Eiszeit
25. Juni 2013Präsident Barack Obama hatte sich das gewiss anders vorgestellt, als er im Sommer 2010 die Beziehungen zu Russland auf "Reset" setzte und gemeinsam mit dem damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew für einen Neuanfang plädierte. Bei internationalen Krisenherden wie Iran, Nordkorea oder Afghanistan betonte man nun einmütig die gemeinsamen Interessen. Und mit dem "New Start" Vertrag, in dem die nukleare Abrüstung festgelegt wurde, fand der neue Wille zur Zusammenarbeit sehr rasch Eingang in die Realpolitik.
Ganz anders wirkt dagegen heute die Reaktion des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf Obamas jüngste Berliner Abrüstungsinitiative. Aus Putins rasch vorgebrachten Einwänden sprechen Misstrauen und der offensichtliche Unwille, von der eigenen, neu betriebenen Großmachtpolitik abzulassen.
Und wer Obama und Putin bei ihrem jüngsten Aufeinandertreffen in Nordirland beim G8-Gipfel gesehen hat, der fand in ihren finsteren Blicken den Ausdruck eines veränderten Umgangs miteinander.
Eisige Stimmung
Kein Zweifel, der Ton zwischen den beiden Präsidenten und ihren Ländern ist rauher geworden. Atmosphärisch scheinen sich Moskau und Washington in Richtung Nullpunkt zu bewegen. Gerade mit Blick auf den Whistleblower Edward Snowden und die Auseinandersetzung um seinen Aufenthalt in Moskau fühlt sich der Russlandexperte Matthew Rojansky vom Carnegie Endowment for International Peace in Washington an die Rethorik des Kalten Krieges erinnert: "Jede Seite tut alles, um die andere vorzuführen. Das hat sehr viel von der Dynamik, die wir aus dem Kalten Krieg kennen. Aber auf der anderen Seite geht im Hintergrund die Zusammenarbeit weiter." Das betrifft die Umsetzung des "New Start"-Vertrages genauso wie Afghanistan, Iran und - nach den Bombenanschlägen von Boston besonders bedeutsam - die Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste.
Trotz der unübersehbar gewordenen Unstimmigkeiten hat sich in diesen Feldern offensichtlich nichts geändert beim Zusammenwirken auf der Arbeitsebene. Man kann dies auch als ganz nüchterne Interessenpolitik deuten. Beide Seiten halten an der einmal gefundenen Erkenntnis fest, dass etwa im Falle Nordkoreas die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen dem eigenen vitalen Interesse entspricht.
Als Prüfstein für die amerikanisch-russischen Beziehungen hat sich dagegen der blutige Bürgerkrieg in Syrien herausgestellt. Syrien zählt zu den wenigen verbliebenen Verbündeten Moskaus im Nahen Osten. Und die strategischen, finanziellen und politischen Interessen Russlands sind althergebracht und unübersehbar. Aus Putins Sicht mag das Engagement Russlands in Syrien daher auch besonders prestigeträchtig sein. Ein Zurückweichen - und sei es auf dem Verhandlungsweg - darf nicht mit einem Gesichtsverlust einhergehen. In schlechter Erinnerung ist ihm das westliche Eingreifen in Libyen geblieben, bei dem sich die einstige Schutzmacht Russland in der Zuschauerrolle wiederfand.
In dieser Logik hat die Entscheidung des Westens, die syrische Opposition zu bewaffnen, im Kreml die Alarmglocken schrillen lassen. Matthew Rojansky räumt ein, dass die Amerikaner ihr Umschwenken wohl nur unzureichend nach Moskau kommuniziert hätten. Und dass sie den Spielraum, auf dem Verhandlungsweg eine Lösung zu finden, damit erheblich eingeschränkt hätten.
Muskelspiele
Der neue Selbstbehauptungswillen Russlands zeigt sich aber nicht nur am Beispiel Syriens, sondern, so Rojansky, auch auf anderen Politikfeldern. Die Russen wollten nicht als Supermacht zurück auf die Weltbühne, meint er, "aber sie wollen von allen wichtigen Ländern, übrigens auch von den Chinesen, als eine der großen Mächte anerkannt werden. Sie sollten ernst genommen werden in der ganzen Breite - von politischen über wirtschaftliche bis hin zu militärischen und sicherheitspolitischen Fragen."
Doch auch Putins Muskelspiel kann die Realitäten nicht ausblenden. Das heutige Russland ist weder eine wirtschaftliche noch eine politische Großmacht, allenfalls eine militärische.
Gleichzeitig sind die USA nicht mehr die "irreplaceable Nation", wie sie einst die frühere amerikanische Außenministerin Madeleine Albright definiert hat. Sie sind keineswegs unersetzlich in vielen Teilen dieser Erde - und sie sehen sich selbst auch nicht mehr in dieser Rolle. Die Kriege in Irak und Afghanistan haben die Kräfte des Landes überspannt. Präsident Obama hat diese schmerzliche Erkenntnis längst zum Teil seiner außenpolitischen Strategie gemacht. Amerikas Agieren "aus der zweiten Reihe heraus", wie er es nennt, wirkt auf manche zögerlich und als Zeichen der Schwäche. Und es lässt globalen Gegenspielern wie Russland viel Raum, sich selbst auszubreiten.
Russland nutzt die amerikanische Zurückhaltung zwar aus, fällt in seiner Politik aber bisher nicht in die irrationalen Muster des Kalten Krieges zurück. Russland, so Rojansky, werde beispielsweise auch weiterhin nicht akzeptieren, dass mit Iran direkt an seiner Südgrenze eine neue Atommacht entsteht. "Trotzdem: Wenn es sich anbietet, werden sie die Gelegenheit nutzen, mal mit dem Iran, mal mit den Syrern politische Geschäfte zu machen."
Hieran wird vermutlich auch der amerikanische Präsident nichts ändern können. Es kommt also darauf an, sich künftig noch besser auf ungelegene russische Machtspiele einzustellen und dabei die gemeinsamen vitalen Interessen beider Länder nicht aus dem Blick zu verlieren.