"Scheitern der Integration hätte dramatische Folgen"
28. August 2015DW: Herr Münkler, Sie haben Ihr jüngstes Buch "Macht in der Mitte“ genannt - eine Studie über Deutschland als vermittelnde Macht innerhalb Europas. Gilt das auch für die Krisenregion Nahost? Dort scheint eine vermittelnde Macht zu fehlen.
Herfried Münkler: Der Westen, vor allem die USA, teilweise auch Großbritannien, ein bisschen auch Frankreich haben diesen Raum von außen zusammengehalten. Daneben hat sicher auch das Feindbild Israel lange Zeit eine zentrale Rolle gespielt. Dann aber ist der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten in einer nicht vorhergesehenen Weise hochgekocht.
Zugleich ist es zu einer Konkurrenz der regionalen Ordnungsmächte gekommen. Eine dieser Mächte ist der Iran aufgrund seines Einflusses auf die Schiiten. Die andere ist Saudi Arabien zusammen mit den Golfstaaten, auf der Grundlage seines Geldes und des Wahhabitentums. Und die dritte, freilich etwas wackelige Macht ist Ägypten. Diese drei konkurrieren miteinander. Verschärft wurde diese Konkurrenz durch die iranischen Aspirationen auf die Atombombe. Hätte es diese bekommen, hätten auch die Saudis und Ägypter sie haben wollen. Diese drei Mächte betreiben die Kriege in der Region auch als Stellvertreterkriege. Das verschärft die Situation natürlich weiterhin.
Was bedeutet das für Europa?
Die EU-Staaten - und damit natürlich auch Deutschland - kommen in die Situation, mit sehr unangenehmen Partnern kooperieren zu müssen. Das gilt sowohl für den Iran und das Mullah-Regime als auch für Saudi-Arabien mit seinen strafrechtlichen Praktiken und der wahabitischen Auslegung des Koran. Und ebenso für den Militärdiktator al-Sisi. Angesichts dieser Situation sind eine Reihe von Träumen zerstoben, die Europa eine Zeitlang gehegt hat – die Überzeugung also, dass man eigentlich nur mit anständigen Regimen zusammenarbeitet.
Doch nicht mit ihnen zusammenzuarbeiten, ist erstens nicht möglich und zweitens politisch dumm. Denn wenn man sich nur vorstellt, Ägypten würde implodieren und in eine ähnliche Situation geraten wie etwa Libyen, um nicht zu sagen Syrien – dann würde sich diese Kriege in der Region zwischen Syrien und Libyen zu einem großen Krieg zusammenschließen. Das wäre eine fatale Situation. Das heißt, wenn wir schon in Syrien die Sache nicht beenden können, müssen wir vernünftigerweise verhindern, dass diese Konflikte um sich greifen und zu einem ganz großen, den gesamten Nahen Osten erfassenden Flächenbrand zusammenfließen. Das wäre eine Katastrophe.
Die derzeitige Migration aus Nahost findet wesentlich auch darum statt, weil eine politische Lösung des Syrien-Konflikts nicht gefunden wurde. Woran liegt das?
In der Tat wurde der Konflikt politisch nicht bearbeitet. Das liegt vor allem daran, dass er sehr komplex und angesichts der lokalen, regionalen und internationalen Fronten unüberschaubar ist. Hinzu kommt ja auch noch das Kurdenproblem, durch das sich die Türkei auf besondere Weise herausgefordert sieht. Es geht also nicht einfach darum, zwei Parteien an einen Tisch zu bringen und zu versuchen, einen Kompromiss zu finden. Allerdings ist die Schwierigkeit von Problemen keine Rechtfertigung für Politik, gar nichts zu tun.
Es gab ja auch einige Anläufe zu einer politischen Lösung.
Ja. So haben die Amerikaner die Freie Syrische Armee ansatzweise unterstützt. Doch angesichts der Fülle der Probleme und der möglichen unbeabsichtigten Effekte ist man dann doch wieder zurückgeschreckt und hat nichts getan - in der Hoffnung, so keine Fehler zu machen. Inzwischen, spätestens mit dem Auftauchen des IS in Syrien, hat sich herausgestellt, dass das Nichtstun selbst der ganz große Fehler war. Und der wird jetzt durch die dramatisch gestiegenen Flüchtlingszahlen bezahlt. Und wir müssen damit rechnen, dass diese Zahlen noch weiter anwachsen werden.
Sprechen wir über die Flüchtlinge. Derzeit steht die Zahl von 800.000 Asylsuchenden im Raum. Aus dem islamischen Raum kommen, den Zahlen des Bundesinnenministeriums folgend, rund 320.000 Flüchtlinge. Was erwarten Sie für deren Integration?
Für die Integration wird es sicher nicht genügen, Unterkünfte und irgendwelche prekären Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Die Herausforderung ist viel größer. Und sie kann auch nicht mit der Lebenslüge wie "Multi Kulti" funktionieren. Das mag in einer Stadt wie Frankfurt, wo vor allem wohlhabende Migranten leben, ein Modell gewesen sein. Aber auf breiter Fläche wird das nur auf Grundlage einer entsprechenden Akkulturation, also das Hineinwachsen in unsere Kultur, funktionieren. Dabei geht es nicht um die Religion der Flüchtlinge. Es geht um das Arbeitsethos einer mitteleuropäischen Gesellschaft, um unsere Vorstellungen von einer funktionierenden Zivilgesellschaft und dergleichen. Da wird man sich entsprechende Mühe machen müssen.
Geschieht das nicht, wird auch die Akzeptanz der Migranten durch die autochthone Bevölkerung, also die so genannten Bio-Deutschen, nicht dauerhaft herstellbar sein. Die Politik muss darum mit großer Entschlossenheit zu Werke gehen. Sie muss entsprechendes Geld für Integrations- und Bildungsmaßnahmen in die Hand nehmen. Gelingt das, ist das ein großer Erfolg. Gelingt es nicht, hat es dramatische Folgen. Denn dann dringt die Angst in die gesellschaftliche und politische Mitte vor. Und die Angst zerstört bekanntlich alles.
Sie haben ein Buch mit dem Titel "Die Deutschen und ihre Mythen" geschrieben. Darin beschreiben Sie die Mythen als integrationsstiftende Kraft. Können Sie sich einen solchen Mythos für ein absehbar auch multikulturelles Deutschland vorstellen?
Den kann ich mir durchaus vorstellen. Neben der Gründungserzählung der Bundesrepublik vom Wirtschaftswunder gehört natürlich auch als eine Seitenerzählung die der Integration der Millionen Flüchtlinge aus dem Osten dazu – als eine große Leistung, auf die man gemeinsam stolz sein konnte, die Integrierenden ebenso wie die Integrierten.
Eine solche Erzählung rekurriert weniger auf graue Vorzeiten, sondern hat eher amerikanische Züge: Sie erzählt von einer Gesellschaft, die offen ist für Tüchtige, die dann auch - und das ist sicherlich weniger amerikanisch - eine soziale Seite hat. Und die es auf diese Weise schafft, einen guten Platz in der Weltwirtschaft zu behaupten. Eine erfolgreiche Integration beruht also auf gewissen Voraussetzungen. So könnte man sich eine integrierende, orientierende, motivierende Gründungserzählung oder einen Bewältigungsmythos vorstellen.
Herfried Münkler lehrt Politologie an der Humboldt-Universität. Er verfasste mehrere politikwissenschaftliche Standardwerke zur Politik- und Geschichtswissenschaft – so etwa "Die neuen Kriege" und "Der große Krieg. Die Welt 1914 - 1918". Zuletzt erschien "Macht in der Mitte. Die neuen Aufgaben Deutschlands in Europa".
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