Deutsches Gruseln
13. Mai 2007Wie schützen wir das Klima? Diese Frage steht derzeit im Zentrum der deutschen Umweltschutzdebatte. Laut aktuellen Studien könnte Deutschland durch die Einführung eines Tempolimits von 120 Stundenkilometern den gesamten Kohlendioxid-Ausstoß im Bereich Verkehr um drei Prozent senken und damit dem Klimawandel entgegenwirken. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace stellte Verkehrsschilder mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 Stundenkilometern an bislang frei befahrbaren Streckenabschnitten der Autobahn auf und forderte die Einführung eines solchen Tempolimits.
Nicht nur der Stopp der Raserei - so verschiedenen Studien - würde das Klima schonen, die indirekten Effekte wären sogar noch wirksamer: Laut Bundesumweltamt könnten 30 Prozent Kohlendioxid durch die Produktion leichterer Autos eingespart werden. Denn wenn sowieso nicht schneller gefahren werden darf, werden langfristig auch keine Autos mehr mit so hohem Spritverbrauch gebaut.
Durch die Führungsrolle der deutschen Automobilindustrie im Exporthandel - vor allem bei großen Autos - könnte sich dies auch weltweit bei Kohlendioxid-Einsparungen auswirken, sagt Werner Reh vom Bund für Umwelt- und Naturschutz.
Die Macht der Automobil-Clubs
Wer verstehen will, warum das Thema in Deutschland weiterhin heftig diskutiert wird, während in allen übrigen großen EU-Ländern ein Tempolimit schon lange eingeführt ist, muss über 30 Jahre zurückschauen. Im Zuge der Ölkrise 1973/74 beschloss die deutsche Regierung damals, an Sonntagen das Autofahren auf Autobahnen vorübergehend grundsätzlich zu verbieten. Auch eine generelle Höchstgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern wurde diskutiert.
Schon damals war insbesondere der Allgemeine Deutsche Automobilclub (ADAC) gegen diese Maßnahmen. Mit 15 Millionen Mitgliedern ist er der weltweit drittgrößte Automobilklub - in Europa sogar der größte. Er vertritt die Interessen der Autofahrer in Deutschland. Mit der Kampagne "Freie Fahrt für freie Bürger" protestierte der ADAC damals heftig gegen ein generelles Tempolimit, das letztlich auch niemals eingeführt wurde. Unterstützung erhält er seit jeher in dieser Frage auch von den großen deutschen Automobilherstellern wie Mercedes, BMW und Volkswagen, die zu Deutschlands größten Arbeitgebern zählen.
Auch in der aktuellen Debatte kritisieren die Automobilklubs ein Tempolimit als verhältnismäßig unwirksam. Sie plädieren stattdessen für vermehrten Einsatz von Verkehrsleitsystemen zur Stauvermeidung und betrachten die möglichen drei Prozent Kohlendioxid-Reduzierungen als nicht relevant. Auch indirekte Effekte seien nicht belegbar, sagt Otto Saalmann vom ADAC: "Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass die Autoindustrie dadurch wirklich angehalten würde, leistungsärmere Auto zu bauen. Man muss nur überlegen, wie viele Autos in den Export gehen - und das auch in Länder mit teilweise sehr striktem Tempolimit." Saalmann schlägt stattdessen vor, die Kfz-Steuer umzulegen, weg vom Hubraum auf eine reine Kohlendioxid-Steuer.
Das Kartell bröckelt
In Deutschland wird mit dem Hubraum derzeit die Größe des Autos besteuert wird, obwohl auch kleinere Autos durchaus einen stärkeren Kohlendioxid-Ausstoß aufweisen können. In einem solchen Fall würde die Kfz-Steuer zurzeit trotz hoher Umweltbelastung geringer ausfallen als bei einem umweltfreundlichen, aber großen Auto.
Zudem verweisen Kritiker des Tempolimits darauf, dass bereits 43 Prozent des Autobahnnetzes völlig oder zeitweise Geschwindigkeitsbeschränkungen unterliegen. Auch das Argument einer steigenden Verkehrssicherheit - 70 Prozent der tödlichen Unfälle ereignen sich auf Strecken ohne Tempolimit - weisen sie ab: Deutschland läge in Unfallstatistiken deutlich vor EU-Nachbarn.
Dennoch: In einer aktuellen Forsa-Umfrage sprachen sich fast zwei Drittel der deutschen Bevölkerung für ein generelles Tempolimit aus. Ein baldiges Ende der Diskussion ist also derzeit noch nicht in Sicht. (kas)