Münchner Sicherheitskonferenz: Kampfjets für die Ukraine?
16. Februar 2023Die verzweifelte Forderung aus Kiew gibt es schon seit den ersten Stunden der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022: "Schließt unseren Himmel", fordern die Menschen in der Ukraine immer wieder. Doch eine Flugverbotszone durchgesetzt von der NATO - wie einst über Bosnien und Herzegowina während des Krieges dort in den 1990er Jahren -, eine solche Zone schließen die Unterstützernationen des von Russland angegriffenen Landes seit Beginn des russischen Angriffs kategorisch aus - vorneweg die USA.
Ein solcher Einsatz bedeutete den Kriegseintritt des westlichen Bündnisses. Und der soll unter allen Umständen vermieden werden. Zuletzt formulierte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Forderung nach dem "Schließen des Himmels" neu bei seiner Rede vor beiden Kammern des britischen Parlaments in London: "Gebt uns Flügel", forderte er, also Kampfjets, damit ukrainische Piloten den Luftraum über der Ukraine sichern können.
USA finanzieren Pilotenausbildung
Bereits im Juli 2022 genehmigte das US-Repräsentantenhaus 100 Millionen US-Dollar zur Finanzierung des Trainings ukrainischer Piloten am Kampfjet F-16 aus amerikanischer Produktion. Polen lieferte kurz nach Beginn von Russlands Angriffskrieg alte sowjetische Kampfjets vom Typ MiG-29 an die ukrainische Luftwaffe. Sie dienten als Ersatzteillager, heißt es aus Warschau.
Die Lieferung weiterer MiG-Kampfjets, mit denen die ukrainischen Piloten vertraut sind, wird dort nicht ausgeschlossen. Doch selbst die würden seinem Land nach einem Jahr Krieg nicht mehr viel helfen, sagt Juri Ignat, der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe im DW-Interview: "Heute werden sowjetische Flugzeuge den Kriegsverlauf nicht ändern können."
Sie könnten nach seiner Aussagen lediglich die Bestände der kleinen der Ukraine verbliebenen Flugzeugflotte "an Ersatzteilen, Bewaffnung, vielleicht Raketen füllen". Gegen die Luftüberlegenheit der russischen Angreifer würden sie nicht helfen.
"Wir müssen auf westliche Flugzeuge umsteigen", analysiert Ignat, andernfalls bliebe die Ukraine Russland "technologisch unterlegen". Die ukrainischen Piloten würden in ihren alten Sowjet-Jets mit veraltetem Radar nicht einmal bemerken, wenn auf sie eine Rakete abgeschossen wird, sagt der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe.
Vor allem aber feuern russische Kampflugzeuge mittlerweile ihre Raketen auf die ukrainische Infrastruktur und die Zivilisten aus sicherer Entfernung ab. Das liegt an dem westlichen Militärgerät, das die Ukraine in den vergangenen elf Monaten erhalten hat: Flugabwehrpanzer wie der von Deutschland gelieferte Gepard halten die russischen Maschinen offenbar erfolgreich auf Abstand.
"Russland hat sich auf die der Ukraine zur Verfügung stehenden Reichweiten eingestellt", sagt Nico Lange von der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) der DW. Der Ukraine-Experte verweist auf die von Russland besetzte sogenannte Landbrücke zur - von Russland 2014 annektierten - Halbinsel Krim. Die Kreml-Truppen unterhielten dort "im Süden, wo ein relativ kleiner Streifen von Russland besetzt ist, wertvolle Kommando- und Kontrollinfrastrukturen sowie logistische Infrastrukturen außerhalb der ukrainischen Reichweite".
Um überhaupt eine Chance zu haben, besetztes Gebiet zurückzuerobern, sagt Lange, brauchten die ukrainischen Streitkräfte "mehr Reichweite, um das Schlachtfeld für einen Angriff vorzubereiten, um das Gebiet zu befreien". Das betont auch der frühere kommandierende General der US-Armee in Europa, Ben Hodges, im DW-Interview über die ukrainischen Streitkräfte: "Je früher wir sie in die Lage versetzen, ein entscheidendes Ergebnis zu erzielen, desto früher könnte (der Krieg, Red.) vorbei sein".
Hodges fordert die schnelle Lieferung von Kampfjets und seit vielen Monaten auch weitreichende Raketen für die Ukraine. Das Kalkül dahinter: Damit könnten die ukrainischen Streitkräfte zunächst die Nachschublinien zwischen der Front und der ukrainischen Küste am Asowschen Meer angreifen und - nach erfolgreichen Rückeroberungen hier - dann auch die Brücke zwischen dem russischen Festland und der Krim angreifen. Die Halbinsel wäre dann vom russischen Nachschub abgeschnitten.
Polen fordert Entscheidung bei der Münchner Sicherheitskonferenz
Tatsächlich drängt die polnische Regierung auf eine Entscheidung für die Lieferung westlicher Kampfjets am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Das forderte Warschaus Botschafter in Berlin Anfang Februar in einem Interview mit der deutschen Zeitungsgruppe "Redaktionsnetzwerk Deutschland". Polen und die Niederlande schließen schon seit Wochen die Lieferung des NATO-Kampfjets F-16 nicht aus.
Doch auch andere westliche Flugzeuge werden unter Analysten immer wieder diskutiert. Darunter der Kampfjet Gripen der schwedischen Rüstungsschmiede Saab, der seit Mitte der 1990er-Jahre gebaut wird. Gripen würde "zu unserem Klima passen", sagt Juri Ignat von der ukrainischen Luftwaffe im DW-Interview. Doch eine "Umstellung auf Gripen könnte Jahrzehnte dauern".
Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte im Januar die Lieferung des ähnlich neuen französischen Jets Rafale nicht ausgeschlossen. Diese Maschine sei "eines der teuersten Flugzeuge der Welt", sagt Ignat und fragt: "Wie viel davon könnten geliefert werden, wer bezahlt das?"
Neue Startbahnen für den westlichen Jet
Von der F-16 seien seit Beginn der Serienproduktion des Flugzeugs mehr als 4000 Stück hergestellt worden, stellt der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe fest. "Mehr als 20 Länder betreiben es", sagt Ignat: "Es ist auch klar, wer uns diese Flugzeuge geben kann, welche Länder und wie viele." Deshalb sei die Maschine aus dem Kalten Krieg "der beste Kandidat für die Ukraine".
Der Sprecher sagt, er sei überzeugt, dass seine Piloten das westliche Kampflugzeug in einem halben Jahr in der Ukraine fliegen werden, die Vorbereitungen am Boden liefen bereits. Demnach planieren ukrainische Bauarbeiter bereits neue Start- und Landebahnen auf verschiedenen Flugplätzen und rüsten dezentral einfache Straßen für den F-16-Kampfjet um. Der westliche Jet könnte - anders als die alten MiG-29 - auf den alten Betonpisten aus sowjetischer Zeit Schaden nehmen.