Nachwahlen für Chávez
4. Juni 2004Im April 2002 überstand er einen Putschversuch, zum Jahreswechsel 2002/03 überdauerte er einen mehrmonatigen Unternehmerstreik, der Venezuelas Wirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs geführt hatte. Nach einem gescheiterten ersten Anlauf im Dezember 2003 wird sich der umstrittene venezolanische Staatschef Hugo Chávez nun einem Amtsenthebungsreferendum stellen. Nachdem der Nationale Wahlrat am 3.6.04 "grünes Licht" für die Volksabstimmung gegeben hatte, sagte Chávez, er werde "die Herausforderung annehmen". Bei einer landesweiten Unterschriftenaktion votierten nach Angaben der Wahlbehörde 2,451 Millionen für eine solche Abstimmung und brachten den Stein damit ins Rollen.
Opfer seiner eigenen Rechtmäßigkeit?
Chávez habe damit als echter Demokrat gehandelt, sagt Lateinamerika-Expertin Susanne Gratius im Gespräch mit DW-WORLD. Der linksnationalistische Chávez selbst hatte 1999 in der neuen Verfassung für Venezuela die Möglichkeit festgeschrieben, ein solches Referendum einzuberufen, wenn mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten das fordern.
Die Anhänger Chávez sind weniger geworden. Er trat als Anwalt der Armen an, wurde aber bald als Populist beschimpft. Nicht zuletzt auch wegen der wiederholten Angriffe der Opposition konnte Chávez politisch nur eingeschränkt handeln. Dennoch hat er einiges verändert bzw. auf den Weg gebracht: Eine neue Verfassung, ein liberaleres Mediengesetz, institutionelle Reformen und ein breit angelegtes Sozialprogramm. Die Wirtschaftszahlen allerdings sehen düster aus: Die Inflation explodiert, das Bruttoinlandsprodukt fällt, die Arbeitslosigkeit steigt weiter auf hohem Niveau.
Wie das Referendum ausgehen wird, lässt sich schwer vorhersagen, sagt Susanne Gratius von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Medienberichten zufolge ermittelte das Keller-Institut eine Zustimmung von 35 Prozent, 31 Prozent Ablehnung und 34 Prozent Stimmenthaltung. Solche Umfragen müssten jedoch mit Vorsicht bewertet werden, da sie meist parteipolitisch beeinflusst seien.
Offenes Ende
Die Wahlbehörde teilte vorerst keinen Termin für die Volksabstimmung mit. Nach der venezolanischen Verfassung müsste es bis Anfang August stattfinden. Die Regierung gab zunächst keine Stellungnahme ab. Am vergangenen Sonntag (30.5.) hatte Chávez dem im Konflikt vermittelnden Ex-US-Präsidenten Jimmy Carter versichert, er wolle sich dem "Referendum aussetzen". Ob er eine Abwahl akzeptiere, sei allerdings eine andere Frage. Er würde die Wahl in Frage stellen, einen Rechtsstreit provozieren und letztlich Neuwahlen ausrufen lassen, vermutet Gratius. Allerdings sei im Moment rechtlich noch unklar, ob Chávez wieder zur Wahl antreten könnte.
Die Bevölkerung Venezuelas ist in zwei Lager gespalten. Während das eine Chávez als Vorkämpfer der Armen betrachtet, sieht das andere Lager in dem Präsidenten einen autokratischen Staatschef ohne wirtschaftspolitische Kompetenz. Bei Zusammenstößen zwischen Regierungsanhängern und -gegnern hatte es mehrfach Tote und Verletzte gegeben. 80 Prozent der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze.
Keine Beruhigung
Würde die Volksbefragung Chávez das Vertrauen entziehen, sich die Opposition also durchsetzen, bliebe die Lage in Venezuela auch weiterhin instabil. Die Chávez-Gegner bilden kein einheitliches Lager. Sie setzen sich zusammen aus Unternehmern, Gewerkschaften, Traditionsparteien, der Kirche und den meisten Medien. Ein Kandidat für das Präsidentenamt sehe sie nicht, sagt Gratius.
Gesetzt den Fall, Chávez würde mit einem Referendum im Amt bestätigt, könnte er bis 2007 im Amt bleiben. Doch Gratius erwartet nicht, dass damit Ruhe ins Land einziehen würde. Die Gegner würden zu einem neuen Schlag ausholen und weiterhin Konfrontation erzwingen.
Eine schmierige Angelegenheit
Die Zukunft des lateinamerikanischen Landes wird auf jeden Fall von hohem internationalen Interesse bleiben. Venezuela ist der drittgrößte Erdölproduzent und der fünftgrößte Erdölexporteur der Welt, allein die USA beziehen 15 Prozent ihres Ölverbrauchs aus Venezuela. Das Land ist eigentlich ein reiches Land. Der Reichtum allerdings wurde nicht zum Nutzen der Gesamtbevölkerung eingesetzt, sondern floss in die Taschen der "Oligarchie", erklärt der Berliner Politikwissenschaftler Dario Azzellini. Dieser wohlhabenden Gesellschaftsschicht hatte Chávez den Kampf angesagt, waren sie doch in zahllosen Korruptionsaffären verwickelt.