Tumult im Gerichtssaal
8. Dezember 2008Knapp vier Jahre nach dem Vorfall sind die beiden angeklagten Polizeibeamten am Montag (08.12.2008) freigesprochen worden. Trotz intensivster Anstrengungen aller Prozesbeteiligten sei es nicht gelungen, den Sachverhalt aufzuklären, entschied das Landgericht Dessau-Roßlau (Sachsen-Anhalt) zum Abschluss des 21-monatigen Verfahrens. Der Verlauf der Ermittlungen sei geprägt gewesen von "Pleiten, Pannen, Versäumnissen und Unvermögen".
Die Verkündung des Urteils löste im vollbesetzten Verhandlungssaal tumultartige Reaktionen von anwesenden Afrikanern aus. Sie riefen in Richtung Gericht unter anderem "Ihr Schweine" und "Lügner". Mehrere Demonstranten wurden von Justizangestellten aus dem Gerichtsaal abgeführt, als sie zum Richtertisch stürzten.
Tod durch Hitzeschock
Der Asylbewerber Oury Jalloh aus Sierra Leone war am 7. Januar 2005 bei dem Brand in der Gewahrsamszelle, den er an einer Liege gefesselt selbst mit einem Feuerzeug ausgelöst haben soll, an einem Hitzeschock gestorben. Die Anklage hatte sich gegen den 48-jährigen Polizeihauptkommissar Andreas S., der damals Dienstgruppenleiter war, wegen Körperverletzung mit Todesfolge und den 46-jährigen Polizeimeister Hans-Ulrich M. wegen fahrlässiger Tötung gerichtet. Eine Rettung wäre laut Anklage möglich gewesen, wenn die Beamten rechtzeitig und richtig reagiert hätten.
Vor allem die Aussagen der Hauptzeugin und Kollegin des Hauptbeschuldigten Beate H. seien so widersprüchlich gewesen, dass sie vom Gericht nicht hätten verwertet werden können. "Wahrscheinlichkeiten reichen aber nicht aus, um jemanden zu verurteilen", begründete Richter Manfred Steinhoff das Urteil. Was im Prozess von vielen Polizisten als Zeugen "geboten" worden sei, habe mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun. Zudem kritisierte das Gericht mangelnde Sicherheits- und Brandschutzvorkehrungen in dem betreffenen Dessauer Polizeirevier.
"Institutioneller Rassismus"
Oberstaatsanwalt Christian Preissner hatte zum Auftakt des letzten Verhandlungstages eine Verurteilung des Hauptbeschuldigten zu einer Geldstrafe in Höhe von 4800 Euro wegen fahrlässiger Tötung und damit eine niedrigere Strafe als noch in der Anklageschrift gefordert. Auch die Rechtsvertreter der Nebenkläger hatten für Andreas S. eine Freiheitsstrafe beantragt, die Verteidiger beider Angeklagten plädierten dagegen auf Freispruch. Zuvor war in den vergangenen Tagen öfters über eine Einstellung des Verfahrens spekuliert worden.
In ihrem Plädoyer erhoben die Nebenklagevertreter schwere Vorwürfe gegen Polizei und Ermittlungsbehörden. Das Geschehen hätte sich so nicht zugetragen, wenn es sich um einen hellhäutigen Deutschen aus der Mittelschicht gehandelt hätte, sagte Rechtsanwältin Regina Götz aus Berlin. Der Prozess sei ein Zeichen für "institutionellen Rassismus in Deutschland". Bereits bei den Ermittlungen sei so viel vertuscht worden, dass sich der Fall auch vor Gericht nicht mehr aufklären habe lassen.
Kritik und Demonstrationen
Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff erklärte, bei mehreren Polizeibeamten als Zeugen sei "auf schäbigste Art und Weise gemauert und gelogen worden". Die Beteiligten seien auch nach rund 60 Verhandlungstagen in ihrem Anspruch gescheitert, "Licht ins Dunkel" zu bringen. Auch der Arzt, der Jalloh trotz einer Alkoholisierung von drei Promille im Blut für gewahrsamstauglich erklärt habe, trage eine Mitverantwortung an dessen Tod.
Die Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl" kritisierte ebenfalls die Prozessführung der Staatsanwaltschaft. Sie habe die Frage des "institutionellen Versagens völlig ausgeblendet", sagte Rechtsreferent Bernd Mesovic. So sei zu befürchten, dass es in Deutschland bald wieder einen Fall von "exzessiver Polizeigewalt" geben werde.
Am Gerichtsgebäude demonstrierten während des gesamten Verhandlungstages rund 100 Mitglieder der "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" für eine umfassende Aufklärung des Falles und eine Entschädigung der Familie des Opfers. In Sprechchören riefen sie "Oury Jalloh - Das war Mord". Seit März 2007 waren in dem Prozess 63 Zeugen sowie unterschiedliche medizinische Gutachter und Brandsachverständige befragt worden. (gri)