Neonazis im Untergrund
13. März 2013"Tickende Zeitbomben!" So beschreibt Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion die Linke im Deutschen Bundestag, einige der untergetauchten Neonazis. "Immerhin sind darunter fünf Leute von der NPD und neun Leute von den militanten Kameradschaften. Das muss man im Blick haben und hier auch Druck machen, dass die Behörden sich darum kümmern, dass solche Leute auch festgenommen werden."
Aktuell werden in Deutschland 182 Straftäter aus dem rechtsextremen Milieu per Haftbefehl gesucht - so der Stand vom 22. Februar 2013, den die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion nun bekanntgegeben hat. Bei der letzen Erhebung im Juni 2012 lag die Anzahl der Gesuchten noch bei 118. Ein Trend lässt sich laut Bundesregierung daraus jedoch nicht ablesen, da sich zwischenzeitlich die Erhebungsmethode der Behörden verändert habe. "Das neue Verfahren bietet eine bessere Gewähr für ein höheres Maß an Vollständigkeit", heißt es seitens der Regierung.
49 Gewalttäter unter den Gesuchten
Der Grund, weshalb überhaupt Zahlen zu untergetauchten Neonazis erfasst werden, liegt in den Ermittlungen gegen die rechtsextreme Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Die Gruppe zog über Jahre trotz bestehender Haftbefehle unentdeckt mordend durch Deutschland. Auf ihr Konto geht nach jetzigem Ermittlungsstand die Ermordung von neun Kleinunternehmern mit ausländischen Wurzeln, die meisten von ihnen Türken.
Der nun vorgelegte Bericht der Bundesregierung gibt neben der aktuellen Zahl der gesuchten Neonazis auch detailliert Auskunft darüber, wegen welcher Delikte ein Haftbefehl gegen sie vorliegt. Grundlage dieser Zahlen ist der Monat November 2012. Zu diesem Zeitpunkt lag die Zahl der gesuchten Rechtsextremisten noch bei 266. Die Gründe für den Rückgang auf aktuell 182: zwischenzeitlich erfolgte Festnahmen oder aufgehobene Haftbefehle. Die Straftaten, die zum Haftbefehl führten, hatten dabei jedoch nur selten einen politisch motivierten Hintergrund. Häufig geht es um Verkehrsdelikte oder nicht bezahlte Unterhaltsforderungen. Terroristische Straftaten sind nicht darunter. 49 Neonazis werden jedoch wegen Gewalttaten gesucht.
Keine aktive Fahndung
Eine aktive Fahndung nach diesen Leuten sei aber faktisch kaum machbar, erklärt Sascha Braun, Justitiar vom Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei. "Die meisten dieser Haftbefehle beziehen sich auf bereits Verurteilte, die ihre Haftstrafe nicht angetreten haben. Die gehen der Polizei zu unserem Bedauern nur bei Routinekontrollen ins Netz." Für eine zielgerichtete Fahndung nach all diesen Personen sei die Polizei personell nicht ausgestattet.
Dazu passt auch die Tatsache, dass mehr als 100 offene Haftbefehle bereits aus dem Jahr 2011 stammen oder noch älter sind. Zehn Haftbefehle wurden sogar bereits vor 2007 ausgestellt.
Forscher sieht positive Entwicklung
Hajo Funke, Rechtsextremismusforscher von der Freien Universität Berlin, sieht jedoch in Ansätzen einen Wandel bei den Behörden: "Ich denke, dass durch die Aufdeckung der Terrorzelle NSU und die vielen Diskussionen eine höhere Aufmerksamkeit in Teilen der Polizei existiert." Besonders positiv hervorzuheben sei vor allem das Bundesland Nordrhein-Westfalen und mit Einschränkung auch Sachsen. Hier hätten sich die jeweiligen Innenminister besonders intensiv um den Kampf gegen Rechts bemüht.
Für Ulla Jelpke von der Linken ist es vor allem wichtig, dass man sich nun überhaupt mit der Thematik beschäftigt: "Die Tatsache, dass es nur auf unseren Druck hin überhaupt dazu gekommen ist, dass diese Zahlen jetzt an die Öffentlichkeit kommen, zeigt, dass man das Problem bisher nicht gesehen hat oder sehen wollte." Sie fordert eine differenzierte Analyse der Zahlen. "Wir wollen keine Angstmacherei betreiben. Wenn von den 266 Personen 49 Gewalttäter sind, dann find ich es wichtig, dass man das auch so bekannt macht."
Dass man jedoch auch Haftbefehle wegen vermeintlich harmloser Delikte ernst nehmen sollte, zeigt das Beispiel NSU. Der Rechtsterrorist Uwe Böhnhardt, gegen den auch während seiner NSU-Mitgliedschaft ein unvollstreckter Haftbefehl vorlag, wurde 1993 erstmals zu einer Haftstrafe verurteilt. Grund war damals unter anderem "fortgesetztes Fahren ohne Fahrerlaubnis."