Korruptionsskandal in Südkorea
21. April 2015Seit nicht einmal einem Vierteljahr ist der neue südkoreanische Regierungschef im Amt. Im Februar hatte Lee Wan-Koo die Geschäfte von seinem Vorgänger übernommen und kurz darauf eine groß angelegte Anti-Korruptionskampagne der Regierung angekündigt. Doch jetzt steht er politisch so sehr unter Druck, dass er seinen Posten niederlegen will. Er habe Staatspräsidentin Park Geun-Hye über seine Rücktrittsabsichten informiert, teilte eine Sprecherin des Präsidentenamtes in Seoul am Dienstag (21.04.2015) mit.
Konkret wird dem jetzigen Regierungschef und früheren Fraktionsvorsitzenden der konservativen Regierungspartei Saenuri vorgeworfen, vor zwei Jahren umgerechnet knapp 26.000 Euro an Wahlkampfspenden entgegengenommen zu haben. Derjenige, der ihm das vorwirft, ist auch gleichzeitig der, von dem das Geld geflossen sein soll: ein ehemaliger Unternehmer und früherer Abgeordneter der Saenuri-Partei. Er hatte sich am 9. April das Leben genommen. "Gegen diesen Mann lief ein Ermittlungsverfahren, weil er angeblich Regierungsfonds veruntreut haben soll", erklärt Norbert Eschborn, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul. Der Tote hinterließ einen Zettel mit Namen von Politikern, die von ihm illegale Wahlkampfspenden bekommen haben sollen, darunter auch Premierminister Lee Wan-Koo.
Tief verwurzelte Korruption
Acht Politiker stehen Medienberichten zufolge auf dieser Liste. "Den genauen Umfang des Skandals werden wir erst beurteilen können, wenn die genauen Namen bekannt sind. Aber man kann davon ausgehen, dass es sich um Personen handelt, die in der südkoreanischen Politik einen gewissen Rang haben", meint Eschborn. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit rechnet er damit, dass etwas dran ist an den Vorwürfen.
Traditionell ist Korruption weit verbreitet in Südkorea, auch im öffentlichen Sektor. "Es ist in weiten Teilen Asiens noch immer so, dass es ein Phänomen der 'vorausschauenden Dankbarkeit' gibt. Man zeigt sich gegenüber jemandem auch dann schon erkenntlich, wenn der noch gar nicht im Amt ist, von dem man aber glaubt, dass er eines Tages ein hohes Amt innehaben wird."
Deutliche Worte in den Zeitungen
Die südkoreanischen Medien sind voll mit Artikeln und Kommentaren zum jüngsten Korruptionsskandal. Dort wird nicht mit Kritik an der Regierung gespart. Die Tageszeitung "Dong-A-Ilbo" beispielsweise fordert, dass künftig Angaben zu Spendengeldern an Abgeordnete veröffentlicht werden, auch Großspenden an Parteien oder Wahlkampfkosten sollten transparent im Internet nachlesbar sein.
Für den Kommentator der "Chosun Ilbo" machen die Ereignisse seit dem Selbstmord des Unternehmers "einen grundlegenden Mangel an Ehrlichkeit deutlich, der südkoreanische Spitzenpolitiker charakterisiert". Die südkoreanische Öffentlichkeit erwarte von ihren Politikern nicht, dass sie blitzsauber seien. "Aber sie fordern ein Mindestmaß an Anstand. Die Politiker ihrerseits streiten wie Kinder alles ab, solange, bis sie mit konkreten Vorwürfen konfrontiert sind. Ein solches Benehmen macht die Sache nur schlimmer."
Schwindendes Vertrauen in die politischen Eliten
Die Menschen in Südkorea seien es leid, im Fernsehen ständig neue Meldungen über Korruptionsskandale zu sehen oder in der Zeitung darüber zu lesen. Das ist der Eindruck, den Norbert Eschborn aus Gesprächen mit der Bevölkerung gewonnen hat. Er spricht von einem "Vertrauensproblem der breiten Öffentlichkeit gegenüber der politischen Klasse". Vor allem bei jüngeren Menschen herrsche Unverständnis und Befremden. Insgesamt würden im Zuge der neuen Korruptionsaffäre unangenehme Fragen gestellt: Was ist los mit der politischen Elite? Was passiert, bevor ein Kandidat in ein politisches Amt berufen wird? Gibt es niemanden, der seinen Hintergrund ausreichend durchleuchtet? Und wie ist es möglich, dass Vergehen wie im Fall von Premier Lee über zwei Jahre lang unentdeckt bleiben?
Offenbar ist es schwierig, geeignete Kandidaten zu finden. Nach dem Rücktritt seines Amtsvorgängers, der die politische Verantwortung für den Untergang der Fähre Sewol vor gut einem Jahr übernommen und seinen Posten zur Verfügung gestellt hatte, war Lee eigentlich nicht der Wunschkandidat von Präsidentin Park gewesen. Doch die Suche nach einem geeigneten Nachfolger zog sich über Monate hin und gestaltete sich schwierig. Das Repertoire an geeigneten Kandidaten sei dünn, erklärt Norbert Eschborn von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul. "Das hat sich im letzten Jahr deutlich gezeigt, als die Staatspräsidentin auf der Suche nach einem neuen Premierminister war. Damals sind Kandidaten auch deshalb durchgefallen, weil sie beispielsweise in einem Ausmaß in Spekulationsgeschäfte verstrickt waren, das man schon als anrüchig bezeichnen kann."
Präsidentin außer Landes
Park Geun-Hye selbst verfolgte die jüngsten Entwicklungen in ihrer Heimat nur aus der Ferne und zog es vor, ihren Staatsbesuch in Lateinamerika trotz der aktuellen Ereignisse fortzuführen. Nach Ansicht von Norbert Eschborn ein Fehler. Der neue Skandal werde Park Geun-Hye nach der geballten Kritik an ihrem Krisenmanagement im Zusammenhang mit der Sewol-Katastrophe weiter unter Druck setzen, meint Norbert Eschborn. Denn die Tatsache, dass es vermutlich bald den dritten Premierminister innerhalb eines Jahres geben wird, würde den Eindruck der Führungsschwäche erwecken. "Wer möchte dieses Amt denn jetzt noch haben? Es ist ein Schleudersitz geworden." Park Geun-Hye muss dem Rücktrittsgesuch ihres Regierungschefs noch zustimmen. Das wird sie voraussichtlich auch tun. Dann kann die schwierige Suche nach einem passenden Nachfolger beginnen.