"Nachhaltigkeit" - eine deutsche Erfindung
30. März 2013Was sich im 17. Jahrhundert in der Bergbaustadt Freiberg im sächsischen Erzgebirge abspielte, das war alles andere als nachhaltig. Der 32-jährige Hans Carl von Carlowitz (1645-1714) stieg 1677 in der Karriereleiter zum Oberberghauptmann auf und hatte fortan den Raubbau an der Natur durch heimische Erzbergwerke und Schmelzhütten zu beaufsichtigen.
Doch das, was der barocke Edelmann mit Perücke und Ritterrüstung in einem der damals wichtigsten Montanreviere Europas beobachten musste, machte ihn zunehmend wütend. Denn die holzbefeuerte Silberbergwerksproduktion vernichtete damals schonungslos die Wälder ringsum. Ein Hochofen verschlang im Jahr rund 20 Hektar Wald.
Von Carlowitz, der die Folgen des Raubbaus an den Wäldern durch Reisen nach Italien, Spanien und Frankreich bereits kannte, schwang sich zum lautstarken Kritiker des kurzfristigen Profitdenkens der Bergwerksbesitzer auf. Er forderte ein Ende des Raubbaus an den Wäldern - und in seinem Buch 'Syvicultura Oeconomica' (1713) ging er sogar noch weiter. Von Carlowitz verlangte von all jenen, die Holz verbrauchten, sich angemessenen an einer Wiederaufforstung und am Wiedererlangen eines Gleichgewichts zwischen Abholzung und Zuwachs zu beteiligen.
"Es dürfen nicht mehr Bäume gefällt werden, als neue nachwachsen", dieser Satz des sächsischen Oberberghauptmanns von Carlowitz gilt seither als Grundstein der modernen Forstwissenschaft. Und es stellte einen Perspektivwechsel dar, weg vom kurzfristigen Profitdenken hin zur Beachtung der Interessen zukünftiger Generationen.
Karriere auch auf der internationalen Bühne machte der im mittelalterlichen Sachsen geprägte Begriff der Nachhaltigkeit aber erst in den vergangenen 25 Jahren. 1987 erstmals in Dokumenten der sogenannten Brundtland-Kommission für UN-Berichte erwähnt, wird der Begriff „sustainable development“ mit der UN-Konferenz im brasilianischen Rio de Janeiro 1992 endgültig zum Leitgedanken für die globale Umweltbewegung.
Der forstwirtschaftliche Begriff des Carl von Carlowitz war damit zum Synonym für eine gerechte Welt im Einklang mit den natürlichen Ressourcen geworden. Nachhaltigkeitsrat, Nachhaltigkeitspreise, Nachhaltigkeitsstrategien: Kritiker bemängeln inzwischen, dass der Begriff zur Worthülse verkommen sei, die von Regierungen, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen für ihre jeweils unterschiedlichen Ziele benutzt werden könne.
Warum das Maßhalten das bessere Wirtschaften ist
Marlehn Thieme, Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung, will deshalb zurück zu den Wurzeln des Begriffs. Sie ist fasziniert vom Gedanken des Maßhaltens, den der grüne Vordenker von Carlowitz immer wieder betonte. "Nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im Regierungshandeln müssten wir als Gesellschaft noch mal überlegen, wie wir Ressourceneffizienz, Energieeffizienz und Kreislaufwirtschaft stärken können."
Dabei helfe es, sagt Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU), dass bereits im Jahr 1713 handfeste wirtschaftliche Interessen Antrieb für mehr Sparsamkeit beim Wirtschaften waren: "Holz war das Erdöl der damaligen Zeit und das war teuer", erinnert Pofalla, der als Schirmherr das Gedenken anlässlich '300 Jahre Nachhaltigkeit Made in Germany’ leitet - und damit auch auf die 2008 verabschiedete Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung aufmerksam machen möchte.
Ideologische Grabenkämpfe zwischen Naturschützern auf der einen und Wirtschaftsvertretern auf der anderen Seite gehören seiner Ansicht nach inzwischen der Vergangenheit an. "Heute wissen wir, dass Nachhaltigkeit und Wirtschaft sehr wohl zueinander passen, vor allem dann, wenn wir Wirtschaftswachstum und Bruttosozialprodukt anfangen neu zu definieren."
Für Olaf Tschimpke, Vorsitzender der Umweltschutzorganisation NaBu, besteht dieser Widerspruch dagegen solange weiter, wie die Leistungen der Natur nicht angemessen wirtschaftlich berücksichtigt werden. "Die 23 Regenwurmarten in Deutschland sind mindestens so wichtig für Deutschlands Produktivität wie die Deutsche Bank, weil die Regenwürmer den Boden herstellen, von dem wir alle leben."
Nachhaltigkeit - ein deutscher Exportschlager?
Wie die 300 Jahre alte Idee der Nachhaltigkeit in Schwellen- und Entwicklungsländern gelebt werden kann, das ist für Tanja Gönner die Herausforderung der Zukunft. Für die im Juli vergangenen Jahres neu ins Amt gewählte Vorstandssprecherin der deutschen Entwicklungshilfeorganisation GIZ sind die Carlowitz’schen Vorstellungen dabei Kompass und Ziel zugleich. Denn der tägliche Bedarf an Feuerholz habe zahlreiche Länder Afrikas, Lateinamerikas und Asiens nahezu entwaldet, beklagt Gönner.
"Dort die Begrifflichkeit der nachhaltigen Forstwirtschaft einzuführen und darauf zu achten, dass Holz auch nachwachsen kann, das halte ich für eine ganz wesentliche Zukunftsvorsorge." Deutschlands Entwicklungshilfeorganisation GIZ leiste hierbei einen wichtigen Beitrag, sagt Gönner, indem die Organisation beispielsweise die Einführung von Ofensystemen in lokalen Märkten unterstütze, die mit der Hälfte des zuvor genutzten Feuerholz die gleiche Menge an Nahrung kochen können.
Zur Nachhaltigkeit gehöre neben mehr Ressourcen- und Energieeffizienz aber auch ein umfassendes Maß an politischer Beteiligung, sagt Gönner. "Gerade in Systemen mit sehr fragiler Demokratie ist es notwendig, möglichst viele an einen Tisch zu holen und mit ihnen etwas gemeinsam zu entwickeln." Die Wahrscheinlichkeit, dass das gemeinsam Erarbeitete dann auch umgesetzt werde, sei deutlich höher als per Dekret erteilte Befehle.
Damit wird das Streben nach Nachhaltigkeit auch in Zukunft ein mühsamer, aufreibender Prozess bleiben. Ein Umstand, vor dem wohl auch schon der Erfinder des deutschen Nachhaltigkeitsbegriffs Carl von Carlowitz vor 300 Jahren nicht die Augen verschloss. Denn während er das Wort „Nachhaltigkeit“ in seinem vielzitierten Standardwerk nur ein Mal erwähnt, nutzt er den Begriff "Fleiß" dagegen ganze 52 Mal. Ein Fingerzeig für alle jene, die auch zukünftig nach Nachhaltigkeit streben wollen.