Nach der Flut ist vor der Flut
3. Juni 2013Sintflutartige Regenfälle hatten die Elbe und ihre Nebenflüsse damals anschwellen lassen. Nie dagewesene Wassermassen überfluteten vor allem den Osten Deutschlands. Die erste Jahrhundertflut spülte das Thema Hochwasserschutz 2002 auf der Agenda von Politik und Gesellschaft weit nach oben. Doch die Erinnerung an diese historische Katastrophe sei mittlerweile schon wieder verblasst, sagt Andreas Schumann, Professor für Wasserwirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum. "Wir haben ein wahnsinniges Defizit im Hochwasserbewusstsein."
Das wird dort zum Problem, wo die Menschen über Generationen immer näher an die Flüsse herangerückt sind - und das ist in Deutschland fast überall der Fall. "Wir müssen die Überschwemmungsgebiete baufrei halten", betont Schumann. Das aber scheitere daran, dass die Bewohner das Risiko in diesen Gegenden immer wieder unterschätzten. Stattdessen verließen sie sich zu stark auf technische Hochwasserschutzmaßnahmen, also etwa darauf, Dämme höher und stabiler zu bauen.
Der Damm bestimmt das Bewusstsein
"Wir haben viel Geld in die Hand genommen“, sagt der sächsische Landtagsabgeordnete und Umweltexperte Andreas Heinz auf die Frage, was in seinem Bundesland in den vergangenen Jahren in Sachen Hochwasserschutz passiert ist. Das Bundesland Sachsen im Südosten Deutschlands war von der Flutkatastrophe 2002 besonders betroffen. Wofür das Geld ausgegeben worden sei? Heinz fallen zuerst technische Maßnahmen ein, etwa verstärkte Dämme oder größere Rückhaltebecken, die im Notfall Hochwasser aufnehmen sollen. Natürlich seien die ein Fortschritt, räumt Andreas Schumann ein. "Hier wurden Schwachstellen erkannt und ausgebessert." Trotzdem mahnt er: "Es gibt keinen absoluten Hochwasserschutz und technischer Hochwasserschutz muss immer damit einhergehen, dass man überlegt: Was passiert, wenn er versagt?"
Für Winfried Lücking, Experte für Hochwasserschutz beim Naturschutzverband BUND, kommt eine weitere Überlegung zu kurz: Wie kann die Gefahr von Hochwassern stärker minimiert werden? Nach 2002 hatte die damalige Bundesregierung auf einer nationalen Flusskonferenz ein eingängiges Motto ausgegeben: "Den Flüssen mehr Raum geben". Hochwasser sollte auf breiterer Fläche mit niedrigerem Wasserspiegel abfließen können, etwa indem Deiche von den Ufern wegverlegt werden. "Bedauerlicherweise hat sich nicht sehr viel getan", kritisiert Lücking. An der Elbe wurde nur eine Handvoll solcher Rückdeichungen umgesetzt, teilweise auch nur nach großem Druck und Einsatz von Naturschutzverbänden.
Platz für Flüsse statt für Menschen
Allerdings sind solche Rückdeichungen auch Mammutprojekte, die nicht von heute auf morgen umzusetzen sind. Über Generationen haben die Menschen die Deiche immer weiter an die Flüsse herangerückt und sind hinterhergezogen. Dieser Prozess lasse sich nicht innerhalb von zehn Jahren umkehren, räumt auch Lücking ein. Zumal die Planungen ungeheuer kompliziert sind. Das liegt auch daran, dass Hochwasserschutzmaßnahmen mit zahllosen Interessen kollidieren. Landwirte wollen ihre Felder nicht aufgeben, Anwohner ihre Häuser und Grundstücke nicht verlieren, Kommunen befürchten, dass sie sich nur noch eingeschränkt entwickeln können. Es gibt großen Widerstand dagegen, den Flüssen ihren Raum zurückzugeben. "Da sagen alle: Das können Sie gern machen, aber nicht bei uns", zürnt Winfried Lücking.
Der Landtagsabgeordnete Andreas Heinz kann von solchen Widerständen viel erzählen. Er hat beobachtet, dass das Verständnis für Hochwasserschutz seit der Flut 2002 immer weiter abgenommen hat. Bewohner protestieren gegen Maßnahmen, die sie eigentlich schützen sollen. "Es gibt da Betroffene, die sagen: Ich will keinen höheren Damm, weil ich dann nur noch auf den Damm gucke und keine Aussicht mehr habe", seufzt der CDU-Politiker.
Doch selbst wenn sich Politik und Gesellschaft in Zukunft besser auf extreme Wetterlagen einstellen sollten: Hochwasser wird es trotzdem wieder geben. Und solange Menschen an Flüssen siedeln, werden die Fluten auch immer wieder Schäden verursachen. "Jedes Hochwasser zeigt uns neue Schwachstellen, weil jedes Ereignis anders ist. Je länger wir diese extremen Ereignisse beobachten, desto mehr lernen wir über das risikoreiche Verhalten der Natur", erklärt Andreas Schumann von der Ruhr-Universität Bochum. Das macht den Hochwasserschutz in Deutschland und der Welt zu einer permanenten Aufgabe, die niemals abgeschlossen sein wird. "Wir sind im ständigen Wettstreit mit der Natur, die uns immer neue, nicht gekannte Hochwasserszenarien auf den Tisch wirft." Wie schnell wir Menschen daraus lernen, ist dann wieder unsere Sache.