Ukraine: US-Nachschub über Deutschland und Polen
24. April 2024Jetzt soll alles schnell gehen: US-Munitionslieferungen werden über Polen und auch Deutschland und anderen Ländern Europas in die Ukraine gebracht. Das US-Verteidigungsministerium hat bereits in den vergangenen Monaten Vorbereitungen für den "Tag X" getroffen. Also der von der Ukraine seit Monaten erhofften positiven Entscheidung im US-Repräsentantenhaus über das neue Ukraine-Hilfspaket über 60 Milliarden US-Dollar (56 Milliarden Euro). An der Front in der Ost-Ukraine sind Kiews Truppen unter massivem russischem Artilleriebeschuss, den die ukrainischen Soldaten Mangels Munition kaum noch erwidern können.
"Ich denke, dass das Verteidigungsministerium in den letzten Wochen hart gearbeitet hat, um bereit zu sein", sagt der frühere Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte für Europa, Ben Hodges, im DW-Interview. "Das heißt man hat von Seiten des Pentagon die Dinge schon verpackt, abfahrbereit verstaut in die richtigen Richtungen gebracht, so dass das jetzt ganz schnell geht, dass im Grunde sofort die Dinge über die Grenze können", sagt auch der deutsche Sicherheitsexperte Nico Lange im Gespräch mit der DW.
Dezentrale Logistik in der Ukraine
Ab der ukrainischen Grenze stehe dann ein ausgeklügeltes Transport-System bereit, um den Nachschub vor russischem Angriff aus der Luft zu schützen. Seit Beginn von Russlands Großinvasion vor zwei Jahren habe das Land eine "dezentrale Logistik" für die westlichen Rüstungsgüter aufgebaut, so Lange. "Der Nachschub wird nicht alles auf einen Zug geladen, damit der dann womöglich ein lukratives Ziel ist, sondern das wird verteilt auf unterschiedliche Züge, die häufig auch bei Nacht verkehren und dann an die entsprechenden Einsatzorte gebracht fahren." Der Ukraine steht mittlerweile auch eine Flotte von westlichen Schwerlasttransportern für den Weg über die Straße zur Verfügung. In der Ukraine herrscht Ausgangssperre in der Nacht – das macht es der Moskauer Ziel-Aufklärung, besonders mit Spionen am Boden, schwerer die Versorgungsrouten zu lokalisieren.
"Die russische Luftwaffe, die in Bezug auf Anzahl und Qualität der Flugzeuge einen enormen Vorteil hat, war bislang nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Zug oder Konvoi zu zerstören, der Munition oder Ausrüstung von Rzeszow in Polen in die und durch die Ukraine brachte", sagt der frühere US-Generalleutnant Hodges.
Von Deutschland nach Rzeszow in Polen
Auf polnischer Seite der ukrainischen Grenze ist der Regionalflughafen der Kleinstadt Rzeszow im Südosten Polens das wichtigste Drehkreuz für die westlichen Hilfen. Er gehe davon aus, dass dort US-Flugzeuge aus Deutschland kommend landen, so Hodges. "Egal ob mit der Bahn oder mit C-17-Flugzeugen, die sie nach Polen fliegen und dann in Rzeszow absetzen" – die Logistik der US-Streitkräfte könne schnell handeln.
Für die US-Lieferungen in die Ukraine sei Deutschland das wichtigste Drehkreuz "aufgrund seiner geografischen Lage und auch wegen seiner ausgereiften Infrastruktur und schließlich wegen der fast 80-jährigen Präsenz der USA und der Zusammenarbeit mit unserem Gastland Deutschland", so Hodges.
Im Südwesten Deutschlands, im Bundesland Rheinland-Pfalz, befindet sich auch das größte Munitionslager der US-Streitkräfte außerhalb der USA. Das "Miesau Army Depot" liegt in unmittelbarer Nähe der größten US-Luftwaffenbasis in Europa in Ramstein.
ATACMS mit 300 Kilometer Reichweite
Teil des neuen Hilfspakets sollen erstmals auch Artilleriegeschosse vom Typ ATACMS mit einer Reichweite von 300 Kilometern sein, so Hodges. Das sei ihm von Gesprächspartnern in Washington versichert worden. Bislang hatte US-Präsident Biden die Waffe nur mit einer Reichweite von 150 Kilometern liefern lassen. Ähnlich wie Skalp oder Storm Shadow aus Frankreich und Großbritannien.
Mit dem neuen Nachschub könne die Ukraine gezielt Kommandostrukturen und Munitions- und Waffenlager der Russen angreifen, glaubt Hodges. Mehr noch als bislang: "Anstatt darauf zu warten, dass russische Raketen und Flugzeuge gestartet werden, und dann zu versuchen, sie abzufangen oder abzuschießen, ist es viel effektiver, wenn man den Ort zerstören kann, von dem aus diese Dinge kommen."
Vorarbeiten bis zur Kertsch-Brücke
"Wenn man sich die Lage im Süden anguckt, dann ist das unverändert so, dass die drei Zugänge zur Halbinsel Krim zu den wichtigsten militärischen Zielen gehören", sagt Nico Lange, der auch für die Münchner Sicherheitskonferenz arbeitet. Er gehe davon aus, dass die Ukraine in den nächsten Monaten versuchen werde immer mehr neuralgische Punkte der russischen Versorgung auf der Krim auszuschalten – bis hin zur wichtigsten Versorgungsroute, die Kertsch-Brücke, die Russland mit der Krim verbindet. "Es gibt eine ganze Reihe von Munitionstypen, die kann im Moment nur die USA liefern", so Lange. Vor allem weil das Hochfahren der Munitionsproduktion in Europa so lange dauere.
Das jetzt vom US-Senat freigegebene Hilfspaket erkaufe den Europäern vor allem Zeit, ist Christian Mölling überzeugt, der Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung beim deutschen Think Tank DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik). Er denke, dass die neuerliche US-Hilfe in diesem Umfang "das Ende der Fahnenstange ist". Monatelang hatten die Unterstützer von US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump im US-Senat die Ukraine-Hilfe blockiert. "Die Amerikaner kaufen uns Zeit, dann muss die europäische Hilfe einsetzen", so Mölling zur DW. Europa müsse selbst aufrüsten – für sich in Anbetracht der Bedrohung durch Russland und für die Ukraine.