Nazi-Netze in Gefängnissen
10. April 2013Die Öffentlichkeit ist schockiert von den neuesten Enthüllungen aus der Neonazi-Szene. Unter dem Deckmantel eines Hilfsvereins für rechtsradikale Gefangene haben inhaftierte Rechtsradikale Informationen an andere Gefangene mit ähnlicher Gesinnung weitergegeben. Und nicht nur das. Mehrere inhaftierte Rechtsradikale sollen aus dem Gefängnis heraus Kontakt zum Umfeld der rechtsradikalen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gehabt haben.
Der Berliner Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner hält das für realistisch. "Man muss sich vorstellen, dass der NSU ja nur die Spitze des Eisberges war. Die Leute sind ja vielfältig verwoben über ihre Mitangeklagten", erklärt Wagner im DW-Gespräch. "Man muss sich vorstellen, dass mehrere Netzwerksysteme ineinander greifen, übereinander gelagert sind, quer gelagert sind. Dass also ein ganzes System von Netzen und Seilschaften besteht."
Die sogenannte Keimzelle für den rechtsradikalen Hilfsverein war die osthessische Justizvollzugsanstalt Hünfeld, wie der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn im hessischen Fernsehen bestätigte: "Ich glaube jetzt schon sagen zu können, dass die ersten Aktivitäten aus Hünfeld heraus gekommen sind."
Neues rechtsradikales Geheimnetzwerk ersetzt das Alte
Das neue Netzwerk hat eine Vorgeschichte: Vor anderthalb Jahren hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich die rechtsextreme "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige" (HNG) verboten. Zur Begründung hieß es damals, der Verein lehne den demokratischen Rechtsstaat ab und verherrliche den Nationalsozialismus. Die Organisation hatte mehrere hundert Mitglieder und unterstützte verurteilte Neonazis während und nach ihrer Haftzeit.
Nach diesem Verbot versuchten inhaftierte Rechtsradikale ein neues Netzwerk aufzubauen, erklärt der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn: "Wir haben Materialien gefunden, anhand derer wir davon ausgehen können, dass dort vielleicht sogar über eine Vereinsstruktur Beziehungen aufgebaut werden sollten - und zwar nicht nur hessenweit, sondern bundesweit."
Der ehemalige Kriminaloberrat Bernd Wagner lobt im Interview mit der Deutschen Welle die hessischen Ermittlungen. "Man sollte jetzt den Hessen einen Kranz binden und sie loben dafür, dass sie die ersten waren, die nach dem Verbot der HNG wieder auf dieses Thema aufmerksam gemacht haben. Da gebührt ihnen wirklich ein Orden für Aufmerksamkeit."
Rechtsradikale Seilschaften in Gefängnissen sind altbekannt
Auf die Spur des rechtsradikalen Geheimnetzwerkes kamen die Ermittler, nachdem sie in den vergangenen Wochen Beweismaterial wie Briefe und andere private Unterlagen in mehreren hessischen Strafanstalten gesammelt und ausgewertet hatten. Mit der Erkenntnis: Die Netzwerker kommunizierten über versteckte Botschaften in Briefen und Kleinanzeigen in scheinbar unverdächtigen Magazinen. Dabei benutzten die Neonazis laut der "Süddeutschen Zeitung" und der Boulevard-Zeitung "Bild" unverdächtige Codes und Symbole.
Bernd Wagner hat sich vor allem durch das Neonazi-Aussteigerprogramm Exit einen Namen gemacht. Als Kenner der rechtsextremen Szene ist er über die enthüllten Geheimnetzwerke in Hessen keineswegs überrascht. "Die Szene selbst, die im Gefängnis einsitzt, ist schon immer organisiert gewesen", erklärt er. "Es gibt nur wenige Gefängnisse, in denen kaum Rechtsradikale einsitzen. Seit den 1960er Jahren und bis heute kann man das beobachten, dass deren Netzwerke in den Gefängnissen existieren", so Wagner im DW-Gespräch.
Tattoo-Training für die Beamten
Verdächtige Neonazi-Gefangene in der hessischen Justizvollzugsanstalt Hünfeld wurden übrigens mittlerweile verlegt und voneinander getrennt. Gleichzeitig wurden die Kontrollen von inhaftierten Rechtsradikalen verschärft. Außerdem sollen jetzt die Justizvollzugsbeamten geschult werden, damit sie die Tätowierungen der inhaftierten Neonazis besser einordnen können. "Damit verraten sie sich meistens schon", so der hessische Justizminister Hahn. Nur hätten sie darauf leider zu wenig geachtet, gibt er zu.