EU-Russland-Gipfel
3. Juni 2012Sie müssen sich nicht vorstellen. Wenn der EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und der Ratsvorsitzende Herman Van Rompuy am Sonntag und Montag (03./04.06.2012) Sankt Petersburg bereisen, heißt der Gastgeber erneut Wladimir Putin. Rund vier Wochen nach seinem dritten Amtsantritt als Präsident Russlands empfängt er die Spitzenvertreter der Europäischen Union.
Und doch heißt der zentrale Punkt auf der Agenda: sich kennenlernen. Beim Russland-EU-Gipfel werde es keine besonderen Schwerpunkte geben, sagt Fernando Valenzuela, EU-Botschafter in Moskau im Gespräch mit der Deutschen Welle. Brüssel sehe das Treffen eher als eine Gelegenheit, mit Putin zum ersten Mal nach seiner Wahl direkt zu sprechen und "eine allgemeine Einschätzung" der Beziehungen zu machen.
"Der Lack ist ab"
Ein Routinegipfel, wie es sie zweimal im Jahr gibt, dürfte es aber nicht werden. Das Treffen findet vor dem Hintergrund einer Protestwelle statt, die es in Russland so seit fast 20 Jahren nicht mehr gegeben hat. Seit der offenbar gefälschten Parlamentswahl im Dezember 2011 gehen immer wieder Zehntausende vor allem in Moskau auf die Straße. Auch Putins Sieg bei der Präsidentenwahl im März 2012 wird bis heute von einem Teil der russischen Mittelschicht nicht akzeptiert. Die EU hat beide Wahlgänge als undemokratisch kritisiert. Die Polizei in Moskau geht inzwischen wie in den vergangenen Jahren mit Härte gegen Demonstranten vor. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, die auch beim Gipfel dabei ist, kritisierte zuletzt Mitte Mai die Inhaftierung und Verurteilung einiger Oppositionsführer.
Die innenpolitische Lage in Russland könnte ein Thema bei dem Gipfel in Sankt Petersburg werden, sagt Fernando Valenzuela. Der EU-Vertreter in Russland erwartet bei diesem Gipfel "eine ziemlich direkte Diskussion". Doch wie laut werden Barroso und seine Kollegen Putin kritisieren?
"Ich denke, dass für einige seiner Gegenüber, die da sitzen werden, der Lack etwas ab ist", sagt Sascha Tamm, Leiter des Moskauer Büros der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. In der Europäischen Union gelte Putin als ein geschwächter Präsident, dessen Autorität im eigenen Land bröckle. "Andererseits sitzt er natürlich fest im Sattel", so der Experte. Tamm schließt zwar eine "leichte Abkühlung" zwischen Moskau und Brüssel nicht aus, glaubt aber nicht an eine Konfrontation: "Ich denke, es wird business as usual sein."
Die EU scheint sich gegenüber Russland jedenfalls vorsichtiger als gegenüber manch anderen ehemaligen Sowjetrepubliken zu verhalten. Anders als zum Beispiel beim Gipfel in der ukrainischen Hauptstadt Kiew im Dezember 2011 wird es in Sankt Petersburg kein Treffen der EU-Spitze mit Vertretern der Opposition oder der Zivilgesellschaft geben. Das Format sehe das nicht vor, heißt es aus EU-Kreisen.
Syrien-Konflikt im Vordergrund
Auch Wladimir Putin wird wohl seine dritte Präsidentschaft nicht mit einem Konflikt mit Brüssel beginnen wollen. Im Gegenteil. Seine ersten außenpolitischen Kontakte gehen in Richtung Europa. Nach den abgesagten Reisen zu den Gipfeln von G8 und NATO Ende Mai in den USA und nach den Blitzbesuchen in Berlin und Paris (1.06.2012) trifft sich der neue Kremlchef nun auch mit der EU-Führung. Dabei soll es um globale, internationale und bilaterale Fragen gehen, sagte ein russischer Diplomat im Vorfeld des Gipfels.
Aus aktuellem Anlass dürfte ein Thema ganz oben auf der Tagesordnung stehen: Syrien. Nach der Eskalation der Gewalt hofft die EU, dass Russland seine kritische Haltung im UN-Sicherheitsrat aufgibt und einer harten Resolution zustimmt. In den vergangenen Monaten hat Moskau zwei Mal sein Veto gegen eine solche Resolution eingelegt, weil es eine internationale Einmischung in den Konflikt in Syrien ablehnt. "Nach der letzten Entwicklung in Syrien könnte ich mir schon vorstellen, dass Russland dem Westen irgendwie entgegenkommt", sagt Sascha Tamm von der Naumann-Stiftung in Moskau. Eine grundsätzliche Änderung der russischen Position hält der Russland-Experte aber für unwahrscheinlich.
Auch der Iran, neben Syrien ein zweiter wichtiger Verbündeter Russlands im Nahen Osten, dürfte ein Thema beim Gipfel mit der EU-Spitze werden, so die Einschätzung mancher westlicher Experten. Für Mitte Juni ist in Moskau eine neue Verhandlungsrunde zum iranischen Atomprogramm geplant.
Neue Grundlage nach WTO-Beitritt
Für Gesprächsbedarf in Sankt Petersburg werde bestimmt die aktuelle Wirtschafts- und Währungskrise in Europa sorgen, meint Fraser Cameron, ehemaliger Berater der EU-Kommission und Russland-Experte in Brüssel. "Russland wird offenbar daran interessiert sein, zu erfahren, was in der Eurozone vor sich geht", sagt Cameron. Moskau halte einen großen Teil seiner Devisenreserven in Euro und wolle aus erster Hand erfahren, was "auf der anderen Seite passiert".
Die Beziehungen zwischen Russland und der EU haben sich in den letzten Jahren "stets verbessert", sagt der EU-Botschafter in Moskau Valenzuela. Es gebe aber immer noch Verbesserungsmöglichkeiten. Die Wirtschaft stand dabei bisher stets im Vordergrund. Unter Putins Vorgänger Medwedew vereinbarten Brüssel und Moskau eine "Partnerschaft für Modernisierung". Diese werde auch fortgesetzt, betont Cameron.
Bedingungen für Visaerleichterungen
Ein weiterer Schritt steht unmittelbar bevor. Der Grund ist Russlands Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Dezember 2011. Mit der Zustimmung des russischen Parlaments in den kommenden Monaten soll der Vorgang formell abgeschlossen werden. "Der WTO-Deal reicht im Grunde für einen Neuanfang oder einen Reset aus", sagt Cameron. Das würde auch die Verhandlungen über ein neues EU-Russland-Abkommen beschleunigen, so der Experte.
Ein Teil dieses Abkommens soll die Abschaffung der Visapflicht zum Ziel haben, so die Wunschvorstellung in Moskau. Dieses Thema dürfte Präsident Putin erneut ins Gespräch bringen, vermuten Experten. Einen Durchbruch auf dem Gipfel in Sankt Petersburg erwarten sie aber nicht. "Es ist keine politische, sondern eine technische Frage", meint Cameron. Es gebe dazu eine "Roadmap" und Russland müsse gewisse Bedingungen wie etwa die Einführung biometrischer Reisepässe erfüllen. Dann würden auch Visaerleichterungen möglich.