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Politik

NATO: Russland soll Aufmarsch stoppen

13. April 2021

Im NATO-Hauptquartier gibt es Krisensitzungen, weil Russland rund um die Ukraine Soldaten zusammenzieht. Generalsekretär Stoltenberg will der Ukraine helfen und ermahnt Moskau. Bernd Riegert berichtet.

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Belgien Treffen Dmytro Kuleba und Jens Stoltenberg in Brüssel
Corona-Begrüßung im NATO-Hauptquartier: NATO-Chef Stoltenberg (li.) und Außenminister KulebaBild: Francisco Seco/AP Photo/picture alliance

Zwischen dem 9. und 11. April verzeichnete die OSZE-Beobachtermission in der ukrainischen Donetsk-Region 367 Verstöße gegen den eigentlich dort geltenden Waffenstillstand zwischen den Truppen der Ukraine und von Russland unterstützten Rebellen. In der benachbarten Region Luhansk waren es 224 Verstöße. In der Woche zuvor hatte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nur insgesamt 26 Vorfälle registriert.

Die Gewalt nimmt also zu in der Ostukraine. Die ukrainische Regierung macht dafür Moskau verantwortlich. Russland stationiert seit Wochen immer mehr Truppen in den Rebellengebieten, an den Grenzen zur restlichen Ukraine, auf der annektierten Halbinsel Krim und im Schwarzen Meer. Schätzungen der westlichen Militärallianz NATO kommen auf mehrere Zehntausend Mann. Der Kreml bestreitet die Truppenbewegungen nicht, besteht aber darauf, dass es sich nicht um Vorbereitungen für einen Einmarsch oder Krieg handele. 

Angesicht des Truppenaufmarschs griff US-Präsident Joe Biden zum Telefonhörer und schlug Kremlchef Wladimir Putin ein Gipfeltreffen in einem Drittland vor. Der Kreml bestätigte Bidens telefonischen Vorschlag, ließ aber offen, ob Putin die Einladung annehmen wird.

Infografik Konflikt Ostukraine DE

"Das ist der größte Truppenaufmarsch seit der Besetzung der Krim im März 2014", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nun in Brüssel. "Wir sind ernstlich besorgt. Russlands Aufmarsch ist ungerechtfertigt und nicht zu erklären. Russland muss die Provokationen stoppen und sofort deeskalieren", verlangte Stoltenberg vor einer Sitzung der "NATO-Ukraine-Kommission" im NATO-Hauptquartier. Die Ukraine hatte um die Krisensitzung gebeten, um über die wachsende russische Bedrohung zu beraten.

"Wir wollen keinen Krieg"

Der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba, der an der Sitzung in Brüssel teilnahm, dankte Stoltenberg für das schnelle Handeln. "Anders als 2014, als die Russen schnell gehandelt haben und der Westen nur langsam reagierte, wird es diesmal keine Überraschung geben", sagte Kuleba. Er schickte noch eine Drohung in Richtung Moskau hinterher: "Der Preis für Russland wäre hoch. Wir wollen keinen Krieg. Wir fühlen uns diplomatischen Maßnahmen verpflichtet (...) Wir haben die Mittel, um Russland zum Rückzug von unserem Territorium zu bewegen. Wir werden unsere Souveränität wieder herstellen."

Belgien Treffen Dmytro Kuleba und Jens Stoltenberg in Brüssel
Außenminister Kuleba (l.), Generalsekretär Stoltenberg: Starke Worte vor dem Treffen der NATO-Ukraine-KommissionBild: Francisco Seco/AP Photo/picture alliance

Russland hatte 2014 die Krim-Halbinsel illegal besetzt und annektiert. In der Ostukraine begannen von Russland gestützte Rebellen und mutmaßlich russische Soldaten einen Krieg, der bis heute anhält und immer wieder intensiviert wird, wenn es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in den Kram passt. Parallel dazu haben die Ukraine und Russland unter Vermittlung Frankreichs und Deutschlands einen "Friedensprozess" aufgesetzt, der nach der belarussischen Hauptstadt Minsk benannt ist, weil dort das erste Treffen stattfand. Der Minsker Prozess geht aber nur schleppend vorwärts. Die immer wieder neu vereinbarten Waffenruhen werden immer wieder gebrochen.

BG Spannungen an der russisch-ukrainischen Grenze
Spannungen an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland: Panzer der ukrainischen Armee bei LysychanskBild: STR/AFP

Die russische Regierung hat auf die kritischen Worte aus Brüssel ihrerseits mit harscher Kritik reagiert. "Die USA und andere NATO-Staaten verwandeln die Ukraine vorsätzlich in ein Pulverfass", sagte der stellvertretende russische Außenminister Sergei Ryabkov nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen. Wenn sich die Lage zuspitzen sollte, werde man natürlich die Sicherheit der eigenen Staatsbürger schützen, sagte Ryabkov. "Dann wären Kiew und seine Alliierten im Westen allein verantwortlich für die Konsequenzen einer solchen hypothetischen Zuspitzung."

US-Kriegsschiffe im Schwarzen Meer

Mit den Staatsbürgern, von denen Ryabkov spricht, sind wohl jene Rebellen und Einwohner gemeint, die von Russland in der Ostukraine nach Beginn des Konflikts einen Pass erhalten haben. Die USA hatten zusätzliche Kriegsschiffe ins Schwarze Meer nahe der Krim verlegt. Sergei Ryabkov nannte das eine Provokation, die rückgängig gemacht werden müsse

Russlands Präsident Putin
Russlands Präsident Putin im März auf der annektierten Krim: Truppenbewegungen zum "Schutz der eigenen Bürger"Bild: Vyacheslav Prokofyev/Sputnik Kremlin/AP/dpa/picture alliance

Die nordatlantische Allianz wird keine Kampftruppen zur Unterstützung in die Ukraine schicken. NATO-Generalsekretär Stoltenberg machte aber klar, dass man die "praktische Zusammenarbeit'" mit der ukrainischen Armee verstärken wolle. Die NATO bildet ukrainische Soldaten mit aus und berät die Militärführung in Kiew. Außerdem werden gemeinsame Manöver veranstaltet. Einzelne NATO-Mitglieder liefern Ausrüstung und Waffen an die Ukraine. So hat zum Beispiel die Türkei Drohnen bereitgestellt, was vom russischen Außenminister Sergej Lawrow am Montag kritisiert worden war.

Der ukrainische Außenminister Kuleba forderte die NATO bei seinem Besuch in Brüssel auf, weitere Mittel zur "Abschreckung" Russlands zu mobilisieren. Kuleba nannte eine neue Runde von Wirtschaftssanktionen und "direkte Hilfen zum Ausbau unserer Fähigkeiten" ohne ins Detail zu gehen. NATO-Generalsekretär Stoltenberg blieb ebenfalls vage und sprach von mehr "Hilfen für die Ukraine, um sich selbst verteidigen zu können."

Sondersitzung der Außen- und Verteidigungsminister

Um schon einmal moralische Unterstützung für die Ukraine zu zeigen, kündigte die NATO für Mittwoch eine gemeinsame virtuelle Sitzung der Außen- und Verteidigungsminister an. Die amerikanischen Ressort-Chefs Antony Blinken und Lloyd Austin werden an diesem Treffen symbolträchtig persönlich im NATO-Hauptquartier teilnehmen. Beide Minister bereisen zurzeit Europa als Zeichen für aufgefrischte transatlantische Ambitionen der neuen US-Regierung, die von der NATO sehr begrüßt werden.

Ukraine | Militärübungen Rapid Trident - 2020 in der Region Lemberg
Gemeinsame Manöver: NATO und ukrainische Truppe 2020 bei LembergBild: Ukrainian Presidential Press Service/Reuters

NATO-Generalsekretär Stoltenberg stellte in seiner Pressekonferenz in Brüssel zum wiederholten Male klar, dass die 30 Mitglieder der Allianz alleine entscheiden würden, ob und wann die Ukraine dem Bündnis beitreten werde. "Russland kann nicht entscheiden, was seine Nachbarn zu tun haben", sagte Stoltenberg mit sehr energischen Gesten auf eine entsprechende Frage einer Reporterin. Sich um eine NATO-Mitgliedschaft zu bewerben, sei das Recht einer jeden souveränen Nation. Das sei ein wichtiges Prinzip, ergänzte Stoltenberg. 2008 beim NATO-Gipfel in Bukarest, damals noch in Anwesenheit des russischen Präsidenten Wladimir Putin, hatte die Allianz im Prinzip der Ukraine und Georgien eine NATO-Mitgliedschaft  versprochen, irgendwann, wenn die Bedingungen erfüllt seien. "'Für mich ist eine Mitgliedschaft in der NATO nur eine Frage der Zeit. Es gibt keine anderen Kriterien", betonte Kuleba nun.

Russland hat eine mögliche Mitgliedschaft der ehemaligen Sowjetrepublik Ukraine stets abgelehnt. Mit dem Konflikt in der Ukraine ist die Mitgliedschaft im Moment fast unmöglich, da die NATO nur Staaten aufnimmt, die keine Grenzkonflikte oder gar bewaffnete Konflikte mit Nachbarstaaten austragen. Dies schließt übrigens auch Georgien aus, wo Russland Teile des Staatsgebiets besetzt hält. Zur Zeit hat die Ukraine einen besonderen Partnerschaftsstatus mit der NATO inne, der außer der Ukraine nur Georgien, Schweden, Finnland, Jordanien und Australien gewährt wurde.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union