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Politik

Steinmeiers Visite im Gewaltsektor

9. Juli 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Hamburg schon zu schöneren Anlässen besucht. Nach den Chaosnächten zeigte sich das Staatsoberhaupt schockiert über das Ausmaß. Begleitet wurde er von Bürgermeister Olaf Scholz.

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G20 Hamburg Frank-Walter Steinmeier
Bild: picture alliance/dpa/C.Charisius

Was er gesehen habe, erschüttere ihn und mache ihn fassungslos, sagte Steinmeier bei einem Besuch in der Metropole. Ein solches Ausmaß an Gewalt auf Demonstrationen habe Deutschland in den vergangenen Jahren nicht erlebt. Einige seien mit "Rücksichtslosigkeit und maßloser Zerstörungswut" vorgegangen.

Steinmeier dankte ausdrücklich den Polizisten für ihren Einsatz. Sie verdienten nicht nur Anerkennung, sondern auch Dank. Sie hätten ihren Dienst für die Sicherheit geleistet und auch das Recht auf Versammlungsfreiheit geschützt. Der Bundespräsident verteidigte zudem die Organisation solcher Gipfeltreffen in Deutschland. Es brauche das "demokratisches Selbstbewusstsein" zu sagen, dass solche Konferenzen in Deutschland stattfinden könnten.

Scholz verteidigt Polizei

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) verteidigte erneut den Polizeieinsatz. Dieser sei eine "große Leistung" gewesen, sagte Scholz. Er weise jede Kritik an den Leistungen der Polizisten "mit großer Entschiedenheit" zurück. Diese hätten "alles richtig gemacht" und einen "heldenhaften Einsatz" gezeigt. Anlässlich der Krawalle hatte es Forderungen nach politischen Konsequenzen für Scholz gegeben. Im NDR-Interview ging er auf diese Frage jedoch nicht ein. Auch dass sich seine Stellvertreterin, Katharina Fegebank (Grüne) sich während des Gipfels merklich zurückgezogen hatte, ficht Scholz nicht an. In der Koalition würde gute Arbeit geleistet, sagte er ausweichend auf die Frage, ob es einen Riss in der Zusammenarbeit der SPD mit den Grünen gebe.

Vorstellung Entwurf rot-grüner Koalitionsvertrag
Bild: picture-alliance/dpa/Axel Heimken

Härteres Vorgehen gegen autonome Szene gefordert

Die Polizeigewerkschaft PolizeiGrün hatte die Strategie des Hamburger Einsatzleiters Hartmut Dudde kritisiert. Die Polizei habe es "in Hamburg zwar mit Abstrichen geschafft, den Gipfel zu schützen", sagte der Vorsitzende der Grünen-nahen Gewerkschaft, Armin Bohnert, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). "Sie hat aber auf keinen Fall ihr Ziel erreicht, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schützen." 

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Dietmar Schilff, fordert nach den schweren Krawallen ein konsequenteres Vorgehen der Politik gegen die autonome Szene in Deutschland. Gegenüber der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ sagte Schilff, er sei „schier entsetzt“ über die Gewalt, die er in der Nacht von Freitag auf Samstag als Augenzeuge beobachtet habe. „Ein derartiges Ausmaß an Gewalt, aber auch den Beifall von Schaulustigen zu den Gewaltexzessen habe ich in meiner Berufszeit noch nicht erlebt.“

Es sei jetzt an der Zeit mit der linken politischen Sozialromantik aufzuräumen“, sagte Schilff. „Diese Gewalt hat mit links nichts zu tun. Politiker werden sich jetzt wieder hinstellen, die Einsatzkräfte loben und den Verletzten eine gute Genesung wünschen. Aber wichtiger wäre es Konsequenzen im Umgang mit linksextremistischen Zentren zu ziehen, die es nicht nur in Hamburg gibt, sondern auch in Berlin und Göttingen“, sagte der Polizeigewerkschafter. Wenn nichts getan werde, würden der Anarchie Tür und Tor geöffnet.

Der Vorsitzende der großen Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, teilt die Kritik nicht. Die Ausschreitungen im Schanzenviertel seien "von langer Hand geplant worden" und nicht etwa eine Reaktion auf eine harte Linie der Polizei im Vorfeld.

Im Rahmen des Polizeieinsatzes zum G20-Gipfel in Hamburg sind fast 500 Beamte verletzt worden. Seit dem 22. Juni habe es bis zum Sonntag insgesamt 476 verletzte Polizisten gegeben, sagte Polizeieinsatzleiter Hartmut Dudde. Es seien 186 Menschen vorläufig festgenommen und 225 Menschen in Gewahrsam genommen worden.

Dudde der Law-and-Order-Mann

Dudde ist für hartes Durchgreifen und einen Null-Toleranz-Kurs bekannt. In Sicherheitskreisen heißt es, mit ihm an der Spitze sei von vorneherein klar gewesen, welcher Einsatzstil zu erwarten gewesen sei. Die Polizei weist Vorwürfe der Unverhältnismäßigkeit zurück.

Inzwischen hat sich die Lage in der Stadt nach Angaben der Polizei leicht beruhigt. Im Schanzenviertel mussten Einsatzkräfte in den frühen Morgenstunden allerdings weiter gegen einige Randalierer vorgehen, teilte die Polizei auf Twitter mit. Am Morgen holte die Feuerwehr demnach zwei Menschen von einem Kran, an dem sie zuvor ein Transparent mit Bezug auf den G20-Gipfel angebracht hatten.

Immer wieder kamen bei den Randalen Wasserwerfer zum Einsatz
Immer wieder kamen bei den Randalen Wasserwerfer zum EinsatzBild: picture-alliance/dpa/A. Heimken

Unterdessen haben die Organisatoren der Hamburger Anti-G20-Proteste jede Verantwortung für die Krawalle während des Gipfeltreffens zurückgewiesen. "Den Schuh werden wir uns nicht anziehen als die Bündnisse, die einen zivilen Ungehorsam und Demonstrationen organisiert haben", sagte die Sprecherin der Demonstration "Grenzenlose Solidarität statt G20", Emily Laquer. Es bestehe allerdings Einigkeit, "dass wir (...) es falsch finden, wenn die Bürger der Stadt Hamburg in Mitleidenschaft genommen werden und ihre Autos angegriffen werden. Das wollten wir so nicht." Das sei nicht Teil der Verabredungen für die Aktionen und Bündnisse gewesen, sagte Laquer, die zu der vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuften Interventionistischen Linken gehört.

In der Krawallnacht von Freitag auf Samstag seien unterschiedliche Akteure unterwegs gewesen, sagte Laquer. Man wolle die Vorfälle nun aufarbeiten. "Wir werden einen Dialog führen, aber mit allen - also mit denjenigen, die das gut fanden, und auch mit denjenigen, die hier in der Stadt wohnen." Erneut gab Laquer der Polizei eine Mitschuld an den Krawallen: "Wir haben immer wieder vor dem Gipfel die Polizei aufgefordert, den Weg der Eskalation zu verlassen, und haben auch gewarnt, dass es Menschen geben wird, denen der Kragen platzt, wenn sie das nicht macht."

Schlechtes Image

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel fürchtet, dass die Krawalle dem Ansehen Deutschlands schaden. "Deutschlands Bild in der internationalen Öffentlichkeit wird durch die Ereignisse in Hamburg schwer in Mitleidenschaft gezogen", schreibt er in einem Gastbeitrag für "Bild am Sonntag". Bei der Ermittlung der Täter forderte er internationale Zusammenarbeit. Alle möglichen rechtsstaatlichen Mittel müssten eingesetzt werden. "Der demokratische Rechtsstaat muss jetzt seine Wehrhaftigkeit beweisen", so Gabriel. Immer noch gibt es keine Informationen aus welchen Länder die mutmaßlichen Täter eingereist sind und ob sie wirklich aus dem linken Spektrum stammen oder einfach Krawallmacher waren.

Bei den Ausschreitungen standen Zerstörung und Plünderung im Vordergrund
Bei den Ausschreitungen standen Zerstörung und Plünderung im VordergrundBild: DW/J. Witt

Kritik gibt es auch am Umgang mit akkreditierten Journalisten. Nach Berichten über Angriffe von Polizisten auf Medienvertreter beim G20-Gipfel bemüht sich der Deutsche Journalistenverband (DJV) hier um Aufklärung. "Man muss das nachbereiten. Wir sind bereits an die Polizei herangetreten", sagte ein Sprecher des DJV-Landesverbandes Hamburg. "Wir haben großes Verständnis für die Arbeit der Polizei und die Belastungen, denen die Einsatzkräfte ausgesetzt waren. Es ist aber notwendig, dass Journalisten auch in Stresssituationen ihre Arbeit machen können." Eine Sprecherin der Polizei in Hamburg sagte: "Unser Rat ist, dass sich betroffene Journalisten an eine Polizeidienststelle wenden und eine entsprechende Strafanzeige erstatten, wenn sie der Auffassung sind, unrechtmäßig behandelt worden zu sein." Während des Treffens der Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten hatten unter anderen Reporter der "Bild"-Zeitung und der "Huffington Post" der Polizei Angriffe und Behinderungen vorgeworfen. Die Deutsche Journalistenunion (DJU) kritisierte den Entzug von Presseakkreditierungen für das G20-Medienzentrum durch das Bundeskriminalamt.

cgn/cr (afp, dpa, rtr)