Neue Misstöne zwischen Athen und Berlin
5. Dezember 2020Nikos Dendias ist ein Mann für besondere Aufgaben. 2004 ergatterte er überraschenderweise für die konservative Partei Griechenlands ND einen Parlamentssitz im Wahlkreis Korfu, der eigentlich als Hochburg der sozialistischen PASOK gilt. Wenige Jahre später zerrte er als Justizminister die Neonazi-Partei "Goldene Morgenröte" vor Gericht. Seit 2019 ist der Jurist Griechenlands Außenminister - hart in der Sache, verbindlich im Ton.
So fiel auch seine jüngste Kritik in Richtung Berlin aus: Im Gespräch mit dem EU-Internetportal "Politico" erklärte Dendias am vergangenen Samstag (28.22.2020), er könne nicht verstehen, dass Deutschland nicht bereit sei, ein Waffenembargo gegenüber der Türkei durchzusetzen. "Widersprüchlich" sei das Vorgehen der Berliner Regierung, gab der Chefdiplomat zu Protokoll.
Der Hintergrund: Seit Monaten streiten sich Griechenland und die Türkei um Bodenschätze im östlichen Mittelmeer - und beide hoffen auf Rückendeckung aus Berlin. Unter militärischer Eskorte sind türkische Forschungsschiffe immer wieder im Einsatz vor griechischen Inseln und westlich der Republik Zypern, die von Ankara völkerrechtlich gar nicht anerkannt wird - aus griechischer Sicht eine Provokation und ein eklatanter Rechtsbruch.
Mit Unterstützung von Frankreich und Österreich drängt Athen die EU zu Sanktionen gegen die Türkei. Deutschland scheint eher geneigt, Distanz zu wahren und zwischen den Streitenden zu vermitteln. Ende Oktober forderte Dendias in einem Brief an seinen deutschen Amtskollegen Heiko Maas (SPD) zu einem Rüstungsexportstopp für die Türkei auf - bisher ohne Erfolg. "Widersprüchlich" findet Griechenlands Chefdiplomat diese Zurückhaltung.
Schwierige Vermittlerrolle
Andere griechische Politiker bringen ihr Unbehagen in den letzten Tagen viel deutlicher auf den Punkt: Im Bereich der Außenpolitik sei die deutsche EU-Ratspräsidentschaft auf der ganzen Linie gescheitert, klagt Angelos Syrigos, Abgeordneter der regierenden Konservativen, im TV-Interview. Im konservativ-liberalen Blatt "Kathimerini" meint der renommierte Analyst Kostas Iordanidis, die Türkei wünsche sich eine Vermittlung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Hoffnung, ihr derzeitiges völkerrechtswidriges Vorgehen sei eine gute Ausgangslage für zukünftige Verhandlungen.
Vor einer Appeasement-Politik gegenüber Ankara warnt Kommentator Jorgos Kapopoulos in der linksgerichteten "Zeitung der Redakteure". Für den Politikwissenschaftler Alexandros Despotopoulos steht sogar fest: "Deutschland hat der Türkei den Rücken gestärkt. Wir erleben derzeit ein deutsches Europa, kein europäisches Deutschland".
Sonderling Türkei
Konstantinos Filis, Forschungsdirektor am Athener Institut für Internationale Beziehungen, versucht das Geschehen einzuordnen: "In den letzten Monaten und gerade während der deutschen EU-Präsidentschaft erweckt die Türkei den Eindruck eines Sonderlings. Deutschland, das stärkste Land Europas, hilft ihr dabei oder ist jedenfalls nicht in der Lage, ihre aggressive Politik einzudämmen und eine europäische Lösung auszuhandeln".
Als Vermittler sei Deutschland deshalb gescheitert, klagt Filis im Gespräch mit der DW. Kein Wunder, dass zunehmend kritische Stimmen gegenüber Berlin laut würden. "Es ist schon ein bisschen wie damals, während der Euro-Krise", gibt der Politikwissenschaftler zu bedenken.
Griechenland ist nicht allein
Ein diplomatisches Minenfeld beim anstehenden EU-Gipfel am 10./11.12.2020 erwartet auch Jorgos Tzogopoulos, Dozent für Internationale Beziehungen an der Universität Thrakien. Und auch er vergleicht die derzeitige Lage in Athen mit der gedrückten Stimmung während der Schuldenkrise. Allerdings gäbe es einen entscheidenden Unterschied, so Politikwissenschaftler gegnüber der DW: "Anders als 2010 ist Griechenland nicht allein und isoliert in Europa. Viele andere Länder- allen voran Frankreich - verlangen ebenfalls strengere Maßnahmen gegenüber der Türkei".
Dass die europäischen Staats- und Regierungschefs noch im Dezember Sanktionen gegen Ankara verhängen, glaubt Tzogopoulos nicht. Möglich sei allerdings, dass sie konkrete Sanktionsmöglichkeiten benennen, die zu einem späteren Zeitpunkt greifen. Wichtig sei auf jeden Fall, dass die EU den Draht nach Ankara nicht abreißen lässt.
Kompromiss nicht ausgeschlossen
Interessant findet Tzogopoulos einen weiteren Vermittlungsansatz, der von der deutschen Diplomatie wohl unterstützt wird: Eine multilaterale Gesprächsrunde zum östlichen Mittelmeer, bei der Griechenland, Zypern und die Türkei, aber auch Israel, Ägypten und der Libanon mit einbezogen würden.
Immerhin hat am Montag (30.11.) das türkische Forschungsschiff "Oruc Reis" seinen umstrittenen Einsatz im östlichen Mittelmeer vorläufig beendet. Ein ermutigendes Zeichen? Dadurch würde es einfacher, Fortschritte bei der Konfliktentschärfung zu erzielen, erklärt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel.
Davon ist Politikwissenschaftler Filis allerdings nicht überzeugt. "Das erleben wir doch immer wieder: Kurz vor einer Brüsseler Runde zum Thema Türkei kehrt das Schiff in den Hafen zurück, am Tag danach ist es wieder im Mittelmeer unterwegs", moniert der Athener Analyst.