Nahost aktuell: Militär dringt ins Al-Schifa-Krankenhaus ein
Veröffentlicht 15. November 2023Zuletzt aktualisiert 15. November 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- Israelischer Militär-Einsatz im Al-Schifa-Krankenhaus
- USA: Al-Schifa-Klinik ist Hamas-Schaltzentrale
- UN: Nur eine Klinik im Norden des Gazastreifens in Betrieb
- Zehntausende demonstrieren in Washington für Israel
Die israelische Armee ist nach eigenen Angaben mit einem "gezielten" Einsatz gegen die Terrororganisation Hamas im Al-Schifa-Krankenhaus im Gazastreifen vorgegangen. "Auf der Grundlage nachrichtendienstlicher Informationen (...) führen israelische Verteidigungskräfte eine präzise und gezielte Operation gegen die Hamas in einem bestimmten Bereich des Al-Schifa-Krankenhauses aus", hieß es in einer Erklärung des Militärs. Der Einsatz ziele auf eine mutmaßliche Kommandozentrale der Hamas ab. "Bevor unsere Soldaten in das Krankenhaus vorgedrungen sind, waren sie mit Sprengsätzen und Gruppen von Terroristen konfrontiert. Es folgten Kämpfe, bei denen Terroristen getötet wurden", teilte das Militär weiter mit. Im Armeeradio war von fünf Toten die Rede.
Der Sprecher der IDF, Oberstleutnant Richard Hecht, sagte, die israelischen Streitkräfte würden die Situation vorsichtig angehen.
Die israelische Armee wirft der Terrororganisation Hamas vor, ihr militärisches Hauptquartier in Tunneln unter dem größten Krankenhaus des Palästinensergebiets errichtet zu haben. Bei dem stundenlangen Militäreinsatz fanden israelische Soldaten Berichten zufolge Waffen der islamistischen Hamas. Es gab demnach aber zunächst keine Hinweise darauf, dass in der Klinik in der Stadt Gaza auch Geiseln festgehalten werden, wie israelische Medien unter Berufung auf die Armee meldeten. Israels Streitkräfte hofften aber, in dem Klinikkomplex Informationen über den Verbleib der am 7. Oktober bei der Hamas-Terrorattacke aus Israel verschleppten Geiseln zu finden.
Bei dem Einmarsch in das größte Krankenhaus im Gazastreifen sei es nicht zu Spannungen zwischen den Truppen und Patienten oder Personal gekommen, hieß es weiter. Zivilisten, die von der Hamas als menschliche Schutzschilde benutzt würden, solle kein Schaden zugefügt werden, sagte Armeesprecher Daniel Hagari. Israels Militär habe zuvor auch eine "großangelegte Evakuierung des Krankenhauses ermöglicht und einen regelmäßigen Dialog mit den Krankenhausbehörden geführt".
Armeesprecher Oberstleutnant Richard Hecht erläuterte der Deutschen Welle, dass Vorkehrungen getroffen würden, um sicherzustellen, dass Babys und andere Zivilisten nicht in die Kämpfe im Krankenhaus verwickelt würden. "Leider mussten wir feststellen, dass die Hamas in der Nähe des Krankenhauses, vielleicht sogar unter dem Krankenhaus, aktiv ist, und wir mussten nachsehen", sagte Hecht weiter. "Wir taten dies auf die vorsichtigste Art und Weise, die möglich war, und brachten medizinisches Personal, humanitäre Ausrüstung und Inkubatoren hinein."
Derweil hat sich die israelische Armee nach Angaben eines vor Ort anwesenden Journalisten aus dem Al-Schifa-Krankenhaus zurückgezogen. Soldaten und Panzer der israelischen Armee hätten das Gelände des Krankenhauses am Mittwochabend verlassen und um die Anlage herum Stellung bezogen, berichtete der Journalist, der mit der französischen Nachrichtenagentur AFP zusammenarbeitet. Die israelische Armee äußerte sich auf Anfrage zunächst nicht.
USA: Hamas-Einrichtung in Klinik "ein Kriegsverbrechen"
Amerikanische Geheimdienstinformationen stützen die israelischen Erkenntnisse. Die Hamas und die militante Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad betrieben vom Al-Schifa-Krankenhaus aus einen "Kommando- und Kontrollknoten", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, vor Journalisten. Wahrscheinlich würden dort auch Ausrüstung und Waffen gelagert. Generell nutze die Hamas Krankenhäuser und darunter liegende Tunnel in Gaza, um ihre Militäroperationen zu verbergen und voranzutreiben und um Geiseln festzuhalten.
Die Nutzung der Al-Schifa-Klinik für militärische Zwecke sei ein Kriegsverbrechen, betonte Kirby. Die Hamas habe sich unter die Zivilbevölkerung gemischt. Er betonte, hilflose und kranke Zivilisten, die lediglich versuchten, medizinische Versorgung zu bekommen, dürften nicht ins Kreuzfeuer geraten.
In der Umgebung der größten Klinik des Gazastreifens gibt es seit Tagen heftige Gefechte. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) sitzen mindestens 2300 Menschen - Patienten, medizinisches Personal und Geflüchtete - auf dem Gelände des Krankenhauses fest.
Netanjahu: Kein sicherer Ort mehr für Hamas in Gaza
Vor dem Hintergrund wachsender internationalen Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs im Gazastreifen hat Regierungschef Benjamin Netanjahu bekräftigt, sein Land werde sicherstellen, dass es "keinen sicheren Ort" mehr für die radikalislamische Hamas-Organisation im Gazastreifen geben werde.
Stunden nach der Erstürmung des Al-Schifa-Krankenhauses in der Stadt Gaza durch israelische Soldaten sagte Netanjahu beim Besuch eines Militärstützpunkts in Israel: "Wir werden die Hamas aufspüren und vernichten, und wir werden die Geiseln zurückbringen." Diese beiden Missionen seien "heilig", betonte der Regierungschef. Es gebe keinen Ort im Gazastreifen, den Israel nicht erreichen werde, "keinen Unterschlupf für die Mörder der Hamas".
OCHA: Nur Al-Ahli-Klinik nimmt noch Patienten auf
Im nördlichen Gazastreifen nimmt nach UN-Angaben mittlerweile nur noch ein Krankenhaus Patienten auf. Das Al-Ahli-Krankenhaus in der Stadt Gaza sei als einziges noch im Minimal-Betrieb, teilte das UN-Nothilfebüro OCHA mit. In der Klinik seien derzeit etwa 500 Patienten untergebracht. "Alle anderen haben den Betrieb wegen eines Mangels an Strom, medizinischem Material, Sauerstoff, Essen und Wasser eingestellt." Die Lage werde "verschlimmert durch Bombardements und Kämpfe in ihrer Umgebung", hieß es von OCHA weiter.
Tankwagen liefert Treibstoff in den Gazastreifen
Erstmals seit Beginn der Kämpfe ist ein mit Treibstoff beladener Lastwagen von Ägypten aus über den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen gefahren. Der Tank-Lastwagen sei auf palästinensischer Seite angekommen, bestätigte ein Sprecher des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA. Die Lieferung sei möglich geworden nach intensiven Gesprächen der Geheimdienste Ägyptens, Israels und der USA, hieß es aus ägyptischen Sicherheitskreisen.
Nach Angaben der für Kontakte mit den Palästinensern zuständigen israelischen Behörde COGAT (Coordination of Government Activities in the Territories) handelt es sich bei dem Treibstoff um Diesel. Der Leiter des UNRWA im Gazastreifen, Thomas White, äußerte sich kritisch zu der Lieferung. "Das sind nur neun Prozent dessen, was wir täglich brauchen, um lebensrettende Aktivitäten fortzusetzen", schrieb er auf der Plattform X.
Die 23.027 Liter Treibstoff - ein halber Tanklastwagen - dürften nach Vorgaben Israels zudem nur dazu verwendet werden, um Hilfslieferungen von Rafah aus zu transportieren. Für Krankenhäuser dürfe die Lieferung nicht verwendet werden. UNRWA hatte gewarnt, dass die humanitäre Unterstützung für die Menschen im Gazastreifen wegen des Mangels an Treibstoff bald zusammenbrechen wird.
Pro-Israel-Kundgebung in Washington
Zehntausende Menschen haben in der US-Hauptstadt bei einer Kundgebung ihre Solidarität mit Israel ausgedrückt. Gleichzeitig verurteilten sie bei dem "Marsch für Israel" auf Plakaten und Bannern Antisemitismus und forderten die umgehende Freilassung der von der islamistischen Hamas in den Gazastreifen verschleppten 240 Geiseln.
Auch in den USA hat die Zahl antisemitischer Übergriffe zuletzt zugenommen. Gleichzeitig wächst die Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung von Benjamin Netanjahu.
Marsch zur Freilassung der Geiseln
In Israel haben Angehörige und Freunde der Geiseln einen Marsch für die Freilassung der Verschleppten begonnen. Sie starteten in der Küstenmetropole Tel Aviv und wollen am Samstag im knapp 70 Kilometer entfernten Jerusalem ankommen. Dort wollen sie zum Amtssitz von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ziehen, wie die Organisatoren mitteilten.
US-Präsident Joe Biden hat sich optimistisch über die Aussichten auf eine Vereinbarung zur Freilassung der Hamas-Geiseln gezeigt. "Ich spreche jeden Tag mit Menschen, die darin involviert sind", sagte Biden am Dienstag zu Journalisten. "Ich glaube, es wird passieren, aber ich will nicht ins Detail gehen."
Hamas-Terroristen hatten bei ihrem Überfall auf Israel am 7. Oktober etwa 1200 Menschen getötet und rund 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israel erklärte der Hamas daraufhin den Krieg und greift seither massiv Ziele in Gaza an. Die Hamas wird von Israel, Deutschland, der EU, den USA und anderen Staaten als Terrororganisation gelistet.
se/wa/pg/sti/ie/uh/kle/apo (dpa, rtr, afp, ap, kna)