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Netzwerk-Euphorie auf dem Prüfstand

Aya Bach4. Mai 2012

Folgt dem Protest die Ernüchterung? Auf der Berliner Blogger-Konferenz re:publica diskutieren Experten die Rolle Sozialer Netzwerke und Medien in den arabischen Umbruchsländern.

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Tunis im Januar 2011: Protest via Facebook (Foto: Abacapress)
Bild: picture alliance/abaca

"Nach der Revolution hat sich gezeigt: Das Internet kann ein Zündfunke sein, um etwas in Bewegung zu setzen. Aber um eine Demokratie aufzubauen, braucht man andere Mittel", sagt der Ägypter Tarek Amr. Der leidenschaftliche Blogger hat den Sturz des Diktators Mubarak miterlebt – und wohl auch ein Stück dazu beigetragen. Amr zählt zu den Gästen eines Panels der Deutschen Welle auf der Berliner Blogger-Konferenz re:publica - ein internationaler Akzent auf dem Szenetreffen, das nicht nur Nerds und Technik-Freaks versammelt, sondern das auch bewusst politische Köpfe zu aktuellen Debatten einlädt.

Tunesien: heikler Punkt erreicht

Folgt nun auf die Euphorie der viel zitierten facebook-Revolution die Desillusionierung? Wie hat das Internet die Politik verändert, und wie wirkt die politische Entwicklung auf das, was im Netz und in den Medien geschieht? Die Gäste von DW-Moderator Robert Mudge nahmen Ägypten, Tunesien und Syrien unter die Lupe.

So verschieden die drei Länder, so unübersichtlich scheint derzeit die mediale Entwicklung. Auch wenn das Internet zum Aufbau einer Demokratie nicht ausreicht: Der Bürgerjournalismus, der durch social networks wie twitter oder facebook überhaupt erst möglich wurde, hat sich mit den Umbrüchen keineswegs erledigt, meint die Journalistin Claire Ulrich vom internationalen Blogger-Netzwerk "Global Voices". Sie beobachtet besonders die Entwicklung in Tunesien: "Die traditionellen Medien waren früher vom Palast gesteuert", sagt sie, "jetzt ist das Land an einem heiklen Punkt angekommen: Was wird in Zukunft veröffentlicht?"

Journalistin Claire Ulrich (Foto: DW)
Claire UlrichBild: DW

Cyber-Aktivisten bald Zeitungsmacher?

Ermutigend findet sie, dass es bereits in einigen Städten journalistische Trainings für junge Leute gab, die damit eine Basis für ihre Aktivitäten als "citizen journalists" erhalten haben. Welche wichtige Rolle sie inzwischen spielen, wurde etwa deutlich, als das Ministerium für Menschenrechte Homosexualität als Krankheit bezeichnete und erst im Netz, dann auf der Straße einen Proteststurm auslöste. Claire Ulrichs Vertrauen auf die jungen Cyber-Aktivisten ist groß: "Noch arbeiten sie im Internet, aber, wer weiß, vielleicht werden sie eines Tages die neuen Zeitungsmacher in Tunesien!"

In Syrien werden die Medien noch immer kontrolliert wie seit Jahrzehnten - und sie stellen ihre eigene Version der Realität her. "Sie zeigen eine Parallelwelt von Syrien, in der nichts passiert, wo Menschen auf der Straße Eis essen", sagt die syrische Bloggerin Leila Nachawati. "Manchmal zeigen sie Terrorangriffe, aber man sieht immer öfter, dass das schlechte Fakes sind, weil sie Fehler machen: Die lassen Leute vor der Kamera agieren, und dann siehst du, wie die aufstehen und weggehen, obwohl sie doch angeblich verwundet sein sollen. Das glaubt doch niemand mehr!"

Die syrische Bloggerin Leila Nachawati auf der re:publica 2012 (Foto: DW)
Leila Nachawati auf der re:publica 2012Bild: DW

Beerdigung als Livestream

Im Internet, erklärt sie, ist ein völlig anderes Syrien zu sehen. Immer mehr Cyber-Aktivisten im Land riskieren ihr Leben, indem sie etwa Livestreams von Demonstrationen oder Beerdigungen ins Netz stellen. Das Problem: "Es ist sehr schwer festzustellen, welche Information verlässlich ist." Verantwortlich dafür, sagt sie aber klipp und klar, seien nicht die Bürgerjournalisten, sondern die Regierung, die keine ausländischen Journalisten ins Land lässt.

Auch in Ägypten hat sich die Rolle der Online-Aktivisten noch lange nicht erschöpft, sagt Blogger Tarek Amr. Zumal sie anderes Material anbieten als die Mainstream-Medien. Sie bringen, findet er, nicht nur Geschichten, die ins Auge springen, sich gut vermarkten lassen und einfach zu erzählen sind: "Sie bringen alles, denn es geht um ihr eigenes Leben, und das zeigen sie hartnäckig."

Blogger Tark Amr auf der re:publica 2012 (Foto: DW)
Tarek Amr in der DiskussionBild: DW

Hoffnung aus dem Internet

Welche entscheidende Rolle das Internet momentan für Syrien spielt, machte Leila Nachawati deutlich: "Wir Bürger haben jetzt eine Welle der Solidarität erlebt - von Land zu Land.  Das verbindet, das schweißt Aktivisten zusammen. Dazu hat die Kommunikation per Internet beigetragen. Der Begriff 'soziales Netzwerk' ist dabei im reinsten Sinn des Wortes zu verstehen: Menschen, die sich verbinden, die politische Grenzen überwinden." Welche Kraft diese Solidarität entfalten kann, weiß auch Tarek Amr. "Das Wichtigste, was uns die Tunesier in Ägypten gegeben haben, war Hoffnung." Und in Tunesien, sagt Claire Ulrich, hat das Netz lebenslange Verbindungen hergestellt – zwischen Ländern und Menschen. 

Die virtuelle Realität, so scheint es, hat eine ideelle Basis geschaffen. Die politische Arbeit muss nun darauf aufbauen.