"Wir sind immer nah dran"
24. Mai 2014Deutsche Welle: Herr Nehren, Sie sind für die Online-Kampagnen der SPD und für den Internet-Europawahlkampf von Martin Schulz verantwortlich. Die Europawahl gilt bei Wählern nicht als besonders "sexy". Wie erreichen Sie dennoch junge Wähler über soziale Netzwerke?
Tobias Nehren: Wir teilen Bilder oder suchen Eindrücke von tollen Aktionen. So machen wir deutlich, dass die Kampagne von unseren Unterstützerinnen und Unterstützern lebt. Zudem wollen wir den Menschen, die jetzt für uns aktiv werden oder für uns aktiv werden wollen, zeigen, du bist Teil einer sozialdemokratischen Bewegung und Teil einer Gruppe, die für ein besseres Europa kämpft.
Wir erreichen aber auch Menschen, die kaum oder gar nichts mit Politik in ihrem Alltag zu tun haben. Dazu veranstalten wir Events oder hängen uns an Veranstaltungen und Themen, über die in Europa diskutiert wird.
Welche Veranstaltungen lassen sich besonders gut verbreiten?
Ein gutes Beispiel ist das Geschehen um die Anti-Rassismus Aktion und die Bananen-Fotos. Ein farbiger Fußballspieler (Dani Alves, FC Barcelona) wurde beim Auswärtsspiel während eines Eckballs mit Bananen beworfen. Er hob eine auf und biss ab. In den folgenden Tagen haben sich sehr viele Fußballer, Promis und Politiker mit Bananen fotografieren lassen. Diese Fotos haben sie dann unter dem Hashtag "weareallmonkeys" veröffentlicht. Sie wollen damit Solidarität zeigen und deutlich machen, dass Rassismus in Stadien und in der Gesellschaft keinen Platz hat.
Auch Martin Schulz hat ein Foto mit einer Banane gemacht. Das war eines, der am meisten geteilten und gesehenen Fotos auf seiner Facebook-Seite. Wir zeigen damit, dass wir Probleme aus der Mitte der Gesellschaft aufgreifen. Mit dieser Aktion haben wir Leute erreicht, die nicht alltäglich mit der SPD in Kontakt stehen, aber dennoch die Ansicht teilen, dass Rassismus keinen Platz in unserer Gesellschaft haben sollte.
Besteht denn für solche - teilweise ja auch verrückten - Aktionen Verständnis seitens der Politiker?
Martin Schulz ist mehr als 30 Jahren Berufspolitiker und weiß, was funktionierende Kampagnenbilder sind. Er sagt dann (zum Fall Alves) sogar zu uns: "Jetzt ziehe ich hier mal einen ab!" und schießt mit einem Ball auf eine Torwand, weil er weiß, dass solche Bilder funktionieren. Zudem erlebe ich Martin Schulz immer als offen für Anregungen und Beratungen, und er hat Spaß daran, solche Sachen mitzumachen.
Die Sozialen Medien dienen dem bürgernahen und direkten Austausch. Wie können Sie denn die Themen, die die Wähler wirklich bewegen, über Ihre Sozialen-Netzwerk-Kanäle erkennen?
Wir beobachten die Kommentare natürlich und sehen welche Themen funktionieren und welche weniger. Zum Beispiel ist das TTIP (mögliches Freihandelsabkommen zwischen EU und USA) ein großes Thema geworden. Die Kampagnen-Leitung merkt so etwas und erkennt, dass wir uns dazu zunehmend positionieren müssen. Themen wie moderne Gesellschaft, Homo-Ehe und Zuwanderungsrecht - das sind Themen, die die Menschen im Netz bewegen und wir richten uns natürlich danach aus.
Soziale Netzwerke werden von vielen Nutzern privat genutzt. Viele EU-Politiker versuchen sich dort ebenfalls privat zu zeigen. Welche Außendarstellung würden Sie Abgeordneten empfehlen?
Auch Politiker haben das Bedürfnis nach Privatsphäre, das ist völlig legitim. Der Punkt ist, dass wir von dem menschlichen Politiker reden, und nicht von dem menschelnden Politiker. Ich glaube, man braucht keine "Homestories", damit Politiker glaubwürdig und authentisch rüberkommen. Martin Schulz kommt auch ohne Privatfotos menschlich und authentisch daher.
Immer wenn ich Reaktionen von Menschen vor Ort oder im Netz bekomme, dann haben sie das Gefühl, dass er sehr bodenständig geblieben ist. Er trägt seit Jahrzehnten die gleiche Brille und wirkt auch im Auftreten nicht aufgesetzt oder eitel. Er geht auf die Menschen zu, unterhält sich mit ihnen. Wir zeigen so etwas mit Bildern auf Twitter und Facebook.
Zudem spielen wir Bilder aus, die im Hintergrund stattfinden, da wo keine Presse mitkommen kann. Das Foto Hinter den Kulissen einer Europa-TV-Debatte zum Beispiel. Dort sind wir nah dran und nehmen die Follower mit. Oder sein Selfie zum 1. Mai war ein großer Erfolg, bei dem die gesamte Parteispitze mitgemacht hat. Die Leute, die Martin Schulz folgen, wollen einen Mehrwert haben. Sie sind interessiert und sympathisieren oft mit dem Kandidaten. In den sozialen Netzwerken wollen sie etwas sehen und erfahren, was sie nicht schon mehrfach in den Medien gesehen haben. Die Kanäle von Politikerinnen und Politikern sollten demnach exklusive Informationen enthalten.
Tobias Nehren ist für die strategische Beratung und die Konzeption der Online-Wahlkampf-Kampagne der deutschen Sozialdemokraten verantwortlich. Beim Europawahlkampf von Martin Schulz versucht er, Wähler zu mobilisieren und berät den Politiker dabei, wie er das Netz nutzen kann, damit seine Botschaften Verbreitung finden.
Die Fragen stellte Sabrina Pabst.