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CO2-freier Stahl: Weist Schweden den Weg?

20. April 2021

Ein Seehafen, eine Eisenmine und Unmengen erneuerbare Energie: Nordschweden ist ein idealer Standort für die Produktion von Wasserstoffstahl. Zwei internationale Konsortien investieren dort - mit deutscher Beteiligung.

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LKAB: Luftansicht von Kiruna
Die Bergbaustadt Kiruna: Die Abraumhalden im Hintergrund lassen erahnen, was unter Tage bewegt wirdBild: Fredric Alm/Alm & ME

Bis zum Polarkreis sind es von Luleå aus nur etwa 100 Kilometer. Knapp 80.000 Menschen leben hier. Das sind fast ein Drittel aller Einwohner der nordschwedischen Provinz Norrbotten, die so groß ist wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Weitgehend ungezähmte Natur prägt diese Landschaft: Flüsse, die das Skandengebirge gen Ostsee hinunterstürzen und weite Ebenen, über die kaum gebremste Winde fegen. Im Winter kann der Hafen von Luleå nur dank Eisbrechern befahren werden. Und doch ist er nach dem Hafen von Stockholm der größte an Schwedens Ostküste.

Umgeschlagen werden hier vor allem Kohle, Stahl und Eisenerz: Luleå ist einer der beiden Endpunkte der skandinavischen Erzbahn. Der andere ist Narvik in Norwegen. Dazwischen liegt Lappland mit der Bergbaustadt Kiruna und deren gleichnamigem Bergwerk, das als produktivste Eisenerzmine der Welt gilt. In Luleå wird das Erz aus Kiruna mit Kohle, die über die Ostsee kommt, zu Stahl verarbeitet.

Stahlherstellung muss sich neu erfinden

Doch damit soll - zumindest in dieser Form - bald Schluss sein. Denn Schwedens Stahlindustrie will es den Stromerzeugern des Landes gleichtun: Seit einem knappen Jahr kommen die nämlich ganz ohne Kohle aus.

Nicht nur in Schweden muss der CO2-Ausstoß der Stahlproduktion drastisch sinken, wenn die Welt ihre Emissionsziele erreichen will: Die Herstellung von Rohstahl machte im Jahr 2018 5,4 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen aus. Nach Zahlen der Internationalen Energieagentur IEA kamen 75 Prozent der dabei verbrauchten Energie aus Kohle.

Wasserdampf statt Kohlendioxid

Doch - ähnlich wie in der Zementherstellung - lassen sich die Emissionen bei der Stahlproduktion nicht einfach dadurch senken, dass man erneuerbaren Strom verwendet. Denn der Kohlenstoff aus der Kohle bindet den Sauerstoff, sodass aus Eisenerz Roheisen wird und später Stahl: Aus Kohlenstoff und Sauerstoff wird Kohlendioxid. Manche Stahlproduzenten setzen darauf, das entstehende CO2 einzufangen und zu speichern oder als Rohstoff zu verwenden. Doch das ist aus verschiedenen Gründen umstritten.

Unter Tage: Blick aus dem Cockpit eines Baggers für den Eisenerzabbau
Laut Angaben des Bergbauunternehmens LKAB wird in Kiruna jeden Tag genug Eisenerz für sechs Eiffel-Türme gefördertBild: Fredric Alm/LKAB

Deshalb haben Stahlkocher begonnen, ganz neue Verfahren zu entwickeln, bei denen sie den Sauerstoff statt mit Kohlenstoff mit Wasserstoff aus dem Eisenoxid lösen. Als Abgas entsteht dann Wasserdampf statt Kohlendioxid. Mehrere Unternehmen verfolgen diesen Ansatz, darunter auch die deutschen Stahlkonzerne ThyssenKrupp und Salzgitter. Doch nun schickt sich die Region um Luleå an, zum Vorreiter beim Wasserstoffstahl zu werden.

Schwedische Vorreiter mit deutschen Partnern

Einer der Technologieführer ist die schwedische SSAB. Gemeinsam mit dem Eisenerzproduzenten LKAB aus Kiruna und dem Stromerzeuger Vattenfall hat man das Projekt HYBRIT im SSAB-Werk Luleå aus der Taufe gehoben: Im September 2020 hat dort eine Testanlage den Betrieb aufgenommen, die Stahl ohne den Einsatz von Kohle produziert. Mittlerweile konkretisieren sich die Pläne für eine industrielle Massenproduktion von Eisenschwamm, einem Zwischenprodukt der Stahlherstellung.

Pressebild Vattenfall Hybrit Pilotanlage Außenansicht
2020 hat die Pilotanlage von HYBRIT ihre Arbeit aufgenommen. Nun will das Konsortium in Massenproduktion investierenBild: Åsa Bäcklin/SSAB

Nun will auch die Stockholmer Beteiligungsgesellschaft Vargas Holding, die unter anderem hinter dem Batteriehersteller Northvolt steht, in der Region CO2-freien Stahl produzieren. Projektpartner des Konsortiums namens H2 Green Steel sind neben dem schwedischen Nutzfahrzeugbauer Scania, der zum VW-Konzern gehört, zwei deutsche Unternehmen: der Stahlhersteller Bilstein Gruppe und der Anlagenbauer SMS-Group.

Erstes Großprojekt für Wasserstoff-Stahl weltweit

H2 Green Steel will nicht weniger als die weltweit erste Anlage zur Massenproduktion von emissionsfreiem Stahl sprichwörtlich aus dem Boden stampfen: In der Stadt Boden nämlich - etwa 30 Kilometer von Luleå die Erzbahntrasse hinauf - soll auf der grünen Wiese eine komplette Produktionsanlage inklusive Wasserstoffproduktion entstehen. Ab 2026 soll das Werk jährlich 2,5 Millionen Tonnen Wasserstoff-Stahl produzieren, ab 2030 fünf Millionen Tonnen. Zum Vergleich: In ganz Deutschland werden pro Jahr rund 40 Millionen Tonnen Stahl hergestellt.

Den benötigten Wasserstoff will man selbst vor Ort aus Wasser erzeugen. Dafür will H2 Green Steel einen - geradezu monströsen - Elektrolyseur mit einer Leistung von 800 Megawatt bauen. Die größten Elektrolyseure haben heute eine Leistung im unteren zweistelligen Megawattbereich, andere Energiekonzerne wollen bis Mitte des Jahrzehnts an der Dreistelligkeit kratzen.

Riesige Mengen an nachhaltigem Strom benötigt

800 Megawatt – das allein sind aktuell zwei Prozent des durchschnittlichen Stromverbrauchs von ganz Schweden. Hinzu kommt die Energie, die für die Stahlproduktion selbst anfällt. Zwar sei man tunlichst auf Energieeffizienz bedacht, erklärte Maria Persson Gulda, Chief Project Officer und Chief Technical Officer von H2 Green Steel, bei der Online-Präsentation des Projekts. So werde etwa der erzeugte Stahl - im Unterschied zu herkömmlichen Verfahren - unmittelbar nach der Herstellung in die gewünschte Form gewalzt, ohne ihn zwischendurch erkalten zu lassen.

Schweden Lulea: Drei Eisbrecher warten auf ihren Einsatz
Ohne Eisbrecher geht im Hafen von Luleå im Winter nichts. Nun soll er für grünen Stahl ausgebaut werdenBild: Alexander Farnsworth/dpa/picture alliance

Aber auch H2 Green Steel wird den Stahl auf weit über tausend Grad erhitzen und dafür weitere Unmengen an Energie einsetzen müssen. Dass ein Teil der Abwärme in das lokale Fernwärmenetz gespeist werden, hilft zwar den Energieverbrauch der Region insgesamt etwas zu begrenzen. Es beantwortet aber nicht die Frage, wo all der grüne Strom herkommen soll, ohne den auch Wasserstoffstahl nicht emissionsfrei ist.

Nordschweden der ideale Standort?

Ein Schlüssel zu der Antwort ist die Standortwahl: Allein in Norrbotten betreibt Vattenfall 15 Wasserkraftwerke mit einer installierten Gesamtleistung von 4,3 Gigawatt. Kaum 100 Kilometer südlich entwickeln derzeit verschiedene Betreiberunternehmen das Windkraftareal Markbygden. Nach Fertigstellung soll es eine Kapazität von mehr als vier Gigawatt haben und damit der größte Onshore-Windpark Europas sein. Zusammen, heißt es bei H2 Green Steel, würden diese beiden Energiequellen einst jährlich 25 Terawattstunden erneuerbaren Strom generieren - fast ein Fünftel der aktuellen Stromproduktion des Landes.

Pressebild Vattenfall Stausee und Wasserkraftwerk Akkats
Rund 15 Terawattstunden Srom pro Jahr produzieren allein die Wasserkraftwerke in der schwedischen Nordprovinz NorrbottenBild: Jennie Pettersson/Vattenfall

Doch die reichen Quellen erneuerbarer Energie waren nicht das einzige Argument für Luleå beziehungsweise Boden: "Die Region ist wirklich das Bergbau- und Metall-Mekka von Schweden", erklärte Aufsichtsratmitglied Harald Mix bei der Projektvorstellung. Entsprechend groß sei die Expertise der Arbeitskräfte. Hinzu seien harte Standortfaktoren gekommen: die Größe des freien Geländes, ein direkter Anschluss an eine Höchstspannungsleitung mit 400 Kilovolt und natürlich die Nähe zu Erzbahn und Hafen. Letzterer soll nun für 1,7 Milliarden Kronen (rund 360 Millionen Euro) ausgebaut werden. Das Wasserstoff-Stahlwerk in Boden, heißt es beim Hafenbetreiber, könnte das Umschlagvolumen um 80 Prozent erhöhen.

Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.