Der Fall Weinmüller
31. Mai 2014"Bei Luftangriffen alles zerstört." Diese lapidare Antwort auf die Befragung der amerikanischen Besatzungssoldaten (Foto), die versuchten nach Kriegsende Raubkunst sicherzustellen, hatte nicht nur der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt parat. So wie er versuchten sich zahlreiche Nazi-Kunsthändler mit "Persilscheinen" von ihrer Mitverantwortung für den Handel mit jüdischer Raubkunst und massenhaft "arisierten" Kunstgegenständen reinzuwaschen. Als einer der vier Chefaufkäufer für das Führermuseum in Linz verfügte Gurlitt über beste Kontakte zu den NS-Behörden.
Sein Händlerkollege Adolf Weinmüller, in München zum einflussreichen Monopolisten für Auktionen mit jüdischer Raubkunst aufgestiegen, übertraf ihn da aber bei Weitem. Die Kataloge seines Auktionshauses aus dieser Zeit sind - dank eines Pilotprojektes - jetzt im Internet in der Datenbank Lost Art zu sehen.
Parteigenosse mit besten Kontakten
Weinmüller war schon 1931 in die NSDAP eingetreten. Als überzeugter Nationalsozialist mit latenter Aufsteiger-Mentalität hatte er viel vor. Als Händler war er anfangs nur ein kleiner Fisch, fand Meike Hopp vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte heraus: "Adolf Weinmüller hatte seit 1921 eine Kunsthandlung in München. Wir wissen aber über die Zeit zwischen 1921 und 1933 so gut wie gar nichts."
Meike Hopp hat über Weinmüller promoviert und federführend an der Veröffentlichung seiner Geschäftsunterlagen mitgewirkt. "Ab 1933 machte er rasant Karriere, indem er den Vorsitz des 'Bundes der deutschen Kunst- und Antiquitätenhändler' übernahm. Er hatte danach ganz massiven Einfluss an der Ausschaltung jüdischer Kunsthändler, indem er sich als Sachverständiger der IHK dagegen aussprach, dass jüdische Unternehmen eine Versteigerer-Erlaubnis bekamen." Adolf Weinmüller hatte dadurch einen guten Überblick darüber, welche Häuser ihre Lizenz verlieren würden und profitierte skrupellos von der "Arisierung" des Kunsthandels.
Bereits Ende 1938 - nach der Reichspogromnacht - waren alle 628 jüdischen Kunst- und Antiquitätenhändler im Deutschen Reich ausgeschaltet und ihrer Geschäftsgrundlagen beraubt. Das Münchner "Kunstversteigerungshaus Adolf Weinmüller", 1936 gegründet, stieg zum ersten Haus am Platze auf. Zu seinen besten Kunden zählte NS-Reichsleiter Martin Bormann, der beauftragt war, für Hitlers Privatsammlung wertvolle alte Gemälde einzukaufen.
Profiteur der jüdischen Enteignungen
In kürzester Zeit verschaffte sich der Auktionator eine Monopolstellung im deutschen Kunsthandel, fasst Uwe Hartmann, Leiter der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin, im DW-Interview diese beispiellose Karriere zusammen: "In einigen Städten wurden die nach 1938 beschlagnahmten Kunst-Gegenstände aus jüdischem Besitz fast ausnahmslos über sein Haus versteigert."
Ab Sommer 1941 fuhr Weinmüller zusammen mit Hans Posse, dem Chefeinkäufer für das geplante Führermuseum Linz, regelmäßig ins besetzte Prag. "Er hat sich dort in der Gestapozentrale Gemälde und Möbel von jüdischen Sammlern und Kunsthändlern aussuchen dürfen, die vorher beschlagnahmt worden waren", ergänzt Meike Hopp. "Das sind ganz klare Anhaltspunkte dafür, dass ein großer Teil der Waren, mit denen er gehandelt hat, unter den Verdacht der Raubkunst fallen."
Mann mit Geschäftssinn
Bis 1944 konnte Adolf Weinmüller ein riesiges Vermögen anhäufen. In Wien übernahm er das "arisierte" jüdische Kunsthaus Kende und eröffnete dort eine Dependance. 34.500 Objekte umfasste die Liste der Kunstgegenstände, die die alliierten "Monument Men", die Offiziere zum Schutz von Kunstgut, nach Kriegsende in seinen Auktionshäusern beschlagnahmten.
Gurlitt war dagegen ein kleiner Mitläufer, sagt die Kunsthistorikerin Meike Hopp: "Man kennt ja diese dreiseitige Liste der Objekte, die Hildebrandt Gurlitt vom Collecting Point der Aliierten ausgehändigt bekommen hat. Und bei Weinmüller umfassen diese Listen einen ganzen Leitz-Ordner. Man kann sich die Dimension der Werke, die zu diesem Zeitpunkt 1945 in seinem Warenlager waren, gar nicht vorstellen. Und darauf baute er dann wieder sein Nachkriegs-Geschäft auf."
Die Größenordnung wird durch die Veröffentlichung der Geschäftsunterlagen des Auktionshauses Adolf Weinmüller aus den Jahren 1936 bis 1943 noch einmal deutlich: 51 Versteigerungen sind dort durch 93 Kataloge dokumentiert. Seit letzter Woche weltweit einsehbar bei Lost Art: Einlieferer, Verkaufspreise und genaue Angaben zu jedem Kunstwerk, das bei Weinmüller unter den Hammer kam. Detaillierte Auskunft über die Provenienz des jeweiligen Kunstwerkes - allerdings mit einer Ausnahme, schränkt Meike Hopp ein: "Es war für uns selbstverständlich, dass wir die Käufernamen nicht öffentlich ins Internet stellen, um jegliche Form von Diffamierung und Rufmord zu vermeiden."
Internationales Pilotprojekt
Die Kunsthistorikerin Meike Hopp war bei den Recherchen zu ihrer Doktorarbeit über Weinmüller schon auf belastendes Material gestoßen, Geschäftsunterlagen schienen aber vernichtet worden zu sein. Mit Fördermitteln des Bundes wurde 2009 ein internationales Pilotprojekt daraus, als Public-Private-Partnership, zur Hälfte finanziert durch das Kunstauktionshaus Neumeister. Umso kostbarer der späte Fund der Auktionskataloge - der Zufall führte dabei Regie, erzählt Kathrin Stoll, die Geschäftsführerin von Neumeister: Die historischen Unterlagen wurden im März 2013 in einem Stahlschrank der Klimatechnik gefunden. "Das waren Bündel, zusammengeschnürt. Und dann sehen Sie unter Einlieferer: 'Gestapo'. Dann kriegen Sie schon Gänsehaut."
Vielleicht ist es Ausdruck einer demokratischen Mit-Verantwortung der Nachkriegsgeneration: Kathrin Stoll, deren Vater Rudolf Neumeister (Jg.1929) das hoch verschuldete Auktionshaus Weinmüller 1958 aufgekauft hatte, hatte schnell in der Familie geklärt, dass sie diese brisanten Geschäftsunterlagen für die Forschung und jetzt auch für die Öffentlichkeit freigeben wollte: "Wir wollten nicht zögern. Keinen Tag zu lang. Weil wir uns klar war, jeden Tag sterben vielleicht Anspruchssteller oder Nachfahren von enteigneten jüdischen Familien. Wir wussten, wir müssen ganz schnell an die Öffentlichkeit gehen - anders als bei Gurlitt, wo man zwei Jahre geschwiegen hat."
Uwe Hartmann, Leiter der koordinierenden Arbeitsstelle für Provenienzforschung, zollt Kathrin Stoll deshalb auch hohe Anerkennung für ihren Mut: "Sie macht damit deutlich, dass es vielleicht auch eine Frage unterschiedlicher Generationen ist, mit diesem Thema anders umzugehen. Sie hat das immer mit dem ziemlich deutlichen Bild benannt: 'Ich möchte keine Leichen in meinem Keller haben!' "