Der Mann, der entkam
21. Dezember 2016Nach dem Terroranschlag von Berlin hat ein Spezialeinsatzkommando (SEK) der Polizei einem Bericht der Zeitung "Die Welt" zufolge zwei Wohnungen in der Hauptstadt gestürmt, den gesuchten Verdächtigen aber nicht gefunden. Der mutmaßliche Attentäter Anis Amri sei in einer der Wohnungen vermutet worden, meldete das Blatt. Bei der Razzia gegen 20 Uhr sei aber lediglich ein anderer Mann überwältigt worden. Die Berliner Polizei verwies auf Nachfrage an die Bundesanwaltschaft - und dementierte den "Welt"-Bericht. Die Karlsruher Behörde war für eine Stellungnahme am Abend aber nicht zu erreichen.
Bis September observiert
Die Bundesanwaltschaft hatte am Mittwoch einen offiziellen Fahndungsaufruf herausgegeben, in dem sie die Bevölkerung um Mithilfe bei der Suche nach dem 24-jährigen "Gefährder" bat. Gegen Amri wurde bereits früher wegen Terrorverdachts ermittelt. Nach Angaben der Berliner Justiz wurde er bis September observiert. Dann stellte man diese Maßnahme ein.
Bei dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche nahe dem Kurfürstendamm waren am Montag zwölf Menschen getötet worden. 45 weitere Menschen wurden bei dem Anschlag mit einem Lastwagen verletzt, viele davon schwer.
Vier Jahre in Italien in Haft
Der Tunesier soll nach italienischen Medienberichten vier Jahre in Italien im Gefängnis gesessen haben. Anis Amri sei 2011 als Flüchtling nach Italien gekommen und in einem Auffanglager für Minderjährige auf Sizilien untergebracht worden, meldete die Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf Ermittlerkreise. In dem Lager habe er Sachbeschädigungen und "diverse Straftaten" begangen. Nach Berichten der Zeitung "La Stampa" soll er das Auffanglager angezündet haben. Als Volljähriger wurde Amri den Informationen zufolge dann festgenommen, kam vor Gericht und wurde zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt.
Amri sei ei auch im Gefängnis gewalttätig gewesen, berichtete Ansa. Er habe aber zu keinem Zeitpunkt eine Radikalisierung gezeigt. Seine Haftstrafe habe er im zentralen Gefängnis Ucciardone in der sizilianischen Hauptstadt Palermo verbüßt. Im Frühjahr 2015 sei er aus dem Gefängnis entlassen worden und sollte des Landes verwiesen werden. Bei der geplanten Ausweisung habe es jedoch Probleme mit den tunesischen Behörden gegeben, berichtete Ansa. Der Mann habe Italien schließlich verlassen und sei nach Deutschland weitergereist.
Kontakte zur Salafisten-Szene
Auch in Deutschland wurde sehr bald gegen den Tunesier ermittelt. Inzwischen geht es um den Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat. Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen hat laut Innenminister Ralf Jäger ein entsprechendes Verfahren gegen Amri initiiert. Die Behörden baten die Bevölkerung um Mithilfe, warnten aber zugleich, der Mann könnte "gewalttätig und bewaffnet sein". Für die Ergreifung Amris wurde eine Belohnung von bis zu 100.000 Euro ausgesetzt.
Der Tatverdächtige sei wohl im Juli 2015 nach Deutschland eingereist, so Jäger weiter. Seit Februar 2016 habe sich der Mann wechselweise in Nordrhein-Westfalen und in Berlin aufgehalten und habe mit zahlreichen Identitäten gearbeitet. Der Mann sei jedoch in einer Asylunterkunft im nordrhein-westfälischen Emmerich gemeldet gewesen sein. Er sei verschiedenen Sicherheitsbehörden mit Kontakt zur Salafisten-Szene aufgefallen und von den Behörden seit November als "Gefährder" eingestuft worden. Nach Informationen von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR unterhielt er Kontakte zum Netzwerk des unlängst verhafteten Predigers Abu Walaa, der auch als die Nummer Eins des IS in Deutschland bezeichnet wird.
Amri hätte nach den Worten Jägers schon abgeschoben sein sollen. Er sei ein abgelehnter Asylbewerber, der wegen fehlender Ausweispapiere aber nicht nach Tunesien gebracht werden konnte. Tunesien habe zunächst bestritten, dass er überhaupt Staatsbürger des Landes sei. Die Passersatzdokumente hätten die tunesischen Behörden erst heute überstellt, sagte Jäger und ergänzte: "Ich will diesen Umstand nicht weiter kommentieren."
ml/chr (dpa, rtr, afp)