"Neuer Befreiungskrieg für Bangladesch"
4. März 2013Seit Anfang Februar versammeln sich Blogger und Aktivisten auf dem zentralen Shahbag-Platz in Dhaka. Sie fordern Gerechtigkeit für die Opfer von Kriegsverbrechen, die während des neunmonatigen Unabhängigkeitskrieges Bangladeschs von Pakistan 1971 begangen wurden. Bei dem Konflikt kamen nach Schätzungen bis zu drei Millionen Menschen ums Leben.
Zunächst forderten die Demonstranten die Todesstrafe für Abdul Quader Mollah, den stellvertretenden Generalsekretär der islamistischen Partei Jamaat-e-Islami. Am 5. Februar 2013 wurde Mollah zu lebenslanger Haft verurteilt, nachdem er in über 340 Fällen für schuldig befunden wurde, darunter des Mordes, der Vergewaltigung und Folter während des Unabhängigkeitskrieges. Damals kämpfte die Jamaat-e-Islami gegen die Abspaltung Bangladeschs von Pakistan. Dreizehn der damaligen Anführer wird nun der Prozess gemacht.
Ein Sondergericht für Verbrechen während des Befreiungskrieges hatte bereits im Januar einen flüchtigen früheren Jamaat-Führer und Fernsehprediger, Abul Kalam Azad, in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Jetzt, am 28. Februar, wurde das zweite Todesurteil gefällt: Gegen Delwar Hossain Sayedee, Vizepräsident der Jamaat-e-Islami. Daraufhin rief die Partei, die das Kriegsverbrechertribunal für unfair und politisch motiviert hält, zu einem landesweiten Streik auf.
Blogger gegen Islamisten
Dagegen hat sich eine Protestbewegung organisiert, größtenteils auf der Social-Media-Plattform Twitter unter der Bezeichnung "#shahbag". Anfangs konzentrierten sich deren Anhänger auf die Forderung nach der Todesstrafe für Abdul Quader Mollah, doch inzwischen verlangen sie auch das Verbot der Jamaat-e-Islami sowie die Todesstrafe für alle mutmaßlichen Kriegsverbrecher.
"Der Shahbag-Protest richtet sich gegen die Jamaat-e-Islami. Sie ist die Wurzel aller bösen religiösen Strömungen in Bangladesch“, sagt der Blogger und Organisator des Shahbag-Protestes, Asif Mohiuddin, der Deutschen Welle. "Die Hinrichtung von Quader Mollah wäre ein symbolischer Akt. Wenn wir dieses Ziel erreichen, wird es uns einen großen Schritt näher zu einem säkularen Bangladesch bringen."
Todeslisten und Steckbriefe
Mit Gegendemonstranten, die die Shahbag-Bewegung als anti-islamisch bezeichnen, gab es zum Teil heftige Auseinandersetzungen, die mehrere Menschenleben forderten. Landesweit fielen den Unruhen und Übergriffen bisher 37, anderen Quellen zufolge sogar 44 Menschen zum Opfer Die Anhänger der Jamaat-e-Islami fordern ein Ende des Sondergerichts sowie den Tod für die Shahbag-Blogger, denen sie Blasphemie gegen den Islam vorwerfen. Sie führen auf einer sogenannten "Kill-Liste" diejenigen namentlich auf, die hingerichtet werden sollen.
Mitte Februar wurde Blogger Ahmed Rajib Haider in der Nähe seiner Wohnung in Dhaka tot aufgefunden. Er gehörte zu den Organisatoren der Bewegung und war mit einem Messer zerhackt worden. Jamaat-Anhänger hatten ihm vorgeworfen, anti-islamische Mikroblogs veröffentlicht zu haben. Noch ist im Zusammenhang mit diesem Mord niemand festgenommen worden.
Wie Haider ist auch der Name von Asif Mohiuddin, Gewinner des Deutsche Welle Bobs Online Activism Award 2012, auf der sogenannten "Kill-Liste" aufgetaucht. Im Januar lag er nach einem Messerangriff für längere Zeit im Krankenhaus.
"Zeitschriften, die von Jamaat-e-Islami unterstützt werden, haben Artikel über uns und sogar unsere Fotos veröffentlicht", berichtete Mohiuddin der Deutschen Welle. "Unsere Fotos hängen sogar in Moscheen und Religionsschulen.“ Auf der "Kill-Liste" stehen auch die Namen zweier weiterer Bobs-Gewinner.
"Neuer Befreiungskrieg"
Abbas Faiz von Amnesty International sagte der Deutschen Welle, dass die Todesstrafe weder für die Demonstranten noch für verurteilten Kriegsverbrecher verhängt werden sollte: "Ich glaube, diese Massenbewegung könnte Bangladesch zu einer besseren Zukunft führen. Aber der erste Schritt der Bewegung, die Forderung nach der Todesstrafe, wird sie nicht in die Zukunft führen, die sie sich für ihr Land wünscht". Gerechtigkeit für alle Opfer von Kriegsverbrechen sei wichtig, aber ebenso, dass sich die Justiz an Menschenrechtsprinzipien halte.
Die Shahbag-Aktivisten, so Mohiuddin, hätten genug von fehlender Transparenz in Politik und Justiz. Ein System, das es mutmaßlichen Kriegsverbrechern erlaube, hohe politische Ämter zu bekleiden, sei nicht tragbar. "Das gesamte politische und ökonomische System ist durch und durch korrupt, die Minister ebenso wie alle anderen politischen Führer im Land.“ Mohiuddin sieht in der Shahbag-Bewegung nichts weniger als einen "neuen Befreiungskrieg für Bangladesch, eine Befreiung vom Fundamentalismus."