Neue Hinweise auf missglückten Raketentest
22. August 2019War es ein nuklear angetriebener Marschflugkörper? Am 8. August kamen bei einer Explosion auf einem Testgelände im Sperrgebiet bei Sewerodwinsk im Norden Russlands fünf Wissenschaftler und zwei Militärs ums Leben. Nähere Einzelheiten sind nicht bekannt. Experten des James Martin Center for Nonproliferation Studies (Studien, die sich mit Rüstungskontrolle befassen) am Middlebury Institute im kalifornischen Monterey vermuten, dass es sich um einen misslungenen Test mit einem Marschflugkörper vom Typ "Burewestnik" gehandelt haben könnte. Das sagte Anne Pellegrino, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Zentrums, im Gespräch mit der DW. Die Experten des Zentrums waren unter den ersten außerhalb Russlands, die nach der Explosion von Anfang August Hinweise auf erhöhte Radioaktivität fanden.
US-Präsident Donald Trump sprach auf Twitter von einer "gescheiterten Raketenexplosion in Russland". Wegen der Explosion der "russischen Skyfall" seien die Menschen in der unmittelbaren Umgebung und weit darüber hinaus besorgt. "Skyfall" ist der NATO-Codename für den russischen Marschflugkörpfer.
Ein Test von Putins neuer Waffe?
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte im März 2018 Burewestnik erstmals vorgestellt. Was für eine Rakete tatsächlich auf dem Njonoksa-Militärgelände im Gebiet Archangelsk getestet wurde, dazu hat sich Moskau bisher nicht geäußert. Die staatliche Nuklearbehörde Rosatom teilte lediglich mit, es sei ein "Raketentriebwerk mit einer Isotopen-Stromquelle" getestet worden.
Einige staatliche russische Medien hingegen berichteten von einem Test mit einem thermoelektrischen Radioisotopengenerator (RTG), auch "Atombatterie" genannt. Bei einem Unfall hätte ein solches System nach Ansicht der Experten des James-Martin-Zentrums im Vergleich zu Burewestnik jedoch deutlich weniger radioaktive Energie freigesetzt.
Die Experten in Monterey haben nach eigenen Angaben Beweise für einen misslungenen Test mit einem Marschflugkörper. Sie weisen darauf hin, dass das Njonoksa-Testgelände erst 2018 modernisiert worden sei. Es habe sich früher mit Ausnahme einer Startrampe "in einem Zustand des Verfalls" befunden.
Satellitenbilder liefern Hinweise
Anne Pellegrino vom James Martin Center sagte, zur Modernisierung gehörten auch neue Strahlungs-Schutzcontainer auf Schienen. Die Expertin wies darauf hin, dass ihre Kollegen solche Konstruktionen auch auf Bildern von zwei anderen Burewestnik-Testeinrichtungen gesehen hätten: auf der Startrampe in Pankowo auf der Insel Nowaja Semlja im Nordpolarmeer und auf dem Testgelände Kapustin Jar im südrussischen Gebiet Astrachan.
Pellegrino sagte, auf Satellitenbildern sei festgestellt worden, dass nach den Tests auf Nowaja Semlja "das russische Militär dort seine Sachen gepackt" habe. Unklar sei zunächst gewesen, wo neue Test stattfinden würden. "Wir haben das völlig verpasst", gibt die Expertin zu. Doch bei der Auswertung von Satellitenbildern vom Njonoksa-Testgelände erkannten die Experten in Monterey sofort die für Burewestnik-Tests erforderlichen Anlagen. "Später fanden wir heraus, dass die Tests nicht an Land, sondern auf einer schwimmenden Plattform in Küstennähe durchgeführt worden sein könnten", so Pellegrino.
Der ehemalige Marineoffizier Alexander Nikitin sagte der DW, das Militärgelände läge in dem Teil des Weißen Meeres, in dem die Schifffahrt eingeschränkt sei. "Auf dem Übungsgelände gibt es schwimmende Plattformen, auf denen alle möglichen Tests durchgeführt werden, darunter auch dieser, bei dem eine Rakete explodierte", berichtete der Experte für Nuklearsicherheit, der heute für die internationale Umweltschutzorganisation Bellona tätig ist.
Atommüll-Transporter im Einsatz
Experten des James Martin Center entdeckten auf den Satellitenbildern zudem, dass sich in der Gegend des Njonoksa-Testgeländes das Schiff "Serebrjanka" befand. Es gehört der Nuklearbehörde Rosatom und dient dazu, radioaktive Abfälle aufzunehmen. "Es war auch bei der Beseitigung von Folgen früherer Tests vor der Küste von Nowaja Semlja im Einsatz", sagte Pellegrino. Sie glaubt, dass die Vorbereitungen für den Test etwa ein Jahr gedauert haben. Dass die "Serebrjanka" lange vor dem Test in der Gegend war, zeige, dass das Militär gewusst habe, dass ein Schiff dieser Art erforderlich sein könne.
Wenige Tage nach der Explosion in Njonoksa verzeichnete Norwegen einen Anstieg radioaktiver Strahlung. Das sei nicht unbedingt ein Grund zur Besorgnis, sagte Pellegrino. Es könnte auch ein Hinweis auf eine Veränderung der Hintergrundstrahlung sein. Gleichzeitig meint die Expertin aber, die Fakten sprächen eher dafür, dass der Unfall bei einem Test mit einem Mini-Reaktor von dem Typ passiert sei, der in Burewestnik verbaut werde.