Türkei sucht Lösung im Kurdenkonflikt
1. Oktober 2012Während des Parteitags seiner Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) sagte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Wochenende (30.09.2012) in Ankara , die Kurden sollten sich klar von der Gewalt der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) distanzieren. Gemeinsam mit der mit rund zwölf Millionen Menschen größten ethnischen Minderheit des Landes wolle er neue Lösungswege beschreiten. Nach Monaten der eskalierenden Kämpfe zwischen der Armee und der PKK - mit mehreren hundert Toten sowie einer Reihe von äußerst unversöhnlichen Stellungnahmen seiner Regierung zum Kurdenkonflikt - weckten diese Worte neue Hoffnung auf eine friedliche Lösung. Dem Konflikt sind seit 1984 mehr als 40.000 Menschen zum Opfer gefallen.
Schon vor dem Parteitag hatte Erdogan gesagt, neue Gespräche mit der PKK seien denkbar. Eine erste Runde von Geheimverhandlungen zwischen Abgesandten Erdogans und der PKK war im vergangenen Jahr in Oslo ergebnislos abgebrochen worden. Nun will Erdogan den Gesprächsfaden wieder aufnehmen. Auch der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan soll in den Verhandlungsprozess eingebunden werden. Öcalan erklärte sich dazu bereit, teilte sein Bruder nach einem Besuch auf der Gefängnisinsel Imrali mit. Es war die erste bekannt gewordene Botschaft des PKK-Chefs seit über einem Jahr.
Kurdisch als Wahlfach in den staatlichen Schulen
Bereits Mitte September war eine Reform in Kraft getreten, die von der Erdogan-Regierung ebenfalls als Zugeständnis an die Kurden gesehen wird. Erstmals in der Geschichte der Türkei können Schüler der Mittelschulen nun Kurdisch-Kurse als Wahlfächer belegen. Angesichts der Tatsache, dass die Türkei lange jeglichen öffentlichen Gebrauch der kurdischen Sprache verbot, ist das ein großer Schritt.
Nach Presseberichten wird das neue Wahlfach in den kurdischen Gebieten aber bisher nur sehr zögerlich angenommen. Möglicherweise liegt ein Grund dafür in der Haltung der legalen kurdischen Partei des Friedens und der Demokratie (BDP) zu dem Projekt: Der Partei geht das Angebot von Kurdisch-Unterricht als Wahlfach nicht weit genug. Sie fordert, dass kurdische Kinder ihre Muttersprache gleich in der Grundschule als Pflichtfach lernen sollen.
"Die Regierung meint es nicht ernst"
Nicht nur beim Kurdisch-Unterricht ist die Skepsis bei der BDP groß. Auch Erdogans Ankündigungen vom Parteitag stoßen bei Kurdenpolitikern auf großes Misstrauen. "Die Regierung meint es nicht ernst", sagte BDP-Chef Selahattin Demirtas der pro-kurdischen Zeitung "Özgür Gündem".
Demirtas will sich neuen Gesprächen dennoch nicht verschließen. Seine Partei bereitet sich - ebenso wie Erdogans AKP - auf die Kommunalwahlen vor, die im kommenden Jahr anstehen. Die beiden Parteien werden die Hauptrivalen im türkischen Kurdengebiet sein. Eine Verweigerung von Gesprächen wäre sowohl für die AKP als auch für die BDP im Wahlkampf kaum zu vermitteln.
Kämpfe gehen weiter
Auf die Lage bei den Gefechten im türkischen Südosten haben die politischen Debatten bisher kaum Auswirkungen. In der Provinz Sirnak starb am Sonntag ein Soldat bei der Explosion eines von der PKK im Straßengraben versteckten Sprengsatzes. Auch in der Provinz Hatay, die an der Grenze zu Syrien liegt, wurde gekämpft.
PKK-Chef Öcalan ließ durch seinen Bruder mitteilen, die Kämpfe sollten aufhören, auch die PKK solle sich zurückhalten. Es ist aber nicht sicher, dass die Hardliner unter den Kurdenrebellen sich an diesen Appell halten. Trotz der neuen Ankündigungen Erdogans herrschen im türkischen Kurdenkonflikt nach wie vor die Waffen des Krieges.