Sabotage? Gewissheiten und Vermutungen
11. Juli 2020Im Iran ist es offenbar erneut zu Explosionen gekommen. Dieses Mal traf es Einrichtungen in der Hauptstadt Teheran. Lokale Medien und Augenzeugen berichteten am Freitag (10.07.) in den sozialen Medien über zahlreiche Detonationen in den Stadtteilen Shahrak-eGharb und Garmdareh. Eine sei "ganz besonders laut" gewesen und habe zu einem Stromausfall geführt.
Die Behörden des Landes erklären demgegenüber, es habe keine Explosionen gegeben. Eine Sprecherin räumte allerdings den Stromausfall ein.
Seit Ende Juni gibt es dauernd Meldungen über ähnliche Zwischenfälle. Details wurden meistens verschwiegen. Über die Explosion in der iranischen Atomanlage Natans vor einigen Tagen ist nun das Ausmaß der Schäden bekannt. Offenbar hat die Detonation nahezu das gesamte Gebäude zerstört. Die iranische Atomorganisation (AEOI) sprach von "beachtlichen Schäden". Andere Analysten bestätigen den Befund.
"Enormer Rückschlag"
Das Gebäude, in dem die Explosion stattfand, diente vor allem der Urananreicherung sowie der Herstellung und dem Test entsprechender Zentrifugen. Es müsse gänzlich niedergerissen und von Grund auf neu gebaut werden, heißt es in einer Analyse des israelischen "Institute für Science and International Security" (ISIS). Das Institut hat den Schaden auf Grundlage von Satellitenfotos bewertet.
Die Anlage in Natans sei für die Massenproduktion unterschiedlicher Zentrifugentypen vorgesehen. Jährlich würden hier Tausende solcher Zentrifugen produziert, hieß es. "Obwohl die Explosion und das Feuer die Fähigkeit des Iran zum Einsatz moderner Zentrifugen nicht außer Kraft gesetzt haben, können die Zerstörungen doch als enormer Rückschlag für die Fähigkeit des Iran gelten, in den kommenden Jahren fortschrittliche Zentrifugen im großen Maßstab einzusetzen", so die ISIS-Analyse.
Cyberangriff?
War der Zwischenfall in Natans ein Unfall oder eine Sabotage? Derzeit kursieren viele Theorien. Einige Hinweise sprächen derzeit dafür, dass eine radikale Änderung der Belastung die Transformatoren zur Explosion gebracht haben könnten, schreibt der österreichische Militäranalytiker Markus Reisner in einer Analyse für das Nahost-Magazin "Zenith". "Dies deutet auf einen gezielten Cyberangriff hin."
Die Explosion in Natans war nur einer von mehreren unerwarteten Zwischenfällen in der kritischen Infrastruktur. Insgesamt wurden sechs Störfälle - Brände, Explosionen und Chemieunfälle - bekannt, so etwa in einer Klinik in Teheran, einem Kraftwerk in Ahvaz und einem petrochemischen Werk in Mahshahr. Die Detonationen in den zivilen Einrichtungen könnten möglicherweise Kollateralschäden eines Cyberangriffs sein.
Wer sind die Hintermänner?
Offen ist derzeit die Frage nach den Urhebern der Explosion. "Die Ermittlungen durch Experten und Sicherheitskräfte sind noch im Gange. Darum ist es immer noch zu früh, um über die genaue Ursache des Vorfalls zu sprechen", erklärte der iranische Außenamtssprecher Abbas Mussawi am Donnerstag (09.07.).
Als wahrscheinlich gilt im Iran aber, dass Israel für die Zerstörungen verantwortlich sei. "Die Medien, die diese Explosion in Zusammenhang mit Israel bringen, wollen diesem Regime nur dabei helfen, sein Image zu verbessern",erklärte Mussawi.
Aus Israel kamen während der vergangenen Tage lediglich halbherzige Dementi. "Wir ergreifen Maßnahmen, über die man nicht sprechen sollte", sagte Außenminister Gabi Aschkenasi. Auch Benny Gantz - Knesset-Präsident, künftiger Premierminister und hochrangiger Militär - blieb vage: "Nicht jeder Vorfall im Iran steht mit uns in Verbindung."
Sicher ist, dass die israelische Regierung im Iran ein erhebliches Bedrohungspotential sieht. In Jerusalem bereitet nicht nur die Vorstellung Sorge, der Iran könne eines Tages über Atomwaffen verfügen. Bedroht fühlt man sich auch durch die iranische Präsenz in Syrien. Im Verlauf des Krieges in Syrien hat der Iran dort immer fester Fuß gefasst. Eigenen Angaben zufolge hat Israel bereits Dutzende Angriffe gegen Stellungen iranischer Revolutionsgarden und anderer Kräfte in Syrien geflogen. Auch die libanesische Hisbollah hat mit iranischer Unterstützung massiv aufgerüstet.
Schlüsseljahr 2002
In einem Artikel für die israelische Tageszeitung "Haaretz" stellte der Journalist Yossi Melman die Explosionen und Feuerausbrüche der vergangenen Tage in einen größeren historischen Kontext. Der reicht in Melmans Darstellung bis in das Jahr 2002 zurück. Damals habe man erkannt, dass der Iran in Natans eine Anlage zur Urananreicherung baue. An dem Willen Teherans, eine Atommacht zu werden, habe in Tel Aviv und Washington fortan kein Zweifel mehr bestanden.
In der Folge habe man mehrere Sabotage- und Zerstörungsakte unternommen. In diesem Kontext sei auch das Computervirus Stuxnet eingesetzt worden. Dieses legte im Jahr 2010 unter anderem jene Computer lahm, die in Natans die Zentrifugen steuerten.
Auch die jüngsten Sabotageakte, schreibt Melman, könnten auf Israel zurückgehen. Behilflich dabei könnten Angehörige ethnischer Minderheiten im Iran gewesen sein, die in starker Opposition zur Regierung in Teheran stünden.
Zusammenarbeit mit ethnischen Minderheiten im Iran
Eine Kooperation Israels mit diesen Gruppen hatte der ehemalige Mossad-Chef in seiner Amtszeit wiederholt angedeutet, so Melman weiter. Die Aussagen von Aschkenasis und Gantz hätten in diesem Kontext deswegen einen neuen Sinn, da die jüngsten Sabotageakte von im Iran lebenden Regimegegnern ausgeführt worden sein könnten. "Israel", schlussfolgert Melman, "tut absolut alles Mögliche, um zu verhindern, dass der Iran sein Atomprogramm vorantreibt, während dieser zugleich anfällig für Unfälle und Terroranschläge ist."
Doch ganz gleich, ob Israel für die Sabotageakte verantwortlich sei oder nicht, eines, so Melman, stehe bereits fest: "Die Tatsache, dass die Iraner Israel beschuldigen, erhöht das Ansehen des israelischen Geheimdienstes. Zugleich schadet es der eigenen Moral wie auch dem Selbstverständnis des Iran."
Ähnliches liest man in der "Jerusalem Post". Sollte die Detonation auf Sabotageakte zurückgehen, machten diese der Islamischen Republik vor allem eines deutlich: "dass sie verwundbar ist, dass ihre sensibelsten Einrichtungen erreicht und angegriffen werden können."