Neuer Lockdown - neue Sorgen bei der Wirtschaft
29. Oktober 2020Es war ein verzweifelter Hilferuf - der Brief, den 30 führende Vertreter der deutschen Gastronomie-Branche Anfang der Woche an Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Bundesländer geschrieben haben. Eine erneute Schließung von Restaurants sei unverhältnismäßig und falsch. Man arbeite bereits unter strengsten Auflagen und in der zweiten Welle sei "die Gastronomie nie ein Infektionsherd gewesen". Würden die Menschen aus den "sicheren Restaurants" in das private Umfeld verdrängt werden, würde genau das Gegenteil erreicht - denn dort sei der eigentliche "Hotspot" für Infektionen.
Unterstützung kam vom Präsidenten des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), Guido Zöllick. "Es kann nicht sein, dass wir wieder die Leidtragenden sind", sagte er vor den Beratungen am Mittwoch. Einem Drittel der 245.000 Betriebe drohe bei einer erneuten Schließung das aus. "Die politisch Verantwortlichen" müssten "schnell und vollumfänglich für den Schaden aufkommen".
Ähnlich dramatisch sieht es in der Reisebranche aus. Der Deutsche Reiseverband rechnet für den Zeitraum von März bis zum Jahresende mit einem Umsatzeinbruch von mehr als 28 Milliarden Euro bei Reiseveranstaltern und Reisebüros - ein minus von 80 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Todesstoß für zehntausende Unternehmen?
Um auf ihre Lage aufmerksam zu machen, gab es am Mittwoch (28.10.) eine große Kundgebung in Berlin, gemeinsam mit der Veranstaltungswirtschaft, die ebenfalls mit dem Rücken zur Wand steht. Die Branche, mit rund 1,5 Millionen Beschäftigten und einem Gesamtumsatz von 130 Milliarden Euro im Jahr, ist der sechstgrößte Wirtschaftszweig des Landes.
Sehr deutlich daher auch die Warnung des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft: "Der überwiegende Teil des Mittelstandes verkraftet keinen weiteren Lockdown. Für zehntausende Unternehmen käme dies einem Todesstoß gleich." Auch Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer rief dazu auf, weitere volkswirtschaftliche Schäden zu vermeiden. Gerade in Produktions- und Dienstleistungsunternehmen seien "vorbildliche Hygienekonzepte" entwickelt worden. Vom Verband der Familienunternehmer hieß es unisono, der Schwerpunkt müsse auf den Bereich des Privatlebens gelegt werden, nicht in den der Betriebe. Der erste Shutdown, so Verbandpräsident Reinhold von Eben-Worleé, habe trotz Kurzarbeit rund eine Million Arbeitsplätze gekostet und mehrere 100 Milliarden Euro.
Umsatzausfälle sollen größtenteils ersetzt werden
Geholfen hat das alles wenig, ein neuerlicher Lockdown wird kommen. Allerdings trifft der vor allem den privaten Bereich und nicht so stark die Wirtschaft wie im vergangenen Frühjahr. Denn in Industrie, Handwerk und im Mittelstand solle ein sicheres Arbeiten umfassend ermöglicht werden, hieß es nach den Beratungen der Bundeskanzlerin mit den Länderchefs. Firmen, die besonders von der Krise und den Beschränkungen getroffen sind, will der Bundesfinanzminister bis zu 75 Prozent der Umsatzausfälle erstatten. Vergleichsmaßstab sind die Umsätze des Vorjahresmonats. Dafür macht Olaf Scholz bis zu zehn Milliarden Euro locker.
Das Geld könnte aus dem bereits existierenden Topf für Überbrückungshilfen kommen. Von den dafür vorgesehen 25 Milliarden Euro wurden bislang erst rund zwei Milliarden Euro abgerufen. Der Bund plant, die Überbrückungshilfen, Zuschüsse für kleine und mittlere Firmen bis Mitte 2021 zu verlängern. Ursprünglich sollten sie zum Jahresende auslaufen. Außerdem soll bei den Bedingungen für Hilfen etwa für die schwer belastete Kultur- und Veranstaltungswirtschaft nachgebessert werden. Wirtschaftsminister Peter Altmaier sagte am Mittwoch im Bundestag, im Falle neuer und massiver Beschränkungen wären zusätzliche Hilfen nötig, die schnell und unbürokratisch fließen sollten. Die Politik hatte bereits milliardenschwere Hilfsprogramme beschlossen, um Firmen und Jobs zu schützen. Dafür hat der Bund immense neue Schulden aufgenommen.
Aufschwung dürfte stark abgebremst werden
Führende deutsche Wirtschaftsforscher sehen die beschlossenen Maßnahmen als vorerst vernünftige Balance zwischen dringend notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und dem Weiterlaufen wichtiger Wirtschaftszweige. "Es kann keine wirtschaftliche Erholung geben, wenn die Pandemie nicht unter Kontrolle ist", zitiert das Handelsblatt den Chef des Münchener Ifo-Instituts, Clemens Fuest. Es bestehe kein Konflikt zwischen gesundheits- und wirtschaftspolitischen Anliegen.
Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW), sagte, "der größte Schaden für die deutsche Wirtschaft entsteht durch eine starke, lang anhaltende zweite Infektionswelle, nicht durch gezielte Beschränkungen des täglichen Lebens." Die jetzt beschlossenen Maßnahmen dürften zwar "einige Branchen hart treffen, die Gesamtwirtschaft aber schützen".
Dennoch gefährdet die zweite Corona-Welle den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland. Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) sagt durch den befristeten Teil-Lockdown für den Monat November deutliche wirtschaftliche Einbußen für die deutsche Volkswirtschaft voraus. Die Schäden würden aber kleiner ausfallen, als in den Monaten März und April. In einer auf Twitter verbreiteten Stellungnahme heißt es weiter: "Anders als bisher angenommen, wird vermutlich das Wachstum im vierten Quarral 2020 im Vergleich zum dritten Quartal zum Stillstand kommen; ein Rückgang ist möglich, hängt aber davon ab, ob es zu privater Konsumzurückhaltung kommt."
"Die Wirtschaft lässt sich nicht wie eine Lampe ein- und abschalten, ohne dass es zu Schäden kommt", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Die von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen dürften das Wirtschaftswachstum im vierten Quartal stark abbremsen. Bestenfalls sei mit einer schwarzen Null gegenüber dem Vorquartal zu rechnen. Zwar seien Industrie und Handel nicht direkt betroffen, dürften aber trotzdem leiden, weil die allgemeine Unsicherheit steige und die Anti-Corona-Maßnahmen im Ausland ebenfalls verschärft würden.