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Gesundheit im Netzwerk

Lydia Heller22. Oktober 2013

Weltweite Arzneimittelvorräte auf der Karte überblicken oder Patienten direkt auf Facebook befragen: Soziale Medien gehören in der Medizin langsam zum Alltag - eines der Topthemen auf dem letzten Weltgesundheitsgipfel.

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Weltkarte (Grafik: fotalia/Victoria)
Bild: Fotolia/Victoria

Wanda Phelloner aus Sambia war sechs Jahre alt, als sie hohes Fieber bekam. "Ich hatte Malaria", wird das Mädchen drei Jahre später dem Mitarbeiter einer Hilfsorganisation erzählen. "Ich musste ins Krankenhaus, ich brauchte medizinische Betreuung. Aber die richtigen Medikamente hatten sie nicht." Wanda Phelloner ist inzwischen wieder gesund - in vielen Ländern Afrikas bleiben jedoch auch gut erforschte und heilbare Krankheiten wie Malaria häufig unbehandelt. Zwar gibt es Medikamente, doch für die Menschen, die sie brauchen, sind sie nicht verfügbar - weil Apotheken oder Gesundheitseinrichtungen vor Ort sie nicht vorrätig haben.

Crowdmapping gegen Medikamenten-Engpässe

Im Sommer 2009 starteten verschiedene afrikanische Nichtregierungsorganisationen daher eine Kampagne, die solche Medikamenten-Engpässe, sogenannte Stockouts, von besonders wichtigen Arzneimitteln protokollieren sollte. Ergebnis: In nur fünf Tagen wurden in Kenia, Malawi, Uganda und Sambia mehr als 250 Stockouts ermittelt.

Ein Screenshot der Seite stopstockouts.org. (Foto: stopstockouts.org)
stopstockouts.org visualisiert in Echtzeit, wo Medikamente vorhanden sind - oder eben nicht mehrBild: stopstockouts.org

Freiwillige Helfer hatten sich vor Ort nach den Medikamenten-Beständen erkundigt und ihre Ergebnisse per SMS an die Macher der Plattform stopstockouts.org geschickt. Dort wurde aus den Daten eine Landkarte erstellt, die zeigt, in welchen Orten welche Medikamente in welchen Mengen verfügbar sind - und die für alle im Internet einsehbar war. "Vor der Aktion hieß es von der Regierung oft, es gebe keine Stockouts", erklärt Daudi Were auf dem World Health Summit (20.-22. Oktober 2013), dem fünften Weltgesundheitsgipfel, in Berlin. Er arbeitet in Nairobi für die Firma Ushahidi und hat die Software mitentwickelt, auf der stopstockouts.org basiert. "Danach konnten wir sie mit den Fakten konfrontieren. Und dann kamen Gespräche über die Ursachen der Stockouts in Gang: Liegt es am Geld? Gibt es Probleme mit der Lieferung oder der Verteilung? Die Akteure konnten jetzt viel konkreter mit den Regierungen sprechen."

Crowdmapping heißt das Prinzip, auf dem Projekte wie stopstockouts.org basieren. Dabei gehe es vor allem darum, die Möglichkeiten, wie und von wem Informationen erstellt und genutzt werden können, zu organisieren. Dies sei gerade auch im Bereich der öffentlichen Gesundheitsversorgung wichtig: "Denn es sind ja die Leute vor Ort, die wissen, in welchen Apotheken es keine Medikamente gibt. Und wenn die Regierung dann auf solche Informationen zugreifen kann, kann die Verteilung effizienter organisiert werden."

Die Weisheit der Vielen

Nach dem Erdbeben 2010 in Haiti lieferte eine Plattform auf der Grundlage von Ushahidis Software einen Überblick darüber, an welchen Orten wie viel und welche Art Hilfe benötigt wurde - gesammelt aus mehr als 40.000 Einzelmeldungen von Betroffenen und Helfern vor Ort. Nach der Katastrophe von Fukushima 2011 informierte die Crowdmapping-Seite sinsai.info unter anderem über die Strahlenbelastung in der Region - auch Behörden und Botschaften verwiesen bei Anfragen auf die Webseite.

Auch Joseph Tucker, Professor an der University of North Carolina School of Medicine in Chapel Hill und Spezialist für Infektionskrankheiten, setzt auf das Wissen der Masse. In Guangzhou, im Süden Chinas, betreut er eine Web-Plattform, die über Geschlechtskrankheiten wie Aids aufklärt und sich speziell an homosexuelle Männer richtet. Denn wie in vielen anderen Ländern seien schwule Männer auch in China besonders gefährdet, was die Ansteckung mit Krankheiten wie AIDS oder Syphilis betrifft. "Aber sie lassen sich nicht regelmäßig testen. Und um diese Risikogruppen zu erreichen, brauchen wir Wege, die für sie akzeptabel sind. Soziale Medien eignen sich sehr gut, um etwa herauszufinden, wie sie getestet werden wollen und wo. Das kann uns helfen, mehr dieser Männer zu HIV-Tests zu bewegen."

Gefahr durch Gerüchte

Umfragen zufolge nutzen 75 Prozent der um die Jahrtausendwende Geborenen soziale Medien, ein Drittel von ihnen prüft mehrmals täglich die Nachrichten auf Facebook, Twitter oder anderen Netzwerken. "Gesundheit" und verwandte Begriffe gehören zu den meistgestellten Anfragen in Suchmaschinen. Welche Informationen am schnellsten zu finden sind, welche sich am weitesten verbreiten und wie man sie zu bewerten hat - das wird zunehmend eine kritische Größe für die öffentliche Gesundheit. Denn genauso wie soziale Netzwerke Hilfe und Selbstorganisation unterstützen können, so kann darüber auch Widerstand gegen Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge organisiert werden.

Unter anderem übers Netz verbreitete Vorbehalte gegen Impfkampagnen gefährdeten bereits Erfolge bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten, kritisiert Heidi Larson, Professorin an der London School of Hygiene and Tropical Medicine: "2003 boykottierten fünf Staaten in Nord-Nigeria die Impfung gegen Kinderlähmung. Aus religiösen oder politischen Gründen, weil es hieß, der Westen versuche, die Menschen zu sterilisieren. Das dauerte fast ein Jahr. In dieser Zeit konnte der Virus sich wieder ausbreiten." Noch heute, zehn Jahre nach dem Boykott, so Larson, gebe es Bedenken gegen die Polio-Impfung. Und auch die hätten sich - ähnlich wie der Virus - über Nordnigeria hinaus verbreitet. "Die Gerüchteküche, die traditionell eher im kleinen Kreis brodelt, brodelt jetzt weltweit."

Kinder bekommen Polio-Impfstoff in Nigeria (Foto: Global Polio Eradication Initiative)
Verbreitung von Vorbehalten übers Netz: Gegen die Polio-Impfung gibt es noch heute BedenkenBild: Global Polio Eradication Initiative

Werkzeug für gezieltere Strategien

Die Vereinten Nationen etwa stoppten Ende vergangenen Jahres ihre Beteiligung am Impfprogramm gegen Kinderlähmung, nachdem Mitarbeiter der Kampagne gezielt attackiert wurden. An ihrem Institut hat Heidi Larson daher jetzt ein Programm mitentwickelt, das Blogs, Foren und soziale Netzwerke weltweit nach Informationen über Impfkampagnen absucht und die Inhalte analysiert. Um Medien- oder Meinungskontrolle - das betont sie - gehe es dabei nicht. Sondern vielmehr darum, herauszufinden, aus welchen Gründen Menschen Vorbehalte gegen bestimmte Maßnahmen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge haben. Ob religiöse Überzeugungen beispielsweise bei der Planung einer Kampagne in bestimmten Regionen stärker berücksichtigt werden sollten - oder anderswo mehr auf das Bedürfnis nach Information über alternative Behandlungsmethoden eingegangen werden muss. Denn soziale Medien, so Daude Were, sind letztlich nichts anderes als ein Werkzeug - auch im Bereich der globalen Gesundheit. "Sie funktionieren wie Medizin: Man kann damit heilen und man kann damit Schaden anrichten. Deshalb muss man sie richtig dosieren."