10 Jahre Netzpolitik.org
11. August 2014Deutsche Welle: Möchten Sie Netzpolitik.org zum Zehnjährigen gratulieren?
Gabriel González Zorilla: Glückwunsch, reife Leistung, weiter so, auch mit so viel Elan, vielleicht mit etwas mehr Durchschlagskraft, sowohl in der deutschen Politik, als auch bei den Usern! Meiner Meinung nach gibt es im deutschsprachigen Internet keine andere Seite, die so vehement und vertiefend die Themen der Netzpolitik behandelt und die Medienpolitiker vor sich hertreibt.
Zehn Jahre Arbeit liegen hinter Markus Beckedahl und dem Team, bei welchen Themen hat Netzpolitik.org am meisten bewegen können?
Zum Beispiel bei der Diskussion um die Zensursula-Gesetze. Gemeint waren die Pläne der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen, kinderpornografische Inhalte im Netz durch Sperrungen mit Stopp-Schildern zu blockieren. Netzpolitik.org hat nicht allein dagegen demonstriert, aber die Argumente dafür geliefert, dass man solche Inhalte von vornherein löschen und nicht sperren sollte. Sperren führen zu nichts, weil man sie leicht umgehen kann. Außerdem hätte man so eine Infrastruktur für Zensur aufgebaut, die dann hätte missbraucht werden können.
Netzneutralität ist ein anderes großes Thema von Netzpolitik.org.
Dabei geht es um das ungeschriebene Gesetz im Internet, dass alle Daten gleichberechtigt fließen: ob Mail, Video oder ein anderer Dienst, alle werden gleichberechtigt vom Internetprovider transportiert. Netzpolitik hat sich 2013 in Sachen "Drosselkom" gegen die Telekom positioniert. Es ging um die Pläne einer Mogelflatrate, die gebunden an den Verbrauch eines festen Surfvolumens sein sollte. Einmal aufgebraucht, sollte dann dem User die Geschwindigkeit für Down- und Upload gedrosselt werden, "telekomeigene" Inhalte und Dienste sollten dagegen ungehindert schnell die Leitungen durchqueren. Netzpolitik.org sah darin einen Angriff auf die Netzneutralität. Das hätte sehr viele neue Angebote von vornherein ausgeschlossen und wäre auf jeden Fall nicht im Sinne des Users. Die Telekom musste damals ihre Pläne begraben - zum Glück.
Aktuell ist Überwachung das große Thema, auch bei Netzpolitik.org. Allerdings hat man immer wieder den Eindruck, dass die volle Wucht des NSA-Skandals noch nicht bei der Bevölkerung angekommen ist. Warum ist das auch Netzpolitik.org nicht gelungen?
Mich erinnert diese Webseite auch an meinen Zahnarzt. Der sagt mir auch immer wieder, dass ich gründlich und regelmäßig meine Zähne putzen soll. Ich als Netzpolitik.org-User weiß, dass ich auf meine Daten aufpassen und meine E-Mails verschlüsseln sollte. Dennoch tue ich es zu wenig. Trotz des Mutes und der Beharrlichkeit der Macher, die diese Themen beackern, erscheint es mir oft wie ein Kampf gegen Windmühlen. Leider. Die traditionellen Medien warnen vor der Allmacht von Google, dabei hat der Staat längst Zugriff - und kann alle Daten zusammenführen. Netzpolitik.org stellt die richtigen und wichtigen Fragen, die den Kern unserer Demokratie betreffen: Wer hat wirklich die Macht im Lande?
Gibt es bei der Art und Weise, wie Netzpolitik die Enthüllungen von Edward Snowden kommentiert und begleitet, große Unterschiede zu anderssprachigen Blogs?
Netzpolitik.org ist sehr gründlich und - wahrscheinlich die deutsche Tugend - beharrlich und aktiv. Sie stellen selbst oft genug auch selbst Anträge auf Herausgabe von Daten, Informationen und Dokumenten in Bonn, Berlin oder bei der EU und Brüssel. Sie recherchieren journalistisch. Das tun nicht alle, die ein Meinungsblog haben, wo sie Dinge, die in den Medien auftauchen, kommentieren.
Sie betreuen bei der DW die Bob Awards. Dort werden die besten Blogs für Online-Aktivismus ausgezeichnet: User schlagen die Kandidaten vor, eine Jury nominiert, die User stimmen ab. War Netzpolitik.org schon einmal im Rennen?
Sie waren mehrfach bei den Bobs nominiert, haben aber nie gewonnen. Das bedeutet nicht, dass sie es nicht verdient hätten, aber es gibt ähnliche Seiten im Ausland. "La Quadrature du net" aus Frankreich zum Beispiel. Netzpolitik.org ist in seiner Bedeutung in Deutschland allerdings herausragend. Auch deshalb, weil die Macher um Chefredakteur Markus Beckedahl maßgeblich an der Begründung der wichtigsten Internetkonferenz in Deutschland waren, der re:publica.
Bei den Bobs war die internationale Konkurrenz also bisher zu stark. Gibt es in anderen Ländern eine andere Kultur des politischen Blogs?
Ja, eine stärkere. Das mag daran liegen, dass es hier in Deutschland eine große Affinität zum Expertentum gibt. Zur Politik hat man immer Meinungen, aber man fühlt sich nicht berufen, einen Blog mit rein politischen Themen aufzumachen. In Spanien gibt es sehr viel mehr Blogs mit tagespolitischen Themen. Hier gibt es noch spiegelfechter.com. In der überschaubaren deutschen Szene muss man sie schon suchen. Zum Glück weist Netzpolitik aber auch auf außenpolitische Themen hin: Sie behandeln, recherchieren, bleiben auch bei netzpolitische Themen im EU-Rahmen dran. Sie schauen auch nach Syrien oder China, wenn dort Menschen in Gefahr sind oder etwas tun, das in ihren Themenkomplex passt.
Wird Netzpolitik.org denn auch im Ausland gelesen?
Wenn es eine englischsprachige Version von Netzpolitik.org gäbe, hätten sie dort sicher mehr Resonanz. Das Netz ist zwar international, aber Sprachbarrieren bleiben. Die Ressourcen haben sie wohl nicht, sie finanzieren sich ja hauptsächlich über Spenden und haben wenig Werbung auf der Seite.
Gabriel González Zorilla ist Projektmanager bei The BOBs, Deutsche Welle.
Das Gespräch führte Insa Moog.