Nahost aktuell: UN-Sicherheitsrat fordert humanitäre Pausen
16. November 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- UN-Sicherheitsrat verlangt ausgedehnte "humanitäre Pausen" in Gaza
- Israel: Keine humanitären Feuerpausen ohne Geiselfreilassung
- Israel meldet Fund einer toten Geisel beim Al-Schifa-Krankenhaus
- Armee ruft erstmals Einwohner im südlichen Gazastreifen zur Flucht auf
- Israel meldet Übernahme des Hafens in Gaza
Der Weltsicherheitsrat in New York hat "ausgedehnte humanitäre Pausen" für den Gazastreifen gefordert. Nach wochenlangem Ringen stimmte das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen (UN) mit einer klaren Mehrheit von zwölf der 15 Mitgliedstaaten für die entsprechende von Malta vorgelegte Resolution. Die USA, Großbritannien und Russland enthielten sich. Es ist die erste Resolution des UN-Sicherheitsrats zu dem Konflikt seit dem beispiellosen Angriff der islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober.
Der UN-Text verlangt "humanitäre Pausen für eine ausreichende Zahl von Tagen", damit Hilfsgüter in das Palästinensergebiet gebracht werden können. Ausgedrückt wird die "tiefe Besorgnis über die humanitäre Lage im Gazastreifen und ihre schwerwiegenden Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, insbesondere die unverhältnismäßigen Auswirkungen auf Kinder".
Alle Konfliktparteien werden zur Einhaltung des Völkerrechts angehalten. Eine "Zwangsumsiedlung der Zivilbevölkerung" werde abgelehnt, lebensnotwendige Dienste dürften den Menschen in Gaza nicht vorenthalten werden, heißt es weiter. Außerdem werden die militant-islamistische Hamas und "andere Gruppen" dazu aufgefordert, sofort alle Geiseln freizulassen, "insbesondere Kinder". Die Hamas wird von Israel, Deutschland, der EU, den USA und anderen Staaten als Terrororganisation gelistet.
Israel wird im gesamten Dokument namentlich nicht erwähnt. Resolutionen des UN-Sicherheitsrats sind völkerrechtlich bindend.
Israel: Keine Feuerpausen ohne Geiselfreilassung
Die israelische Regierung lehnt längere humanitäre Feuerpausen im Gazastreifen ab, solange weiter 239 Geiseln in der Gewalt der islamistischen Terrororganisation Hamas sind. Das Außenministerium in Jerusalem teilte diese Haltung als Reaktion auf die Resolution des Weltsicherheitsrats mit. "Israel ruft den Weltsicherheitsrat und die internationale Gemeinschaft dazu auf, entschlossen die Freilassung aller israelischen Geiseln zu fordern, wie es die Resolution festlegt", heißt es in der Stellungnahme des Ministeriums weiter. Israel erwarte vom UN-Sicherheitsrat, die Hamas eindeutig zu verurteilen und sich zu der Notwendigkeit zu äußern, im Gazastreifen eine neue Sicherheitslage zu schaffen", erklärte das Außenministerium.
US-Botschafterin: Keine Kämpfe in Gaza-Kliniken
Nach der Annahme der Resolution mit der Forderung nach Feuerpausen hat die US-amerikanische UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield klargestellt, es dürfe keine Kämpfe in Kliniken geben. Die Vereinigten Staaten wollten keine Feuergefechte in Krankenhäusern, wenn unschuldige Menschen, hilflose Menschen, kranke Menschen versuchten, medizinische Versorgung zu bekommen, sagte Thomas-Greenfield in New York. Patienten müssten geschützt werden.
Die Konfliktparteien müssten das Völkerrecht achten, auch Israel, sagte die UN-Diplomatin. "Die Maßnahmen der Hamas verringern nicht die Verantwortung Israels, unschuldige Menschen in Gaza zu schützen", so Thomas-Greenfield.
Israel meldet Fund einer toten Geisel beim Al-Schifa-Krankenhaus
Die israelischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben die Leiche einer Geisel aus einem Nachbargebäude des Al-Schifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt geborgen. Die tote Frau wurde demnach nach Israel gebracht und dort identifiziert. Die genaue Todesursache wurde zunächst nicht mitgeteilt. Die Frau sei am 7. Oktober bei dem Massaker der Hamas aus dem israelischen Grenzort Beeri entführt worden. In dem Gebäude, in dem Streitkräfte die Leiche entdeckten, fanden sie nach eigenen Angaben auch militärische Ausrüstung wie Maschinenpistolen und Panzerfäuste.
Israel ruft Einwohner im Süd-Gazastreifen zur Flucht auf
Erstmals seit Beginn des Kriegs gegen die Terrororganisation Hamas hat die israelische Armee nach Medienberichten nun auch Einwohner des südlichen Gazastreifens dazu aufgerufen, aus ihren Wohnorten zu fliehen. Der Armeesender und die Nachrichtenseite ynet berichteten, im östlichen Teil der Stadt Chan Junis seien Flugblätter in arabischer Sprache abgeworfen worden. Die Bevölkerung solle sich in Sicherheit bringen, die Armee wolle nicht, dass Zivilisten zu Schaden kämen, heiße es darin.
Die Menschen sollten sich in die bekannte sichere Zone begeben, schrieb ynet weiter. Diese Zone liege weiter westlich am Meer. Nach UN-Angaben sind inzwischen knapp 1,6 Millionen der 2,2 Millionen Einwohner des palästinensischen Küstengebiets vor Kämpfen geflohen.
UN-Hilfswerk beherbergt 630.000 Geflohene
Zunächst hatte das israelische Militär die Zivilbevölkerung im Norden des Gazastreifens, einschließlich der Stadt Gaza, dazu aufgerufen, sich in den Süden des Gebiets zu begeben und dafür mehrfach stundenweise Fluchtkorridore ausgewiesen.
Allein seit dem 5. November sind laut den Vereinten Nationen etwa 200.000 Menschen in den Süden des abgeriegelten Küstengebiets geflohen. Das UN-Hilfswerk für Palästinenser (UNRWA) gibt an, in seinen Gebäuden im südlichen Teil des Gazastreifens - darunter viele Schulen - aktuell gut 630.000 Binnenflüchtlinge zu beherbergen.
Hamas-Waffen und Kommandozentrum in Klinik
Die israelische Armee hat bei ihrer Durchsuchung des Al-Schifa-Krankenhauses in der Stadt Gaza nach eigenen Angaben Waffen, Militärtechnologie, geheimdienstliches Material und ein Kommandozentrum der Hamas entdeckt. In der Klinik sei ein "operatives Hauptquartier" der radikalislamischen Palästinenserorganisation mit Kommunikationsausrüstung gefunden worden, sagte Armeesprecher Daniel Hagari am Mittwochabend. Er betonte: "Wir haben den Beweis, dass das Krankenhaus im Widerspruch zum Völkerrecht militärischen und terroristischen Zwecken diente." Die Hamas wies dies zurück.
Israelische Soldaten waren in der Nacht zum Mittwoch in den Al-Schifa-Gebäudekomplex vorgedrungen. Die israelische Armee sprach von einem "präzisen und gezielten" Militäreinsatz gegen die Hamas. Am Mittwochabend zog sich das Militär aus dem größten Krankenhaus im Gazastreifen zurück. Soldaten und Panzer bezogen um die Anlage herum Stellung, wie Augenzeugen berichteten.
Israel greift erneut Hisbollah-Ziele im Libanon an
Israelische Kampfflugzeuge hätten mehrere Stellungen der Hisbollah angegriffen, teilten Israels Streitkräfte mit. Zudem hätten Soldaten einen Terroristen beschossen, der im Libanon nahe der nordisraelischen Ortschaft Schlomi aktiv gewesen sei. Die schiitische Bewegung wird von Israel, Deutschland, den USA und mehreren sunnitischen arabischen Staaten als Terrororganisation geführt.
Der arabische Fernsehsender Al-Majadin berichtete, ein israelisches Kampfflugzeug habe im Libanon mehrere Ziele im Bereich der gemeinsamen Grenze angegriffen. Libanesische Sicherheitskreise bestätigten Angriffe Israels mit Kampfflugzeugen sowie mit Artillerie. Die staatliche Nachrichtenagentur NNA berichtete, Israel habe weitere Ziele im östlichen Gebiet der Grenze angegriffen.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs am 7. Oktober kommt es an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon immer wieder zu Konfrontationen zwischen der israelischen Armee und der libanesischen Hisbollah-Miliz. Auf beiden Seiten gab es bereits Todesopfer. Es ist die schwerste Eskalation seit dem zweiten Libanon-Krieg im Jahre 2006.
Vier Verletzte bei bewaffnetem Angriff nahe Jerusalem
Mutmaßlich palästinensische Angreifer haben nach Polizeiangaben an einer israelischen Militärsperre südlich von Jerusalem das Feuer eröffnet. Nach Angaben des Rettungsdienstes Magen David Adom wurden dabei mindestens vier Menschen verletzt. Einer der Verletzten schwebe in Lebensgefahr.
Nach Medienberichten sagte der Leiter des Rettungsdienstes, Eli Bin, die drei Angreifer seien getötet worden. Nach Polizeiangaben wurden bei ihnen zwei Pistolen und ein Sturmgewehr gefunden. Die Polizei geht nach Medienberichten davon aus, dass die Tatverdächtigen nach Jerusalem gelangen und dort einen größeren Anschlag verüben wollten.
EU-Chefdiplomat mahnt Israel: Ein Horror rechtfertigt keinen anderen
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat bei Gesprächen in Israel mit deutlichen Worten dazu aufgerufen, beim Kampf gegen die Hamas mehr für den Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu tun. "Ein Horror rechtfertigt keinen anderen", sagte er am Rande eines Treffens mit dem israelischen Außenminister Eli Cohen. In den vergangenen Wochen seien unschuldige Zivilisten ums Leben gekommen, darunter auch Tausende Kinder. Zudem wisse man, dass Menschen gezwungen würden, ihre Häuser zu verlassen und Nahrungsmittel, Wasser, Treibstoff und Schutz benötigten.
Er verstehe die Wut nach den Taten der Hamas-Terroristen, aber er bitte darum, sich selbst nicht von Wut aufzehren zu lassen, fügte Borrell hinzu. Eine zivilisierte Gesellschaft unterscheide sich dadurch von einer Terrorgruppe, dass sie das menschliche Leben achte. Die Hamas müsse geschlagen werden, aber sie repräsentiere nicht das palästinensische Volk.
Cohen hingegen betonte nach Angaben seines Büros, Israel werde so lange weiterkämpfen, wie es zur Zerstörung der Hamas nötig sei und bis man alle 239 Geiseln zurückgebracht habe.
Israel meldet Übernahme des Hafens in Gaza
Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben die operative Kontrolle über den Hafen der Stadt Gaza im nördlichen Gazastreifen übernommen. Bei dem Militäreinsatz mit Unterstützung der Marine und der Luftwaffe seien auch zehn Terroristen getötet worden, teilte die Armee mit. Der Hafen sei zuvor durch die islamistische Hamas kontrolliert worden. Bei dem Einsatz seien zehn Tunnelschächte und weitere Terrorinfrastruktur zerstört worden, hieß es weiter.
se/wa/pg/sti/cwo/ie/kle/rb (dpa, afp, rtr, ap)