1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Nein", "Nein", "Nein" und "Nein"

Barbara Wesel
2. April 2019

Das Unterhaus stimmte erneut gegen alle Vorschläge zur Lösung der Krise. Die Blockade konnte auch im zweiten Anlauf nicht überwunden werden. Elf Tage vor dem Brexit-Datum steckt Großbritannien weiter in der Sackgasse.

https://p.dw.com/p/3G3Zd
Großbritannien London Jeremy Corbyn spricht vor Theresa May im Unterhaus
Bild: picture-alliance/PA Wire/House of Commons

Der emotionale Höhepunkt des Abends war sicherlich die Szene, als der gemäßigte Tory Abgeordnete Nick Boles seiner Partei die Mitgliedschaft vor die Füße warf. Gerade hatte das Unterhaus seinen Vorschlag für einen extra-weichen Brexit mit 261 zu 282 Stimmen abgelehnt, als Boles aufstand und rief: "Meine Partei lehnt es ab, Kompromisse zu machen!" - da könne er nicht weiter mitspielen. Es war, als ginge ein kollektiver Seufzer durch das Unterhaus. Ein Gefühl von Wut und Frustration dürften wohl viele nach diesem erneuten kollektiven Fehlschlag nachvollziehen können.

Keine Mehrheit für gar nichts

Dabei war Nick Boles mit seinem Vorschlag für "Gemeinsamer Markt 2.0", eine Mischung aus Norwegen-Modell und Zollunion, ziemlich weit gekommen. Immerhin bekam er dafür mehr Stimmen als Premierministerin Theresa May in der letzten Abstimmungsrunde für ihr Austrittsabkommen erzielt hatte. Aber das ist ein kümmerlicher Trost. Einmal mehr zeigte das Parlament, dass es quer durch die Reihen gespalten ist und dass immer noch taktisch abgestimmt wird. Wochenlang haben kleine Gruppen von Abgeordneten versucht, parteiübergreifende Mehrheiten zu bilden, und sind damit erneut gescheitert.

Der Vorschlag vom altgedienten Europa-Freund Ken Clarke, nach dem Brexit wenigstens weiter in der Zollunion zu bleiben, kam einem Erfolg noch am nächsten. Seine Vorlage scheiterte an nur drei fehlenden Stimmen. Allerdings heißt hier, dass dicht vorbei auch noch daneben ist. Zumal ein solches Umlenken auf einen weicheren Brexit eine stabile Mehrheit brauchen würde, um die EU von der Dauerhaftigkeit einer solchen Positionsänderung zu überzeugen. 

Auch der dritte Vorschlag, einen Brexit-Deal in jedem Fall mit einem zweiten Referendum den Bürgern vorzulegen, schlug um nur zwölf Stimmen fehl. Die vierte Vorlage an diesem Abend, den Brexit-Prozess in die Hände des Parlamentes zu legen, fand nicht genug Unterstützung. Das zeigt wenig Vertrauen in die eigene politische Urteilsfähigkeit. Angesichts des erneuten jämmerlichen Versagens der Abgeordneten, die Kontrolle über den Brexit zu übernehmen, mag das angemessen erscheinen. 

Gibt es noch einen Weg aus der parlamentarischen Sackgasse? Abgesehen von der nutzlosen Intervention von Oppositionsführer Jeremy Corbyn, man solle doch noch über weitere Brexit-Ideen abstimmen, hatte niemand eine schlaue Idee. Die meisten Abgeordneten brauchen wohl erst einmal eine Denkpause.

Theresa May ist wieder am Zug

Es gilt als wahrscheinlich, dass angesichts der mangelnden Entscheidungsfähigkeit im Parlament die Premierministerin ihren Austrittsvertrag mit der EU in den nächsten Tagen noch einmal auf den Tisch bringen wird. Zwar war sie in der vorigen Woche damit erneut um 58 Stimmen unterlegen, aber ihr Argument wirkt immer zwingender, dass nur dieser Deal inzwischen noch einen harten Brexit vermeiden könne.

Die 27 Staats- und Regierungschefs der anderen EU-Staaten haben für den Mittwoch kommender Woche einen Brexit-Sondergipfel anberaumt. Spätestens am nächsten Wochenende wollen sie aber wissen, welche Entscheidung Großbritannien nun in der laufenden Nachfrist über die Art des Brexit getroffen hat. Schafft Theresa May es also im Laufe der Woche noch, den Austrittsvertrag im Parlament zu verabschieden, wäre die Sache klar. Großbritannien würde die EU am 22. Mai zu den Bedingungen dieses Vertrages verlassen.

Schlägt aber auch ihr vierter Versuch fehl, hat sie nur noch zwei Optionen: May kann sich für einen harten Brexit am 12. April entscheiden oder für eine Verlängerung bis mindestens Ende 2019, indem sie ein erneutes Referendum vorschlägt, wobei die Briten an der Europawahl im Mai teilnehmen müssten.

Von den Hardlinern in ihrer Partei wird die Premierministerin seit Wochen gedrängt, einen harten Brexit anzusteuern. Ein totaler Bruch mit der EU wäre das, was sie voller Begeisterung einen "ordentlichen Brexit" nennen. Allerdings hat das Parlament mit großer Mehrheit erklärt, dass es einen solchen Sturz über die Klippe nicht will. Dieses Votum ist allerdings nicht bindend.

Was wird aus der Kabinettsrevolte?

Seit Tagen war über eine Kabinettsrevolte und wieder einmal über drohende Ministerrücktritte spekuliert worden. Allerdings galt als wahrscheinlicher Auslöser, dass sich die Tory-Rechte gegen einen weicheren Brexit auflehnen würde. Das Unterhaus aber spricht weiter nicht mit einer Stimme, die Premierministerin behält die Entscheidungsmacht über den Brexit. Nur, ihr fehlen die Optionen und sie hat nur die Wahl zwischen verschiedene Arten des politischen Selbstmords.

Unklar ist, wie lange sich Theresa May noch im Amt halten kann. Der rechte Flügel der konservativen Partei trommelt offen für Neuwahlen. Kandidaten wie Boris Johnson, Dominic Raab und andere scharren mit den Füßen. Sie müssten May allerdings durch eine größere Kabinettsrevolte stürzen. Und nach dem Debakel im Parlament fehlt dafür der Vorwand.   

Boris Johnson Michael Gove London
Einer von ihnen wird womöglich Theresa Mays Nachfolger: Boris Johnson (l.) und Michael Gove (Archivbild)Bild: Getty Images/C.J.Ratcliffe

Auf der anderen Seite des Spektrums versuchen liberalere Konservative um Sozialministerin Amber Rudd, die Übernahme der Partei durch die Parteirechte zu verhindern. Sie scharen sich um Umweltminister Michael Gove als möglichen Kandidaten für die May-Nachfolge. Zwar war Gove 2016 ein führender Brexiteer und scheiterte schon einmal als Kandidat für das Premierministeramt. Er hat aber seinen Verrat von damals durch Loyalität und unauffälliges Verhalten inzwischen wieder gut gemacht.

Nach wie vor ist offen, ob der Brexit die konservative Partei nicht doch noch zerreißt. Besonnenere Stimmen im Kabinett warnen vor baldigen Neuwahlen, das würde die Partei in eine gefährliche Lage bringen. Aber der Versuch, ohne klare Mehrheit weiter zu regieren, ist wohl auch keine Lösung. Angesichts des erneut drohenden Brexit-Datums erscheinen sowohl Parlament als Regierung gelähmt und handlungsunfähig. 

Da wären auch noch andere Baustellen

An diesem Montag sorgte eine Gruppe von Demonstranten im Unterhaus für eine kurze Ablenkung vom Brexit. Sie kehrten auf der Besuchertribüne den grünen Bänken mit den Abgeordneten plötzlich den Rücken zu und ließen die Hosen herunter. Männlein wie Weiblein zeigten dem Hohen Haus ihren unbekleideten Allerwertesten.

Bevor man aber darüber nachdenken konnte, wie zutreffend diese Meinungsäußerung gerade an diesem Tag sei, wurde klar, dass es da nicht um den Brexit sondern den Stillstand beim Klimaschutz ging. Und da könnten sich in den nächsten Tagen durchaus noch Demonstranten anschließen, denen das Gesundheitssystem, die Schulen, die Wohnungsnot und andere reale politische Probleme am Herzen liegen. Denn in den letzten zwei Jahren hat sich politisch absolut Nichts bewegt, seit Großbritannien vom Brexit gleichermaßen gelähmt und gespalten wurde.