter Teresa eine eisenharte Verteidigerin der römisch-katholischen Kirche gewesen sein soll, hat Journalistin Ajitha Menon schon einige Male gehört. Sie selbst ist Hindufrau und ihr Mann Muslim. Sie durfte immer wieder Interviews mit der berühmten Nonne führen und konnte ihre Arbeit jahrelang beobachten. "Sie hat nie versucht, mich zu konvertieren", erzählt Menon der Deutschen Welle.

Menon kennt auch die Kritik, dass der Orden von Mutter Teresa jegliches Geld angenommen habe, auch wenn der Geldgeber keinen guten Ruf hatte. "Mutter Teresa war sehr ehrlich. Sie war bereit, jede finanzielle Unterstützung anzunehmen, um den armen Menschen zu helfen. Das sei ihre Berufung. Sie sagt aber auch, es sei die Aufgabe von anderen, zu überprüfen, woher das Geld komme."

Mutter Teresa verstarb 1997 in Indien im Alter von 87 Jahren. 2003 sprach sie Papst Johannes Paul II. selig.

Begräbnis von Mutter Teresa 1997 in Kolkata (Foto: Getty Images/AFP/A. Datta)
Begräbnis von Mutter Teresa 1997 in KolkataBild: Getty Images/AFP/A. Datta

Kalkutta macht sich bereit

Je näher der Tag der Heiligsprechung rückte, umso mehr geriet die Kritik in den Hintergrund. An diesem Sonntag (04.09.2016) reiste die indische Außenministerin Sushma Swaraj mit einer großen Delegation in den Vatikan. In der Heimat der Nonne, in Kalkutta wird sogar wochenlang gefeiert. Zu Ehren Mutter Teresas wird unter anderem ein Filmfestival veranstaltet und eine große Erntedankmesse. Ihr Orden plant außerdem besondere Gedenkgottesdienste.

Auch Indiens Premierminister Narendra Modi erinnerte diese Woche an Mutter Teresa. Jeder Inder solle stolz auf sie sein, sagt Modi. Sie habe ihr ganzes Leben dem Land gedient, obwohl sie keine gebürtige Inderin gewesen sei. Erst seit 1947 besaß Mutter Teresa die indische Staatsbürgerschaft.

"Man wird sie hier weiterhin Mutter nennen", sagt Journalist Jamil Saagar, "denn die größte Ehre, die man einer Frau in Indien erweisen kann, ist es, sie Mutter zu nennen."