Entwicklung neuer Medikamente
26. November 2017Es grenzt fast schon an ein Wunder, dass wir über neue Medikamente verfügen. Die einzelnen Substanzen müssen über eine große Palette verschiedener Eigenschaften verfügen. So muss die Substanz zum richtigen Target gelangen, um dort auch wirken zu können. Diese Targets – oder auch Ziele – sind meistens Rezeptoren oder Enzyme, die eine zentrale Rolle im gesunden, aber auch im erkrankten Körper spielen und sind oft im ganzen Körper zu finden, manchmal aber auch nur in den Zellen bestimmter Organe.
Rezeptoren empfangen Botenstoffe und Hormone aus verschiedenen Teilen in unserem Körper. Beispiel: Beta-Rezeptoren an Herzzellen. Trifft das Hormon Adrenalin auf einen Rezeptor, schlägt unser Herz schneller. Das kann erhebliche Folgen haben. Es kann den Körper des Patienten beispielsweise überanstrengen oder für hohen Blutdruck sorgen.
Für jede Art von Studie gilt: Es muss mindestens ein Kriterium bestimmt werden, an dem die Wirkung der Testsubstanz eindeutig abgelesen werden kann – der sogenannte Endpunkt.
Beispiele: Bei einer Infektion kann der Endpunkt sein, ob die Erkrankung ausgeheilt werden kann. Bei der chronischen Entzündung erforschen die Wissenschaftler, ob es zu Krankheitsschüben kommt und wie oft.
Wirkt die Substanz überhaupt?
An Tieren wird in einem Krankheitsmodell getestet, ob die gewählte Substanz überhaupt eine Wirkung zeigt. So können die Forscher bereits in einem frühen Stadium simulieren, was später auch beim Patienten funktionieren soll.
Als Versuchstiere dienen vor allem Affen, Minischweine, Hunde und Ratten, je nachdem, welche Tierart für die jeweiligen Krankheitsbilder und Medikamententests besonders geeignet scheint und die dann in möglichst vielen Punkten mit menschlichen Merkmalen übereinstimmt. Diese Tierversuche sind gesetzlich vorgeschrieben. "Die andere Voraussetzung ist, dass die Substanz in einem sogenannten Toxizitätsmodell kein auffälliges Spektrum von Nebenwirkungen zeigt", erklärt Dr. Nikolas Gunkel vom Deutschen Krebsforschungszentrum.
Sowohl die toxische Wirkung als auch die gewünschte Wirkung eines Stoffes ist von zwei Faktoren abhängig: "Die Substanz muss im Organismus ausreichend lange und in ausreichend hoher Wirkstoffkonzentration vorhanden sein, um überhaupt einen Effekt zu haben. Die Wirkung darf nicht zu kurz, aber eben auch nicht zu lange anhalten", so der Wissenschaftler. "Alles, was wir zu uns nehmen, scheiden wir wieder aus. Das gilt für Nahrungsmittel genauso wie für Medikamente und für Gifte." Wenn der Körper das Medikament zu schnell und zu effizient wieder ausscheidet oder es metabolisiert, also zerstört, und dann ausscheidet, kann das Medikament seine Wirkung nicht erreichen. All dies formiert unter dem Begriff Pharmakokinetik.
Sind diese ersten Tests positiv verlaufen, beginnt die Klinische Phase I.
Der Mensch kommt ins Spiel
An der Klinischen Phase I nehmen gesunde Erwachsene teil. Bei den Tests geht es um mögliche Nebenwirkungen, nicht um die Hauptwirkung eines vielleicht zukünftigen Medikaments. Es geht darum, die maximal tolerierbare Dosis zu bestimmen. Tolerierbar heißt: Es sind keinerlei Nebenwirkungen festzustellen. "Man möchte die Nebenwirkungen so gering wie möglich halten. Man fängt mit ganz wenig Wirkstoff an und steigert die Gabe langsam, bis es den ersten vielleicht an der Haut juckt oder bis einer der Probanden beispielsweise Ausschlag bekommt", so Gunkel. Etwa 30 bis 40 Freiwillige nehmen an diesen Tests der Phase I teil.
Im nächsten Schritt reduzieren die Forscher die Dosis und kontrollieren, ob die Nebenwirkungen dann verschwinden. Die Versuche in der Phase I seien aber lediglich eine Annäherung, sagt Gunkel. "Man wird nie ausreichend abdecken können, dass es auch überempfindliche Patienten geben wird. Das sind dann Patienten, die das Medikament eigentlich nie einnehmen dürften. Wir wollen natürlich erreichen, dass keine der Testpersonen ernste Nebenwirkungen hat.
In Phase I wird neben der Verträglichkeit auch die Menge an Wirkstoff in Blut, Urin, Stuhl und manchmal auch in Organen gemessen. Dies geschieht in Beziehung zu einem zeitlichen Verlauf. Wie schnell erreicht das Medikament den Spiegel, der für seine Wirkung theoretisch notwendig ist, und wie schnell sinkt die Menge der Substanz wieder ab? Das heißt: Wann muss der Patient das Medikament erneut einnehmen, damit sich genug Wirkstoff im Körper befindet? Die maximal tolerierbare Dosis wird in Phase I bestimmt.
Tests mit erkrankten Personen
An der Klinischen Phase II nehmen Menschen teil, die bereits erkrankt sind. Eine Probandengruppe besteht aus etwa 100 bis 500 Patienten. Vor den Tests gilt es allerdings eine praktische Hürde zu überwinden. Die Frage lautet: In welcher Form sollen die Menschen die Substanz erhalten? Da gibt es verschiedene Möglichkeiten: als Tablette, als Pulver oder als Injektion? Letzteres wäre laut Gunkel die einfachste Lösung, aber: "Das ist relativ teuer, unnötig und aufwändig. Möglicherweise kann man das Medikament ja löffeln, oder als Pflaster aufkleben oder inhalieren. Soll das Medikament in Tablettenform verabreicht werden, müssen diese gepresst werden. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: "Größe und Farbe müssen stimmen und sie müssen natürlich mit dem richtigen Inhaltstoff gefüllt sein. Dann wird die Darreichungsform bestimmt und Placebos hergestellt. Erst dann kann die Klinische Phase II beginnen.
"Beispiel: Herzrhythmus-Störungen. Diese kann man sehr einfach und objektiv etwa durch Pulsmessung bestimmen. Die Patienten bekommen eine Dosis zugeführt, die sich an der Phase I orientiert. Dann werden die Patienten engmaschig kontrolliert, um Verträglichkeit und Wirksamkeit festzustellen und um die Dosierung eventuell weiter anzupassen. "
Der Weg ist frei
Die grundsätzlichen Maßstäbe für die Testabfolge bei der Phase III Studie sind denen der Phase II ähnlich. Aber es ist eine groß angelegte Studie mit tausenden von Teilnehmern. Dabei handelt es sich ausschließlich um erkrankte Personen. Meist ist daran nicht nur Deutschland beteiligt, sondern auch andere Länder. "Man überlegt sich dann: Wo warten die meisten Patienten? Welche Patientengruppen müssen abgedeckt werden, damit die Behörden das Medikament zulassen", so Gunkel.
Ähnlich wie in Phase II erhalten erkrankte Patient das Medikament, das dann wiederum auf Wirkung und auch auf Nebenwirkungen getestet wird. Nicht nur der Wirkstoff muss stimmen. Das Medikament bekommt eine endgültige Farbe, eine endgültige Darreichungsform und Verpackung. Auch das muss von der Zulassungsbehörde erlaubt werden. Das geschieht entweder bei der FDA (Food and Drug Administration) in den USA oder auf europäischer Ebene durch die EMA (European Medicine Agency). Sind all diese Tests und Durchläufe positiv und korrekt abgelaufen, landet das Medikament in der Apotheke. Der gesamte Prozess dauert im Schnitt etwa zehn Jahre.
Weitere Studien
Bei Phase IV haben die Medikamente die Zulassung bereits erhalten, aber die Zulassungsbehörde verlangt weitergehende Studien. Sie dienen dazu, seltene Nebenwirkungen zu finden, solche also die in 1 aus 1000 Patienten auftreten. Für die Pharmafirmen lassen sich die Phase IV-Studien gut zu Marketingzwecken nutzen. An diesen Studien sind sehr viele Kliniken und Krankenhäuser beteiligt sowie Ärzte. Dadurch wird das Medikament vielen Patienten bekannt gemacht, was wiederum die Verkaufszahlen steigert.
Verschiedene Vorgehensweisen
Bei kontrollierten Studien gibt es immer auch eine Placebo-Gruppe. Der Placebo-Effekt betrifft - je nach Erkrankung - bis zu etwa zwanzig Prozent der Patienten. Geht es in beiden Gruppen etwa gleich vielen Patienten besser, ist das Medikament durchgefallen. Eine Ausnahme machen dabei Krebsmedikamente. Bei Krebsstudien entfällt die Gruppe der Placebos und Phase I verläuft in der Krebsforschung nach eigenen Kriterien.
Daran nehmen Patienten teil, für welche die neue Behandlungsmethode potentiell eine Chance darstellt. Das sind in der Regel "austherapierte" Patienten, bei denen keine zugelassene Therapie mehr hilft. Auch bei diesen Patienten wird auf Nebenwirkungen und die Pharmakokinetik geachtet.
Bei randomisierten Studien werden die Teilnehmer nicht nach bestimmten Aspekten ausgewählt. Sie haben unterschiedliche Merkmale. Männer und Frauen gehören dazu, verschiedene Altersgruppen in verschiedenen Krankheitsstadien. Es ist also eine gemischte Teilnehmergruppe.
Bei der Doppel-Blindstudie weiß weder der Arzt oder Wissenschaftler noch der Patient, welche Substanz gegeben wird. Für Phase III ist eine Doppelblindstudie Pflicht. Werden diese Regelungen durchbrochen, etwa ein Umschlag mit wichtigen Informationen unbefugt geöffnet, fällt die Studie komplett durch.