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Profillose Extremisten

Daniel Heinrich 9. Juni 2015

Niederlage für die AKP, Sieg für die Kurden, blasse Kemalisten: Kaum jemand spricht über die MHP. Die türkischen Nationalisten bilden seit Jahren die drittstärkste Kraft im Land. Daniel Heinrich berichtet aus Istanbul.

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Fahne der Partei MHP in der Türkei
Bild: Reuters/O. Orsal

Kennen Sie Devlet Bahçeli? Nein? Das ist schade, denn dem Wirtschaftswissenschaftler aus Osmaniye, einer Stadt im Südosten der Türkei, kommt womöglich die entscheidende Rolle bei der Regierungsbildung in der Türkei zu. Bahçeli, Jahrgang 1948, nicht verheiratet, keine Kinder, ist der Parteivorsitzende der MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung). Und er könnte zum Königsmacher einer neuen türkischen Regierung werden. Sofern er denn möchte. Seine Partei ist mit 80 Sitzen im neuen türkischen Parlament vertreten und verfügt damit über genauso viele Sitze wie die pro-kurdische HDP (Demokratische Partei der Völker).

Bahçeli zählt zu den Gewinnern der Parlamentswahlen am Sonntag. 28 zusätzliche Sitze hat er mit seiner Partei errungen. Von ihm hängt es nun maßgeblich ab, wie es weitergeht im Land, ob es zu einer Koalitionsregierung kommt, oder zu Neuwahlen. Sowohl die AKP wie auch die CHP kommen als direkte Koalitionspartner in Betracht. Allein eine Koalition mit der pro-kurdischen HDP scheint abwegig. Denn der Name der "Partei der Nationalistischen Bewegung" ist Programm, die Parteiflagge mit ihren drei Halbmonden, einstmals Zeichen der osmanischen Truppen (Titelbild), nicht zufällig gewählt.

Festung gegen Feinde der Türkei

Devlet Bahceli Graue Wölfe MHP Türkei
Zählt zu den Gewinnern der Parlamentswahlen: Devlet BahceliBild: picture alliance/AA/M. Ali Ozcan

Die Partei existiert, unter unterschiedlichen Namen, seit 1969 und vertritt vor allem denjenigen Teil der türkischen Bevölkerung, der das Land von äußeren Einflüssen bedroht sieht. In den siebziger Jahren waren das vor allem Linksextremisten und Kommunisten. Insbesondere bis zum Militärputsch 1980 verstand sich die Partei mit ihren paramilitärischen Strukturen (Kommandos) und militanten "Idealistenvereinen" (Ülkü Ocakları) als inoffizielles Bollwerk gegen die "Feinde der Türkei". Mit dem Niedergang des Kommunismus Ende der 1980er Jahre zeigte die Partei durchaus Flexibilität bei der Auswahl ihrer Gegner: Ob Juden, Amerikaner, Europäer, Aleviten, Christen, oder Kurden. Sie alle gefährden, laut der nationalistischen Doktrin der MHP, die Existenz der Türkei.

Nach dem Tod des Ex-Militärs und Parteigründers, Alparslan Türkeş, hält Devlet Bahçeli die Partei seit 1997 fest in seinem Griff. Auch bei den Auslandstürken kann Bahçeli auf eine stabile Unterstützergruppe bauen. Bei seinem Deutschland-Besuch in Oberhausen Anfang Mai jubelten im zehntausende Anhänger zu. Und Bahceli lieferte: "Wie ein Fels in der Brandung" würden die in Deutschland lebenden Türken Angriffen auf ihre Kultur, Sprache und Religion standhalten.

Profillosigkeit als Mittel zum Erfolg

Mit Ausnahme nationalistischer Rhetorik kommt allerdings nicht viel. Politische Inhalte? Fehlanzeige. Selbst jetzt, wo allenthalben in der Türkei diskutiert wird, bleiben die Aussagen merkwürdig schwammig. Blitzumfrage auf den Straßen Istanbuls: "Bahçeli? Der mag keine Kurden" erzählen die meisten. Ansonsten viel Schulterzucken. Nach längerer Suche dann doch noch ein wenig mehr Inhalt: "Das sind alles Ex-Militärs, die der großen osmanischen Vergangenheit nachtrauern und den sunnitischen Islam hochhalten," erzählt der Besitzer eines Buchladens.

Türkei Parlamentswahl Anhänger Selahattin Demirtas
HDP-Anhänger nach der Wahl, vorne links Parteichef DemirtasBild: DW/D. Heinrich

Damit trifft er den Kern des politischen Inhaltes der Partei. Im Tenor liegt Bahçeli nicht weit weg von der bisherigen Regierungspartei AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung). Allein in der Kurdenpolitik ist die Politik der AKP den Ultranationalisten viel zu soft. Eine Annäherung lehnen sie rundweg ab. Das Rezept geht auf. Schon seit Jahren liegt die MHP hinter der AKP und CHP (Republikanische Volkspartei) auf Rang drei in der türkischen Parteienlandschaft.

Zug zur Macht als Erklärung für den Wahlkampf ?

Umso interessanter, dass Bahçeli kaum offen Wahlkampf gegen die pro-kurdische HDP gemacht hat. Ein machtpolitisch-motiviertes Manöver um die AKP zu schwächen und sich selbst eine bessere Ausgangslage zu verschaffen? Heißt es doch auf der Homepage der Partei ganz klar: "Das Wohl der Türkei ist über das Interesse der Partei zu stellen“. Schon von 1999 bis 2002 als stellvertretender Ministerpräsident zeigte sich Bahçeli sehr flexibel und lenkte die Geschicke des Landes in einer Koalition mit der DSP (Demokratische Linkspartei) und der ANAP (Mutterlandspartei). Vor diesem Hintergrund ist der Wahlausgang vom Sonntag ein Erfolg. Andererseits könnte es sein, dass sich Bahçeli und die MHP verrechnet haben. Denn mit schwammigen Appellen an den Nationalstolz mag man in der Opposition punkten. Einer Regierungspartei stehen sie schlecht zu Gesicht.