Nach der Pflicht jetzt die Kür
13. Februar 2018Das Beste zum Schluss. Rund 20 Sekunden lang stemmt Bruno Massot fast durchgängig mit nur einem Arm Aljona Savchenko hoch in die Luft, dabei dreht sie sich in verschiedene Positionen, zwischenzeitlich mit dem Kopf nach unten, um letztendlich auf seiner rechten Schulter die eindrucksvolle Darbietung zu beenden. "La terre vue du ciel" (die Erde vom Himmel aus betrachtet) heißt die über viereinhalbminütige Kür, mit der das deutsche Eiskunstlaufpaar bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang die Goldmedaille gewinnen will.
"Ich hatte immer das Ziel, nochmal bei den Olympischen Spielen anzutreten. Dass ich jetzt um eine olympische Medaille kämpfen darf, ist ein unbeschreibliches Gefühl", sagt Savchenko im DW-Interview. "Vor vier Jahren wusste ich gar nicht, ob es noch mal funktioniert." Denn nach den Spielen von Sotschi stand die heute 33-Jährige ohne Partner da. Robin Szolkowy, mit dem sie zweimal Olympia-Bronze geholt hatte, beendete seine Karriere. Auf diesem hohen Niveau einen neuen Paarläufer zu finden, ist eine große Herausforderung. Savchenko fand ihn schließlich in Bruno Massot. Doch damit fingen die eigentlichen Probleme erst an.
Erst die Sperre, dann der Sprachtest
Der Franzose beantragte einen Nationenwechsel. Im Eiskunstlauf ist das nicht ungewöhnlich, so startet die gebürtige Ukrainerin Savchenko seit zwölf Jahren für die Bundesrepublik. Doch der französische Eislaufverband FFSG sperrte sich dagegen. Massot durfte nicht mehr bei Wettbewerben antreten. Das bedeutete, keine Gagen, kein Preisgeld. Einzig die Deutsche Sporthilfe überwies ihm monatlich 200 Euro. Zudem forderte die FFSG eine finanzielle Entschädigung von der Deutschen Eislauf-Union (DEU) - zunächst 100.000 Euro, am Ende einigte man sich auf 30.000 Euro. Nach über einem Jahr Querelen bekamen sie endlich das so genannte "Clearance Certificate", mit dem Massot für die DEU startberechtigt war. "Der französische Verband hat mir viele Steine in den Weg gelegt“, erinnert sich Massot im DW-Interview.
Wettkämpfe konnte das Eiskunstlaufpaar zwar jetzt bestreiten. Aber um für das deutsche Team bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang auflaufen zu können, musste Massot noch eine Sprachprüfung ablegen. Und er fiel zweimal beim schriftlichen Teil durch. "Es ist für mich sehr schwer, einen deutschen Text zu verstehen." Ein großer Druck neben dem alltäglichen Training. Ende November 2017 - zwei Monate vor Beginn der Spiele - war es dann aber so weit: Stolz hielt Massot die Einbürgerungsurkunde in der Hand. "Ich bin sehr glücklich, als gebürtiger Franzose Deutschland präsentieren zu können", sagt Massot. Nach der Pflicht kommt also jetzt die Kür.
Verzicht auf die Europameisterschaft
Ungewöhnlich ist schon, dass die Musik zu dieser Kür aus einem Natur-Dokumentarfilm ("Die Welt von oben") stammt. Zusammen mit dem Choreografen und früheren Olympiasieger Christopher Dean aus Großbritannien entwickelten Savchenko und Massot zudem ein Programm, dass nicht nur Paarlauf-Elemente wie die risikoreichen Würfe enthält, sondern auch die fließenden Bewegungen des Eistanzes. Zu Saisonbeginn gab es noch einige Probleme."Im Training klappen die Sprünge, aber noch nicht im Wettkampf. Es muss sich noch einlaufen, denn es ist ein sehr schweres Programm", sagte Savchenko noch im Oktober.
Ende November jedoch triumphierten sie - trotz Rückenproblemen Massots - mit ihrer Kür beim Grand Prix Skate America, und im Dezember gewannen sie eindrucksvoll das Grand-Prix-Finale in Japan. Mit 157,25 Punkten stellten sie sogar einen neuen Weltrekord in der Kürwertung auf. Laufen Savchenko und Massot ihr Programm fehlerfrei, wird das Duo in Pyeongchang kaum zu schlagen sein. Um den dreifachen Wurf-Axel zu perfektionieren, verzichtete das Duo auf die Europameisterschaft in Moskau und trainierte lieber in Oberstdorf. "Es geht darum, noch mehr Sicherheit zu bekommen und auch das richtige Tempo zu finden", sagte Trainer Alexander König.
Mission Gold
"Olympia-Gold ist ganz klar unser Ziel", meint Savchenko. Die 1,53 Meter kleine und 46 Kilogramm leichte Eiskunstläuferin nimmt zum fünften Mal an Winterspielen teil: "Ich glaube, mit den Jahren versteht man immer besser, worum es geht", so Savchenko. "Man genießt es jetzt mehr als früher, weil man vieles anders wahrnimmt. Es ist zwar nichts Neues, aber es bleibt spannend." Eine ganz neue Erfahrung ist es dagegen für ihren Partner Massot, der zum ersten Mal an Olympischen Spielen teilnimmt. Der 28-Jährige gibt sich (noch) gelassen: "Für mich ist das ein normaler Wettkampf. Schon ein großer Traum von mir, aber ich mache mir deswegen keinen Stress." Den hatten die beiden in den letzten Jahren ja auch genug.