Neue Besatzung für Chinas Himmelspalast
13. Juni 2013Am Dienstag (11.06.2013) um 11.38 Uhr MESZ startete das Raumschiff Shenzhou-10 an der Spitze einer Rakete vom Typ "Langer Marsch" von Chinas Weltraumbahnhof Jiuquan in der Wüste Gobi. An Bord befinden sich drei Astronauten – eine Frau und zwei Männer. Zum zweiten Mal schickt Chinas Raumfahrtorganisation eine Frau ins All. Ziel des zweiwöchigen Raumfluges ist die Himmelsstation Tiangong 1 in 350 Kilometern Höhe. Die malerischen Namen – Shenzhou bedeutet "göttliches Schiff", Tiangong "Himmelspalast" – illustrieren die politischen Ambitionen, die China im All verfolgt. Das Reich der Mitte gehört längst zu den Großmächten in der Umlaufbahn.
Konsequente Schritte im ambitionierten Weltraumprogramm
Zwar ist Tiangong mit zehn Metern Länge und drei Metern Durchmesser gemessen an den Ausmaßen der Internationalen Raumstation eher ein Palästchen. Doch China hat sehr ehrgeizige Ziele im Weltraum. Bis zum Jahr 2020 wollen die Militärs, die in China für die Raumfahrt zuständig sind, eine Station im All errichten, die etwa so groß sein wird wie die frühere sowjetische Raumstation MIR und dauerhaft besetzt sein soll. Mit jedem weiteren Flug machen die Chinesen einen Schritt nach vorn. Die Raumfahrtverantwortlichen gehen dabei ebenso geduldig wie konsequent vor. Der Flug von Shenzhou-10 ist – zehn Jahre nachdem der erste Astronaut des Landes ins All geflogen ist – zwar erst die fünfte bemannte chinesische Mission, aber China zeigt eindrucksvoll, dass es alle wichtigen Techniken beherrscht.
"Shenzhou-10 wird zweimal an die Station andocken," erklärte Wu Ping, die Sprecherin des chinesischen Raumfahrtprogramms nach dem Start. "Einmal automatisch und dann von Hand durch die Astronauten gesteuert." Während des Aufenthalts an Bord von Tiangong-1 stünden Experimente aus den Bereichen Weltraummedizin und Technologie auf dem Programm der Besatzung. "Zudem gibt es Unterricht aus dem Weltraum für die Schüler am Boden", betonte Wu Ping. Raumfahrt ist in China derzeit noch vor allem eine Frage des nationalen Prestiges und sorgt für viel Begeisterung in der Bevölkerung.
Wissenschaftliche Kooperation mit Deutschland
Dagegen spielen wissenschaftliche Experimente in der Schwerelosigkeit keine große Rolle. Beim unbemannten Flug von Shenzhou-8 im Jahr 2011 hatte sich China dazu Kompetenz aus Deutschland an Bord geholt. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hatte die SIM-Box beigesteuert – SIM steht für Science in Microgravity, also Wissenschaft in der Schwerelosigkeit. Während des Fluges liefen 17 biologische und medizinische Experimente in der SIM-Box ab. Damals schwärmte Gerd Gruppe, DLR-Vorstand für Raumfahrtmanagement, von der Zusammenarbeit mit China: "Wir haben den Sprung über die chinesische Mauer gewagt und Deutschland eine neue Partnerschaft in der bemannten Raumfahrt eröffnet."
China hat mit seiner Raumfahrttechnik bereits Europa überholt und ist neben Russland und den USA die dritte Nation, die Menschen ins All transportieren kann. Nach dem Ende der Shuttle-Flüge fällt die NASA derzeit allerdings aus – die USA werden frühestens in drei Jahren wieder über einen eigenen Zugang für ihre Astronauten ins All verfügen. Bis dahin sind sie auf Flüge in den russischen Sojus-Kapseln angewiesen. Europa hätte das technische Können, ein eigenes bemanntes Raumschiff zu bauen, doch ist so ein Projekt politisch nicht gewollt. Daher sind Europas Astronauten bei Reisen ins All immer nur Trittbrettfahrer. Nach Mitflügen bei den Amerikanern und Russen bietet womöglich bald China ganz neue Perspektiven.
Europas Raumfahrer setzen auf Zusammenarbeit mit China
"Wir suchen nach Möglichkeiten, die chinesische Raumstation zu nutzen", erklärte Thomas Reiter, der Direktor für bemannte Raumfahrt und Missionsbetrieb der Europäischen Weltraumorganisation ESA im vergangenen Monat. "Einige unserer ESA-Astronauten lernen bereits Chinesisch." Bisher fliegen die ESA-Astronauten immer nur zur ISS. Derzeit hält sich dort der Italiener Luca Parmitano auf. China gehört nicht zu den Partnern der Internationalen Raumstation, an der die USA, Russland, Japan, Kanada und Europa beteiligt sind. Immer wieder hat China diskret signalisiert, auch bei der ISS mitmachen zu wollen. Doch die USA lehnen dies kategorisch ab. "Es ist die Vorgabe unserer Regierung, nicht mit China zusammenzuarbeiten – und daran halten wir uns natürlich," erklärte NASA-Chef Charles Bolden im vergangenen Jahr auf einer ISS-Konferenz in Berlin. Dabei war dem früheren Astronauten ein gewisses Bedauern deutlich anzumerken.
Treibende Kraft hinter Chinas Raumfahrtprogramm ist weniger die Wissenschaft als das Streben nach internationaler Anerkennung. Die – so ist offenbar das Kalkül der Staatsführung – hätte man nicht nur mit einer eigenen kleinen Raumstation, sondern vor allem, wenn man mit den USA und Russland auf Augenhöhe im Weltraum zusammenarbeite. Seit einiger Zeit fällt auf, dass offizielle chinesische Verlautbarungen stets den Willen zur internationalen Kooperation betonen. Man sei offen für Zusammenarbeit, sofern es "gegenseitigen Nutzen gäbe, es um eine friedliche Nutzung des Alls gehe und man Projekte gemeinsam entwickeln" könnte. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, wann die ISS-Partner, allein aus Kostengründen und um die chinesischen Transportkapazitäten zu nutzen, auch China mit ins Boot holen. Dann wäre die ISS eine wirklich globale Raumstation, an der alle Raumfahrtnationen beteiligt sind.
Zwei Frauen im All zum Jahrestag von Walentina Tereschkowa
Während der Shenzhou-10-Mission befinden sich für zwei Wochen neun Menschen in der Erdumlaufbahn: drei an Bord von Tiangong-1 und sechs in den Modulen der ISS. Die neun können am Sonntag (16.06.2013) ein großes Raumfahrtjubiläum feiern: Dann jährt sich der Flug von Walentina Tereschkowa zum 50. Mal, der ersten Frau im Weltraum. Zum Jahrestag befinden sich dann gleich zwei ihrer Nachfolgerinnen im All.