Äthiopien sortiert sich neu
16. Februar 2018Es ist ein Schritt, der nicht völlig überrascht - und dennoch einige Fragen aufwirft: Nach monatelangen Spekulationen hat Äthiopiens Premierminister Hailemariam Desalegn am Donnerstag seinen Rücktritt erklärt. Die Probleme des Landes seien zu groß geworden, sagte er: "Weil es in unserem Land viel Unruhe gibt und viele Menschen gestorben sind und es zu hohen Sachschäden gekommen ist, befindet sich die Regierungskoalition EPRDF in einer Phase der Reform", sagte er. "Weil auch ich Teil dieser Reform bin und eine Lösung für die Probleme finden möchte, werde ich aus eigenem Willen als EPRDF-Vorsitzender und Ministerpräsident zurücktreten".
Schlechtes Krisenmanagement eines politisch isolierten Premiers
Einen Tag zuvor war Südafrikas Präsident Jacob Zuma nach zahlreichen Korruptionsvorwürfen zurückgetreten. Doch während Zumas Rücktritt durchweg Erleichterung auslöste, stimmt Hailemariams Entschluss viele Äthiopier nachdenklich. Der Journalist Merga Yonas Bula aus der Amharisch-Redaktion der DW glaubt noch nicht, dass der Abtritt des Premiers einen grundlegenden Wandel bedeutet. "Es gibt deutliche Zeichen, dass er in den letzten Jahren keine wirkliche Macht hatte", sagt er. "Hailemariam hat selbst einmal gesagt, dass er Entscheidungen treffen musste, ohne die dafür notwendigen Informationen bekommen zu haben."
Das liegt an der ambivalenten Rolle, die der Premier von Anfang an innehatte. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Meles Zenawi gehört Hailemariam nicht der Machtelite aus der Tigray-Ethnie an, die seit Mitte der neunziger Jahre die Regierung, die Armee und den Geheimdienst dominiert. Auch die Parteien, die Äthiopiens größte Ethnien Oromo und Amhara in der Regierungskoalition EPRDF vertraten, ließen ihn links liegen.
Auf dem Weg ins Chaos - oder zu weiteren Reformen
Oppositionsvertreter begrüßten gegenüber DW den Rücktritt. Wenn Menschenrechte nicht respektiert würden und wenn es über Jahre nicht gelinge, Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung zu sichern, sei es an der Zeit, den Rücktritt einzuleiten, sagte Mulatu Gemechu vom "Föderalistischen Kongress der Oromo" (OFC). Er reiche aber nicht aus, sagte Beyene Petros vom "Forum für eine föderale Demokratie in Äthiopien", kurz Medrek: "Die Ankündigung ist noch keine Garantie, dass die gesamte Regierung zurückgetreten ist. Deswegen ist die Lage weiter unklar."
Die Chefs der Regierungsparteien und der Ministerrat haben sich am Freitag zu geheimen Beratungen zurückgezogen. Nach dem Rücktritt des Außenseiters Hailemariam werde das Gleichgewicht neu ausgehandelt, schätzen Beobachter. Seit 2 Jahren kommt es immer wieder zu Massenprotesten gegen die autoritäre Regierung, die teils blutig endeten. Beobachter glauben, dass die Regierung Zugeständnisse machen muss, um die Lage zu beruhigen. Bisherigen Schritte wie die Freilassung einiger tausend politischer Häftlinge seien nur Makulatur, schätzt DW-Journalist Merga Bula: Man habe nur die bekannten Köpfe der Protestbewegung entlassen, zahllose weitere blieben in Haft.
Nach den ersten Machteinbußen des Tigray-Lagers ist offen, ob es zu einer Einigung zwischen den Amhara- und Oromo-Parteien kommt. Beide könnten in den jeweiligen Bevölkerungsgruppen für Unterstützung werben - und so eine Eskalation herbeiführen. Der scheidende Premierminister hatte verkündet, für eine Übergangslösung bereitzustehen. Er appellierte besonders an die Jugendlichen, die Ruhe zu bewahren: "Alle sollten einander gemäß unserer äthiopischen Tradition Respekt entgegenbringen", sagte er in seiner Rücktrittserklärung.
Reformkurs im Ausnahmezustand?
Noch ist kein Nachfolger für Hailemariam bekannt. Doch der Druck sei groß, nun einen Kandidaten der Oromo-Partei OPDO zu benennen, sagt DW-Journalist Bula. Äthiopiens größte Bevölkerungsgruppe fühlt sich schon lange abgehängt, hier waren die Proteste zuletzt am größten. "Dabei haben sich einige junge Menschen verdient gemacht, die Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation versprachen", so Bula.
Politikwissenschaftler Mehari Yohannes von der Mekelle-Universität im Bundesstaat Tigray spricht sich klar für einen Oromo als Nachfolger Hailemariams aus. Und das nicht nur deshalb, weil Äthiopiens größte Ethnie - im Gegensatz zu den Amhara - noch nie an der Macht war. "Viele politische Argumente der Amhara-Opposition sind mit der föderalen Verfassung nicht vereinbar", so Mehari im DW-Gespräch. "Sie wollen einen Staat, der ganz anders strukturiert ist. Bei den Oromo hingegen gibt es eine deutliche Tendenz, das föderale System mit einigen Zusätzen und Behelfslösungen anzuerkennen."
So könne eine Oromo-geführte Regierung zum Kitt für das Land und für die Konflikte innerhalb der Regierungskoalition EPRDF werden, sagt Mehari. Doch zunächst beschloss die Regierung am Freitagabend, einen neuen Ausnahmezustand zu verhängen.
Mitarbeit: Azeb-Tadesse Hahn