Streit um den EU-Haushalt
30. April 2012Als die Europäische Kommission kürzlich vorschlug, den EU-Haushalt 2013 um fast 7 Prozent zu steigern, da drohten Politikern in Berlin, London oder Den Haag die Kaffeetassen aus der Hand zu fallen. Wie konnte die Kommission das Brüsseler Budget deutlich erhöhen wollen und gleichzeitig den Mitgliedsstaaten einen strengen Sparkurs verordnen? Es hagelte Kritik. Doch EU-Haushaltskommissar Janusz Lewandowski ließ sich nicht beirren. "Unser Haushalt ist ein bescheidener Haushalt. Er ist weder Ursache noch Lösung der Verschuldungs- und Defizitprobleme eines Mitgliedsstaates." Lewandowski verteidigt die Steigerung vor allem mit zwei Gründen. Einmal liegt 2013 am Ende einer mehrjährigen Finanzperiode. Dann häufen sich die Zahlungen für viele Langzeitprojekte. Und zweitens hätten die Mitgliedsstaaten frühere Jahreshaushalte zu sehr gestutzt. Das müsse nun ausgeglichen werden. Für 2012 zum Beispiel wollte die Kommission 5 Prozent mehr, am Ende waren es gerade mal 2 Prozent.
"Das löst nicht Schäubles Probleme"
Den Nettozahlern, zum Beispiel Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden, geht es aber nicht nur um den nächsten EU-Jahreshaushalt. Sie wollen gleich die gesamte mehrjährige Finanzplanung 2014 bis 2020 zurechtstutzen. Rund eine Billion verlangte die Kommission schon letzten Sommer für die Gesamtperiode. Werner Hoyer, damals Staatsminister im Auswärtigen Amt, lehnte umgehend ab. "Wenn wir in unseren nationalen Haushalten schmerzhafte Einschnitte machen müssen", solle die Kommission ebenfalls mindestens 100 Milliarden abspecken. Doch auch wenn es hier um gewaltige Summen geht, ist der EU-Haushalt im Vergleich zu den nationalen Haushalten doch eher klein. Allein der deutsche Bundeshausalt etwa ist rund dreimal so groß wie das gesamte EU-Budget. Auf die Größenverhältnisse macht auch Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, aufmerksam. Setzt sich Deutschland mit seiner Sparforderung an Brüssel durch, so Schulz, würde der deutsche Finanzminister gerade mal eine Milliarde Euro jährlich weniger nach Brüssel überweisen. "Sie glauben doch nicht, dass eine Milliarde mehr für Wolfgang Schäuble dessen Probleme lösen würde!"
Investitionen, die allen nützen
Andererseits seien viele Mitgliedsstaaten, vor allem die im östlichen Teil Europas, dringend auf die Unterstützung durch EU-Gelder angewiesen, sagt Haushaltskommissar Lewandowski. "40 Prozent der gesamten öffentlichen Investitionen in den neuen Mitgliedsstaaten werden von Brüssel mitfinanziert. In Portugal ist es ein Viertel, ganz ähnlich sieht es für Griechenland aus." Die Projekte, oft sind es große Infrastrukturprojekte, helfen aus Sicht der Kommission allen. Sie kurbelten in den schwachen Ländern Wachstum und Beschäftigung an. Die reichen Länder profitierten, weil sie viele der Aufträge ergatterten. Und man könne durch gezielte Investitionen gesamteuropäische Netze schaffen.
So argumentiert denn auch Kommissionspräsident José Manual Barroso, Beiträge zum EU-Haushalt seien gut angelegt. "Das ist nicht Geld für Brüssel. Es ist Geld, das in die Mitgliedsstaaten zurückfließt." Und es sei einfach in vielen Bereichen effizienter, das Geld auf europäischer Ebene zu investieren. "Einer der Gründe, warum wir noch keinen wirklich gesamteuropäischen Energiemarkt haben, ist, dass es keine Verbindungen der nationalen Netze gibt. Und wenn Sie darauf warten, dass die Mitgliedsstaaten diese Investitionen machen, dann können Sie ewig warten."
Ist Bildung wichtiger als Landwirtschaft?
Nur 5 Prozent des EU-Budgets gehen nach Kommissionsangaben in die Verwaltung, also "nach Brüssel". Alles andere wandert in Projekte, von denen die Mitgliedsstaaten profitieren, allerdings sehr unterschiedlich stark. Doch trotz des geringen Anteils der Verwaltungsausgaben soll die Zahl der EU-Posten nun zum ersten Mal seit 1957 zurückgehen. Auch damit geht die Kommission in die Verhandlungsschlacht mit ihren Kritikern. Die haben allerdings noch ganz anderes auszusetzen als Verschwendung im Verwaltungsbereich. Zwar wird das Argument Wachstum und Beschäftigung durch gezielte Investitionen von den meisten geteilt. Aber die Kritiker meinen, bisher würden Mittel zu leichtfertig vergeben. Viel Geld fließe in unsinnige Projekte, in Autobahnen, die niemand benutze, in Unternehmen, die scheiterten, in die Hand korrupter Politiker. Und: statt in Bildung, Forschung und Innovation zuviel in die Landwirtschaft – was die Hauptprofiteure der Agrarsubventionen, wie Frankreich und Spanien, selbstverständlich bestreiten.
Die Frontlinien verlaufen aber nicht nur zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern oder zwischen Kommission und Mitgliedsstaaten. Manchmal spaltet ein Thema auch Parteipolitiker zwischen europäischer und nationaler Ebene. Während etwa die unionsgeführte Bundesregierung in Berlin den EU-Haushalt begrenzen will, sieht das der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber ganz anders. "Wenn wir immer mehr Verantwortung nach Brüssel übertragen, dann muss man auch der europäischen Ebene die Finanzen entsprechend zuweisen."
Die Mitgliedsstaaten verweigern der EU eine eigene Steuer
Der Streit um den EU-Haushalt wird noch dadurch erschwert, dass das EU-Budget fast ausschließlich aus Beiträgen der Mitgliedsstaaten besteht. Die sogenannten Eigenmittel, zum Beispiel in Form von Zöllen auf Handelsgeschäfte, fallen kaum ins Gewicht. Kommission und Parlament müssen also praktisch bei den Mitgliedsstaaten betteln gehen. Deshalb plädieren auch Kommissionspräsident Barroso und viele Europaabgeordnete für mehr Eigenmittel, zum Beispiel durch eine Finanztransaktionssteuer. Doch selbst wenn sie je kommt – und daran zweifeln viele –, sollten die Einnahmen nicht nach Brüssel fließen, meint Michael Link, Staatsminister im Auswärtigen Amt in Berlin. "Die nationalen Haushalte haben die gesamten Kosten der Stabilisierung der Eurozone getragen. Es ist deshalb recht und billig, wenn über die Finanztransaktionssteuer auch ein Eigenbeitrag wiederkommt."
Tränen und Geschrei
Man kann also weiter harte Auseinandersetzungen erwarten. Die Schulden- und Wirtschaftskrise hat den Streit um die Höhe und die Verwendung der EU-Gelder noch deutlich verschärft. Vor dem EU-Gipfel im Dezember rechnet kaum jemand mit einer Einigung. Doch am Ende wird alles gut, glaubt der finnische Europaminister Alexander Stubb, der den Brüsseler Betrieb seit vielen Jahren kennt. "Meistens wird es kurz vor Schluss noch dramatisch. Es gibt viele Tränen, man schreit sich an, und am Ende fallen wir uns dann doch in die Arme und einigen uns." Es ist wohl die Routine wie bei vielen Tarifauseinandersetzungen: scheinbar unvereinbare Positionen bis weit in die Nacht, und bei Morgengrauen liegt Zufriedenheit auf den übermüdeten Gesichtern.