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"Russland hat keinen Grund, beunruhigt zu sein"

Rosalia Romaniec7. Juli 2016

Der NATO-Gipfel in Warschau wird ein historischer sein, sagt General Heinrich Brauß der DW. Die Staaten in Osteuropa sollten auf die Entschlossenheit des Bündnisses vertrauen. Mit Russland wolle man im Gespräch bleiben.

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NATO USA Truppen Landung Litauen Baltikum 26 .April 2014
Bild: AFP/Getty Images

DW: Was kann man von dem Gipfel am Wochenende in Warschau erwarten? Im Osten möchte man eine historische Dimension sehen. Sind das zu hohe Erwartungen?

Heinrich Brauß: Der Gipfel in Warschau wird wirklich ein historischer sein. Das Treffen in Wales 2014 war schon ein bedeutender Schritt, weil die NATO dort eine erste substantielle Antwort auf die fundamental geänderte sicherheitspolitische Lage im Osten und im Süden Europas gegeben hat. Aber das Treffen in Warschau ist von großer, weitreichender Bedeutung.

Warum?

Die Staats- und Regierungschefs werden die breite, kohärente Abschreckungs- und Verteidigungsstrategie der NATO verabschieden. So reagiert das Bündnis auf die neue strategische Realität. Sie hat sich einerseits in der aggressiven Politik Russlands gegenüber der Ukraine, seiner militärischen Aufrüstung und Doktrin, einschließlich der Strategie der hybriden Kriegsführung gezeigt.

Sie zeigt sich auch durch den brutalen Terrorismus von ISIL [gemeint ist die Terrormiliz IS, Red.] und die grassierende Instabilität in Nordafrika und im Nahen Osten, was zur Flüchtlingskrise führte, die jetzt Europa bedrängt. Auf beide strategische Herausforderungen gibt der Gipfel in Warschau Antworten und zwar für die nächsten zehn bis 20 Jahre.

Der Gipfel findet 25 Jahre nach der Auflösung des Warschauer Paktes statt. Die Gastgeber unterstreichen diesen historischen Aspekt, indem sie zum offiziellen Dinner in den selben Saal einladen, in dem einst die Gründungsakte des Warschauer Paktes unterschrieben wurde - ist das Symbolik oder eine Provokation?

Es ist keine Provokation. Das wäre altes Denken. Die NATO erkennt an, dass Polen ein wichtiger Verbündeter ist und dass durch die Sicherheit Polens, des Baltikums, wie auch Rumäniens und Bulgariens die Sicherheit der NATO als Ganzes betroffen ist.

Deswegen ist es ein richtiges Symbol, dass die Staats- und Regierungschefs sich in der Hauptstadt eines solchen wichtigen Verbündeten treffen und damit demonstrieren, dass die NATO für die Sicherheit aller Mitglieder einsteht.

Das sieht der deutsche Außenminister offenbar kritischer...

Als NATO-Vertreter äußere ich mich nicht zu Aussagen von Regierungsvertretern. Richtig ist aber, dass alle 28 Verbündeten gegenüber Russland eine Art Doppelstrategie verfolgen: Die Basis ist die Sicherstellung und Stärkung von Abschreckung und Verteidigung.

Ebenso bedeutend ist, dass wir mit Russland - einem wichtigen Akteur auf dem internationalen Parkett - im Gespräch bleiben. Das heißt nicht "business as usual" - solange Russland seine internationalen Verpflichtungen verletzt.

Aber wir müssen uns bemühen, Transparenz und Berechenbarkeit bei militärischen Aktivitäten herzustellen, um Missverständnisse und Unfälle zu vermeiden. In der öffentlichen Diskussion legt der eine oder andere Politiker unterschiedliche Akzente. Aber alle Verbündeten haben es so entschieden.

Obwohl die NATO ihre Präsenz im Osten stärken will, ist dort die Angst vor Russland weiterhin groß. Eine Umfrage ergab, dass jeder dritte Pole ernsthaft zweifelt, dass das Bündnis seinem Land im Notfall sofort zur Hilfe käme. Übertreiben die Polen oder haben Sie dafür Verständnis?

Ich verstehe, dass Länder wie Polen und die baltischen Staaten sich durch die russischen Aktionen - Aufrüstung, Übungen und Rhetorik - sozusagen das russische 'Säbelrasseln' - bedroht fühlen.

Als deutscher General habe ich dafür viel Verständnis, weil es uns Westdeutschen vor 1989 ähnlich erging, auch wenn man die Zeit heute und damals überhaupt nicht vergleichen kann. Ich fände es allerdings enttäuschend, wenn man im Osten auf die Solidarität, die Entschlossenheit und die militärische Verteidigungsbereitschaft der NATO nicht vertraute - das wäre ganz unangebracht.

Inwiefern?

Dass wir jetzt in Polen und im Baltikum multinationale Verbände stationieren, auf Rotationsbasis, aber dauerhaft - geführt von den USA, Deutschland, Kanada und Großbritannien - ist eine kolossale Demonstration von Solidarität, Einigkeit und Risikobereitschaft.

Damit ist also garantiert, dass die gesamte NATO von Beginn eines Konfliktfalls an vor Ort wäre, um den östlichen Mitgliedern beizustehen, also nicht erst nach langen Beratungen. Ich bin sicher, dass das in Polen gewürdigt wird.

NATO Hauptquartier in Brüssel (Foto: JOHN THYS/AFP/Getty Images)
NATO-Hauptquartier in BrüsselBild: John Thys/AFP/Getty Images

Ein Zweites: Die USA werden eine dritte Kampfbrigade in Europa stationieren - neben den zwei schon existierenden in Deutschland und Italien. Sie bringen das Gerät für Ausrüstung für eine vierte Brigade. Ab 2017 werden sie in der Lage sein, innerhalb kürzester Zeit mehr als eine Division zur Verteidigung Europas zu mobilisieren, wo auch immer notwendig.

Die USA werden die Truppen auch in Polen haben. Damit zeigt die Führungsmacht der NATO, dass sie sich politisch und militärisch nicht nur für Europa als Ganzes, sondern für die östlichen Alliierten ins Zeug wirft und gegenüber Russland demonstriert, dass diese Länder unter ihrem Schutz stehen.

Die größte Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die Stärkung der NATO-Präsenz im Osten, aber welche Rolle spielt sie im Schwarzen Meer?

Unsere Abschreckungsstrategie ist, wie wir es im NATO-Jargon nennen, auf 360 Grad ausgerichtet. Also auf den Norden, Osten, den Südosten und Süden. Wir werden auch die militärische Präsenz in der Schwarzmeer-Region erhöhen. Es ist klar, dass der Ostseeraum von großer Bedeutung ist, aber ebenso klar ist, dass das Schwarze Meer kein russisch dominiertes Meer werden kann und darf.

Welche Reaktionen erwarten Sie als NATO-General nach dem Gipfel aus Russland?

Russland hat keinen Grund, sich zu beklagen oder beunruhigt zu sein. Die vier internationalen Verbände sind keine Bedrohung für Russland. Es sind einige Tausend Mann. Ihnen gegenüber steht eine russische Armee von mehreren Zehntausend Mann.

Unsere Kräfte sind rein defensiv ausgerichtet und haben eine Abschreckungsfunktion - sie sollen demonstrieren, dass Russland im Falle einer militärischen Drohung oder Attacke, immer sofort mit der gesamten NATO konfrontiert wäre.

Das Gespräch führte Rosalia Romaniec.

Heinrich Brauß ist ein deutscher General, seit 2013 ist er Beigeordneter Generalsekretär der NATO für Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung.