Schikane gegen religiöse Minderheiten im Iran
5. Februar 2020Vier offiziell anerkannte Religionen gibt es im Iran: außer dem Islam sind dies das Christentum, das Judentum und der Zoroastrismus, die vorherrschende Religion im iranischen Kulturraum bis zum Vordringen des Islams im 7. Jahrhundert.
Weitere Religionsgruppen existieren zwar, wie zum Beispiel die Mandäer (Titelbild), aber sie genießen keinen offiziellen Status und Schutz. Sie werden sogar diskriminiert und - dies betrifft die Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene Bewegung der Bahai - zum Teil brutal verfolgt. Jetzt ist eine neue administrative Maßnahme gegen diese religiösen Minderheiten ergriffen worden. Es geht um die Ausgabepraxis des Personalausweises.
Bislang hatten die Mitglieder der offiziell nicht anerkannten Religionen die Möglichkeit, bei der - obligatorischen - Angabe der Konfession ein Feld mit dem Eintrag "andere (Religion)" anzukreuzen. Dieses Feld wurde nun gestrichen, es bleiben nur die Felder für die vier offiziell zugelassenen Glaubensrichtungen. Die Angehörigen aller anderen Religionsgemeinschaften müssen nun entweder eine andere Religion als ihre tatsächliche angeben oder auf den Ausweis verzichten. Das ist aber nicht praktikabel: Für Anträge auf staatliche Leistungen, für Bankgeschäfte und viele weitere Aktivitäten ist der Ausweis notwendig.
"Bahai werden einen Weg finden"
Der Staat kann sich einen solchen Umgang mit den religiösen Minderheiten erlauben, denn die Zahl ihrer Anhänger ist gering. Insgesamt machen sie höchstens drei Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die bereits erwähnte Gruppe der Bahai hat im Iran 300.000 Mitglieder, die der Mandäer rund 100.000 Angehörige. Die größte Gruppe, die der Yarsanis, umfasst Schätzungen zufolge - offizielle Zahlen gibt es nicht - rund zwei Millionen. Während die Bahai ein Phänomen der Neuzeit sind, entstanden die Glaubensrichtungen der Yarsanis und Mandäer im 14. bzw. 1. Jahrhundert.
Es sei noch nicht klar, wie die Bahai auf die neue Regelung reagieren würden, sagt Sepehr Atefi, im deutschen Exil lebender Angehöriger der Religionsgemeinschaft. "Der iranische Staat drangsaliert uns seit 40 Jahren. Darum werden wir wohl auch dieses Mal einen Weg finden, mit der neuen Entscheidung umzugehen. Zu lügen und eine falsche Konfession anzugeben, ist für uns allerdings kein Weg."
Die Webseite "iranhumanrights" zitiert das Antwortschreiben der Leitung der nationalen Einwohnermeldeämter an einen Bürger, der zu den Bahai gehört. Darin räumt die Behörde dessen Notlage ein. Das Gesetz erkenne weder seine Religion - also die der Bahai - an, noch biete es eine Lösung für die nun entstandene Lage an. "Sie können Ihren Antrag unter den nun bestehenden Bedingungen einreichen", heißt es in dem Schreiben. Mit anderen Worten: Der Empfänger des Schreibens muss entweder falsche Angaben machen oder auf einen Ausweis verzichten.
Gleichbehandlung gemäß "islamischer Kriterien"
Offiziell kennt die Islamische Republik Iran keine Diskriminierung ihrer Bürger. Im Artikel 19 der Verfassung heißt es: "Die Iraner genießen die gleichen Rechte, unabhängig davon, welchem Stamm oder welcher ethnischen Gruppe sie angehören. Hautfarbe, Rasse, Sprache und andere Aspekte sind keine Gründe für Privilegien." Artikel 20 enthält jedoch eine Einschränkung: "Angehörige der Nation sind durch das Gesetz gleichermaßen geschützt. Sie genießen alle Menschenrechte sowie politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, die mit den islamischen Kriterien in Einklang stehen."
Diese Voraussetzung - der Einklang mit den "islamischen Kriterien" - ist offenbar der Hebel, mit denen die Staatsführung gegen die Minderheiten vorgeht. Die jüngste Initiative geht zurück auf den Parlamentsabgeordneten Dschawad Abtahi. Er hatte sich im Januar 2019 an den iranischen Innenminister Abdolresa Rahmani Fasli mit dem Vorschlag gewandt, die Option "andere (Religionen)" aus dem Antragspapier für den Ausweis zu streichen. Sein Argument: Indem der Staat die Option der Zugehörigkeit zu "anderen" Religionen auf dem Ausweis belasse, erkenne er diese praktisch an. Offenbar folgten die zuständigen Behörden dem Argument.
Die neue Regelung für den Personalausweis sei nur die jüngste einer langen Reihe von Maßnahmen, sagt Sepehr Atefi. Seine eigene Familie habe unter dieser Politik gelitten. "1981 wurde mein Großvater wegen seines Glaubens hingerichtet", sagt Atefi. "Natürlich hätte er lügen und behaupten können, er sei kein Bahai. Das hätte ihm das Leben gerettet. Doch das hat er nicht getan." Auch gegen ihn selbst seien die Behörden vorgegangen. "Im Jahr 2008 wollte ich mich an der Universität einschreiben. Zu diesem Zweck musste ich meine Religion angeben. Ich hätte ebenfalls lügen können. Das habe ich aber nicht getan, da es den Überzeugungen der Bahai widerspricht. Also habe ich im Iran nicht studieren können."
Human Rights Watch: Keine Religionsfreiheit im Iran
Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) spricht von einer harten Politik der Behörden gegen die Minderheiten, insbesondere die Bahai. "Das iranische Recht verweigert den Bahai Religionsfreiheit und diskriminiert sie. Die Behörden verhaften und verfolgen weiterhin Angehörige des Bahai-Glaubens in Bezug auf vage nationale Sicherheitsauflagen und schließen oder suspendieren Lizenzen für Unternehmen, deren Eigentümer sie sind", heißt es im Jahresbericht 2020 von HRW.
"Die Regierung diskriminiert auch andere religiöse Minderheiten, einschließlich sunnitischer Muslime, und schränkt die kulturellen und politischen Aktivitäten der aserbaidschanischen, kurdischen, arabischen und belutschischen ethnischen Minderheiten des Landes ein", so HRW weiter.
Hoffnung auf Solidarität
Die Bahai zählen auch die heiligen Schriften anderer Weltreligionen zu ihrem Erbe. Einen eigenen Klerus haben sie nicht, auch gelten beide Geschlechter als gleichberechtigt. All dies, so Atefi, mache die Lehre der Bahai auch für Iraner anderer Religionsgemeinschaften interessant, und eben deshalb gehe die Regierung nun auch auf administrativem Weg gegen die Bahai vor.
Darum hofften die Bahai nun auf die Solidarität aus der iranischen Zivilgesellschaft ebenso wie seitens der Regierungen weltweit, so Atefi. Auf jeden Fall seien die Bahai nun herausgefordert. Lügen würden sie wohl nicht. So bliebe nur noch, entweder massive Nachteile in Kauf zu nehmen oder ins Exil zu gehen. "Ich bin aber nicht sicher, ob das Exil ein angemessener Weg ist", sagt Atefi.