NATO-Treffen zu Afghanistan
28. September 2006Fast täglich werden im Süden Afghanistans die Soldaten der Internationalen Sicherheitstruppe (ISAF) von Taliban-Rebellen angegriffen. Terroristen ermorden lokale Politiker oder verüben Selbstmordanschläge. Die Sicherheitslage im Süden und Osten Afghanistans, Schauplatz der von den USA geführte Operation "Enduring Freedom", ist fünf Jahre nach dem Sturz der islamistischen Taliban-Regierung durch Koalitionstruppen schlecht.
In vielen Teilen des Landes hat nicht die Zentralregierung um Präsident Karsai, sondern haben nach wie vor regionale Stammesfürsten und Drogenkartelle das Sagen. Im Norden und Westen hat die ISAF so genannte regionale Wiederaufbaukommandos eingerichtet, unter deren Schutz das öffentliche Leben organisiert und der Staat wiederbelebt werden sollen.
De Hoop Scheffer will Ausweitung des NATO-Engagements
NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer lobte das deutsche Engagement und die vorgesehene Verlängerung des Mandates durch den Bundestag. Zugleich lässt er leise Kritik an den Beschränkungen anklingen, die für deutsche, spanische und italienische Truppen gelten; sie dürfen vom ISAF-Oberkommando nicht dauerhaft für den Kampf gegen Taliban eingesetzt werden. De Hoop Scheffer möchte dies ändern, um flexibler zu werden: "Wichtig ist, dass die Nationen mehr als bisher ihre Einsatzbeschränkungen für die Truppe aufheben. Das heißt, die Grenzen dafür, was die Soldaten tun dürfen und was sie nicht tun dürfen."
Insgesamt stehen 17.000 Soldaten aus über 30 Nationen in Afghanistan. 6000 davon versuchen, im Süden um Kandahar das Terrain für die Einrichtung von Aufbaukommandos zu schaffen. Sie stoßen immer wieder auf unerwartet heftigen Widerstand von Taliban-Kämpfern, heißt es aus Brüssel. Der Vorrat an jungen Kämpfern für die Taliban sei unerschöpflich. US-General James Jones, Oberbefehlshaber der NATO in Europa, hat deshalb mehr Truppen für den Süden gefordert.
Truppen-Nachschub aus Osteuropa
Jetzt scheint es Zusagen für eine zusätzliche Reserve von 2000 Mann, hauptsächlich aus Polen und Rumänien, zu geben. "Man kann nicht sagen, dass ich unzufrieden bin", sagt de Hoop Scheffer. "Aber als NATO-Generalsekretär kann ich eigentlich nie ganz zufrieden sein, denn dann würden sich die Verbündeten zurücklehnen und nachlassen. Das darf nicht passieren, denn dies ist unsere wichtigste Aufgabe, unsere wichtigste Operation. Es ist unerlässlich, dass wir die versprochenen und notwendigen Truppen tatsächlich stellen."
Es mangele immer noch an Kampfhubschraubern und Transportflugzeugen, gibt der oberste NATO-Diplomat zu. Die Zahl der Truppen reiche im Moment gerade mal so aus, und wenn sich die Sicherheitslage nicht verbessere, müsse nachgelegt werden: "Das bedeutet aber nicht, dass wir jetzt nicht tun können, was wir tun müssen, aber wir können mit mehr Truppen natürlich immer noch besser werden", so de Hoop Scheffer. Für einen flächendeckenden Kampf gegen die Taliban und andere Rebellen seien die 17.000 Mann der ISAF und noch einmal 17.000 US-Soldaten in der Anti-Terroroperation "Enduring Freedom" zu wenig, sagen militärische Quellen in der NATO. Deshalb sei der verstärkte Einsatz der afghanischen Armee und Polizei wichtiger denn je.
Keine rein militärische Lösung möglich
Vor allem müssten der Aufbau einer zivilen Gesellschaft und die Schaffung von wirtschaftlichen Perspektiven für junge Männer und Schlafmohnbauern schneller vorangetrieben werden, fordert der NATO-Generalsekretär: "Es gibt keine rein militärische Lösung für Afghanistan. Die NATO kann im militärischen Sinne ein sicheres Klima für die Entwicklung schaffen. Es gibt keinen Wiederaufbau ohne Sicherheit. Die Umkehrung stimmt aber auch: Ohne Entwicklung keine anhaltende Sicherheit."
Bis Ende November sollen auch die 17.000 US-Soldaten im Osten Afghanistans, im unsicheren Grenzgebiet zu Pakistan, unter ISAF-Kommando kommen. US-Präsident George W. Bush hat dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai bei dessen Besuch in Washington am Dienstag (26.9.) noch einmal zugesichert, dass die US-Truppen so lange in Afghanistan bleiben würden, bis ein sicherer und funktionierender Staat geschaffen sei.