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PolitikAsien

Neue "Kurze Geschichte der KP Chinas"

Hans Spross
1. Juli 2021

Damit nicht nur gefeiert, sondern auch das "Richtige" gelernt wird, gibt es zum 100. Jubiläum eine neue offizielle Geschichte der KP Chinas als Pflichtlektüre.

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Buchcover | Eine kurze Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas
"Eine kurze Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas" als BuchBild: CPC

Aus einer kleinen Verschwörerclique, die sich im Juli 1921 in Shanghai – das genaue Datum ist nicht geklärt - zum 1. Parteitag der KP Chinas traf, ist 100 Jahre später mit mehr als 90 Millionen Mitgliedern die - nach der indischen BJP - größte politische Partei der Welt geworden, die die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt regiert. Die Partei hat sowohl den anti-kommunistischen Vernichtungsfeldzug der Guomindang-Truppen unter Jiang Jieshi (Tschiang Kai Shek) wie auch danach den Eroberungsfeldzug der Japaner im Zweiten Weltkrieg nicht nur überlebt, sondern ist daraus jeweils gestärkt hervorgegangen. Insofern steht das Heldenepos, als welches die Geschichte der KPCh offiziell geschildert wird, durchaus auf historischen Tatsachen, was die Zeit bis zur Gründung der VR China 1949 betrifft.

Katastrophale Entscheidungen und Kurswechsel der Folgezeit wie der Versuch einer forcierten Industrialisierung  ("Großer Sprung nach vorn") oder die "Große Proletarische Kulturrevolution"  sind schon schwerer in eine ununterbrochene Erfolgsgeschichte zu integrieren.

Anlässlich des 100. Jahrestages ihrer Gründung ist nun eine neue "Kurze Geschichte der Kommunistische Partei Chinas" erschienen, herausgegeben von der Propagandaabteilung des Zentralkomitees der KPCh. Trotz der "Kürze" im Titel hat die gedruckte Version mehr als 500 Seiten. Die DW sprach mit dem Kölner Sinologen Felix Wemheuer über das, was darin steht und was nicht.

China Zeichentrickfilm Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) CPC 2021
Szene aus der Zeichentrickserie "Blut und Feuer: Wie das Neue China geformt wurde". Hier Mao Zedong auf der wegweisenden Konferenz in Zunyi 1935.Bild: dangshi.people.com.cn

"Vereinheitlichung der Gedanken"

DW: An wen richtet sich die neue offizielle Geschichte der KP Chinas, auf welche Weise wird sie vermittelt?

Wemheuer: Parteigeschichtsschreibung spielt in der KP Chinas traditionell eine sehr wichtige Rolle. Auch Mao hat das Studium der Parteigeschichte schon benutzt, um "die Gedanken zu vereinheitlichen". Zum einen sollen also die Parteikader sich die aktuelle Interpretation aneignen, und zum anderen die Bewerber um eine Parteimitgliedschaft. "Eine kurze Geschichte der Kommunistische Partei Chinas" soll auch Gegenstand der zentralen Aufnahmeprüfungen für die Hochschulen werden. Millionen Chinesen werden also standardisierte Fragen und Antworten, die auf dem Buch beruhen, auswendig lernen müssen.

Und natürlich wird das, was in dem Lehrbuch steht, auch in anderer Form dem Volk vermittelt. Kinder und Teenager stehen dabei besonders im Fokus. Die Partei ist offenbar zu der Erkenntnis gekommen, dass die ideologische Erziehung bei denen, die in den 80er und 90er Jahren geboren wurden, nicht sehr gut funktioniert hat und dass diese Gruppe zu stark von westlichen individualistischen Ideen beeinflusst ist. Diesen "Fehler" will man jetzt vermeiden und versucht, gerade auch sehr junge Menschen von der Parteiideologie zu überzeugen, wobei auch der Nationalismus eine sehr wichtige Rolle spielt.

Dazu dienen etwa Ausflugsaktivitäten von Schülern zu Revolutionsmuseen, oder eine Zeichentrick-Serie, die diese Inhalte der Parteigeschichte auch einem breiteren Publikum vermitteln soll. Und es werden verbindliche Interpretationen festgelegt, an die sich dann auch Kulturproduktionen wie Spielfilme oder Serien halten müssen.

China Museum l Schanghai: Haus der Kommunistischen Partei Chinas, Besucher
Die Keimzelle: Besucher im Museum "Haus der KP Chinas" in Shanghai Bild: Liu Ying/Xinhua/Photoshot/picture alliance

Kontinuierliche Erfolgsgeschichte 

Welches ist die Kernbotschaft der neuen Parteigeschichte?

Kurz gefasst lautet diese Botschaft: Auch wenn es Krisen, Probleme und Fehler in der Geschichte der Partei gegeben hat, war die Partei immer in der Lage, sich wieder neu aufzustellen und China auf den Weg zu Wohlstand und internationaler Anerkennung zu führen, und den Marxismus-Leninismus und die Mao-Zedong-Ideen den jeweiligen Anforderungen der Zeit anzupassen. Und sehr wichtig ist, dass die Kontinuität betont wird, also von der Gründung 1921 bis heute unter der Führung von Xi Jinping, mit dem das Buch endet und unter dessen Führung der chinesische Traum verwirklicht werden soll.

China Kulurrevolution Rote Garde
Tiefere Beschäftigung mit den katastrophale Folgen von Maos Massenmobilisierung in der Kulturrevolution ist nicht mehr erwünschtBild: Getty Images/AFP/J. Vincent

Was ist neu oder anders an der neuen Parteigeschichte?

Die Parteigeschichte wurde schon immer so konstruiert, dass auch die Rückschläge ins Bild passen, weil es ja immer die Partei war und nur die Partei sein kann, die diese Fehlentwicklungen wieder korrigiert hat. Im Vergleich mit früheren Lehrbüchern fällt auf, dass in dem neuen die Teile über die Kulturrevolution und den "Großen Sprung nach vorn" wesentlich kürzer gehalten sind als früher, und es sind ihnen auch keine eigenen Kapitel mehr gewidmet. Nach der offiziellen Interpretation waren das ja die beiden großen Fehler Maos und der Partei. Beim "Großen Sprung nach vorn" wird jetzt in diesem neuen Lehrbuch nur von "wirtschaftlichen Schwierigkeiten" gesprochen, während in dem Lehrbuch zum 90. Jahrestag der Parteigründung noch die Wörter "Hungersnot" und "Hungertote" benutzt wurden. Das heißt, die Präsentation dieser Rückschläge und Fehlentwicklungen ist noch mal deutlich zurückgefahren worden.

Hongkong Eröffnung Museum zum Gedenken an Tiananmen-Massaker
An die gewaltsame Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 erinnert nur das "Museum des 4. Juni" in Hongkong. Es wurde vor kurzem "wegen fehlender Betriebsgenehmigung" geschlossen.Bild: picture-alliance/NurPhoto/V. Yuen

Welche Rolle spielt Tiananmen 1989 in der neuen Parteigeschichte?

Das wird sehr kurz abgehandelt. Und zwar ohne weitere Differenzierung gemäß der Interpretation von 1989, dass es sich um einen konterrevolutionären Aufruhr gehandelt habe, der das sozialistische System abschaffen wollte und dann von der Regierung niedergeschlagen werden musste.

Parallelen zur Sowjetunion

Stichwort Revolution: Die Parteiführung hält ungeachtet des heutigen chinesischen wirtschaftlichen Systems, das in vielerlei Hinsicht kapitalistisch ist, an ihrer revolutionären Tradition fest. In diesem Zusammenhang wird auch der sogenannte "Kampf gegen den historischen Nihilismus" geführt. Was steckt dahinter?

Das ist eine Kampagne, die schon seit mehreren Jahren läuft. Als "historischer Nihilismus" werden Positionen angegriffen, die die Errungenschaften der Partei und der Revolution verneinen und negative Ereignisse angeblich übermäßig betonen. Insbesondere wird der sogenannte "Abschied von der Revolution" ins Visier genommen, also die Sicht mancher Historiker, dass die Idee, alles durch Revolution verändern zu wollen, China seit Anfang des 20. Jahrhunderts auf den Weg der Instabilität und des Chaos geführt habe. Bestandteil der Kampagne ist auch ein Gesetz, das die "Diffamierung der revolutionären Märtyrer" unter Strafe stellt.

200. Geburtstag von Karl Marx
Plakat von Mitte der 70er Jahre mit Mao-Porträt. Aber auch in der "neuen Ära" unter Xi Jinping soll die revolutionäre Tradition hochgehalten werden. Bild: picture-alliance/akg-images

Im Rahmen dieser Kampagne werden oft Parallelen zur Sowjetunion gezogen. Gorbatschow wird kritisiert, weil er Ende der 80er Jahre Debatten zugelassen habe, bei denen die Oktoberrevolution, Lenin, Stalin, die Partei, alles grundsätzlich in Frage gestellt werden konnte. Mit diesem "historischen Nihilismus" hätte Gorbatschow die Legitimationsgrundlage der Sowjetunion untergraben. Und das soll eben in China nicht passieren. In diesem Zusammenhang werden auch Zensurmaßnahmen verstärkt, indem zum Beispiel dazu aufgerufen wird, im Internet "nihilistische Meinungen" zu denunzieren, und entsprechende Beiträge gelöscht werden.

Polizisten führen den Hongkong Pro-Demokratie-Aktivist Avery Ng ab, der ein Buch mit dem Porträt von Chinas Präsidenten Xi Jinping in der Hand hält
Am Image von Ji Xinping als dem Vollender des "chinesischen Traums" darf nicht gekratzt werden - der Hongkonger Aktivist Avery Ng wird abgeführtBild: Kin Cheung/AP/picture alliance

"Chinesischer Traum"

Welche Rolle spielt Xi Jinping in der neuen Parteigeschichte?

Eine sehr prominente. Es werden natürlich auch die Leistungen der Vorgänger erwähnt, auch bei der Entwicklung der Ideologie und ihrer Anpassung an die chinesischen Besonderheiten. Als da sind die "Mao-Zedong-Ideen", die "Deng-Xiaoping-Theorie", die "drei Vertretungen" von Jiang Zemin, das "wissenschaftliche Entwicklungskonzept" von Hu Jintao. Als krönender Abschluss kommen dann die "Xi-Jinping-Ideen der neuen Ära" mit dem "chinesischen Traum" als Dreh- und Angelpunkt, also dem Ziel, China bis 2049 zu einem vollentwickelten Industrieland und einer Weltmacht zu  machen.

Es fällt auf, dass der Teil zu Xi Jinping ungefähr ein Viertel des ganzen Buches einnimmt, obwohl er ja erst acht Jahre an der Macht ist, bei 100 Jahren Parteigeschichte. Es entsteht doch sehr stark der Eindruck, dass Xi Jinping als der wichtigste Führer der Kommunistischen Partei Chinas präsentiert wird.

China 4.  Plenarsitzung 19. Zentralkommitee KP
Mit Xi Jinping als "Kern der Führung" soll es nie wieder Spaltungen geben - so die HoffnungBild: picture-alliance/AP Photo/J. Peng

Was ist der Grund für diese Fixierung auf Xi Jinping?

Ein Grund ist sicher die Furcht vor Interessenkonflikten und Fraktionskämpfen. Letztere haben in der Parteigeschichte zweimal an den Rand des Abgrunds geführt, einmal in der Kulturrevolution und einmal 1989. Und es soll um jeden Preis verhindert werden, dass innerparteiliche Kämpfe, vielleicht noch in Verbindung mit Konflikten in der Bevölkerung, diese explosive Wirkung entfalten können. Und ein starker Führer kann das verhindern, dies scheint die herrschende Vorstellung in der Partei zu sein. Allerdings hatte selbst ein charismatischer Führer wie Mao es nicht geschafft, die damaligen Fraktionskämpfe zu befrieden und zu beenden.

Felix Wemheuer ist Professor für Moderne China-Studien an der Universität zu Köln