Neuer Präsident, alte Probleme
17. November 2020Ein erfahrener politischer Stratege, Berater der Vereinten Nationen, Autor von 25 Büchern. Ein Wirtschaftsingenieur, der schon mal bei der Weltbank gearbeitet hat. Und ein Mann, den nichts aus der Ruhe bringen kann, vielleicht weil er 1996 zu den Geiseln der peruanischen Guerilla MRTA in der japanischen Botschaft in Lima gehörte.
Francisco Sagasti, der neue Präsident Perus, hat einen beeindruckenden Lebenslauf vorzuweisen und ist vielleicht die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, um den Übergang bis zu den nächsten Wahlen im April 2021 zu moderieren.
Doch man tritt dem 76-jährigen Mitte-Rechts-Politiker mit österreichischen Wurzeln nicht zu nahe, wenn man sagt, dass das entscheidende Kriterium für seine Wahl nach den Protesten auf der Straße wohl ein anderes war: Sagasti steht nicht im Verdacht, korrupt zu sein. Und das bedeutet für einen Politiker im Andenstaat schon eine ganze Menge.
Politik in Peru komplett von Korruption infiziert
Die letzten sechs Präsidenten Perus hatten Dreck am Stecken, wurden der Korruption beschuldigt, angeklagt oder sogar verhaftet: Manuel Merino, Martín Vizcarra, Pedro Pablo Kuczynski, Ollanta Humala, Alan García und Alejandro Toledo - Korruption gehört zur peruanischen Politik wie das Nationalgetränk Pisco zu jeder guten Feier.
"In Peru hat sich die Korruption überall hinein gefressen, sie betrifft alle Bereiche der Gesellschaft und des Lebens", sagt Mayte Dongo, Historikerin und Politikwissenschaftlerin an der Katholischen Universität in Peru, "und genau deswegen sitzen ja auch so viele korrupte Abgeordnete im Parlament. Weil es einfach ein Spiegelbild der Gesellschaft ist."
Gegen sage und schreibe 68 der 130 Parlamentarier wird strafrechtlich ermittelt. Und nichts verdeutlicht besser, was einen Großteil der politischen Kaste umtreibt, als dieser eine Satz der Abgeordneten Esther Saavedra vom September 2019: "Yo estoy aquí por mi plata", "Ich bin hier wegen meines Geldes".
Protestwelle schwappt Manuel Merino aus dem Amt
"Im Parlament sitzen nicht etwa diejenigen, die am meisten die Interessen des Volkes im Blick haben, sondern die, die am meisten für die vordersten Listenplätze gezahlt haben", lautet die ernüchternde Diagnose von Dongo. Die Bevölkerung hat davon buchstäblich die Nase voll, die ganze Wut entlud sich bei den Demonstrationen gegen Manuel Merino, die zwei junge Protestierende mit dem Leben bezahlten.
Sagastis konservativer Vorgänger hatte bisher noch bei jeder seiner Stationen in der Politik Geld beiseite geschafft. Und war sich gleichzeitig nicht zu schade, in seiner Abschiedsrede zu schwadronieren, korrupte Politiker dürften nicht Peru repräsentieren.
Die Wahrheit ist: neben den vielen gekauften Politikern sitzt mit Daniel Urresti sogar ein ultrarechter Abgeordneter im Parlament, der für den Mord an einem Journalisten verantwortlich sein soll und deswegen vor Gericht steht.
Kleinstpartei mit neun Sitzen stellt den Präsidenten
Auch Melissa Navarro hat genug von der Korruption in ihrem Land. Die Politikwissenschaftlerin ist sich sicher, dass Francisco Sagasti bei dem Thema Ernst machen wird. "Das ist eine fantastische Nachricht, wir haben es geschafft, ich bin sehr gerührt. Heute schreiben wir die Geschichte der Unabhängigkeit Perus 200 Jahre später neu", bricht es aus Navarro am Telefon heraus.
Die Politologin hat keinen ganz neutralen Blick auf die jüngsten Ereignisse. Seit kurzem berät sie die Fraktion der Partei "Morado" (violett), die Partei Sagastis. Der neue Präsident hat das Kunststück fertig gebracht, mit dem Rückhalt eines Bündnisses aufzusteigen, dass seit gerade einmal drei Jahren existiert.
Und noch mehr als das: Im 130-köpfigen Parlament hat die violette Partei gerade einmal neun Sitze. Es ist also ein bisschen so, als würde FDP-Chef Christian Lindner in Deutschland plötzlich Übergangskanzler werden.
Die merkwürdige Entmachtung von Martín Vizcarra
Dies zeigt auch, auf welch schmalen Grat Sagasti wandelt, der sich im zersplitterten Parlament jedes Mal neue Mehrheiten suchen muss. Und der - einer antiquierten Verfassungsklausel sei dank - immer vor der Gefahr steht, aus dem Amt geschubst zu werden, wenn dem Parlament seine Politik einmal nicht passt. Es gibt wenige Flecken auf der Erde, wo das Abgeordnetenhaus so mächtig und der Präsident so machtlos ist wie in Peru.
Bestes Beispiel: Martín Vizcarra. Der beliebte Ex-Präsident, der selbst im Verdacht steht, als Gouverneur der Region Moquegua zwischen 2011 und 2014 Bestechungsgelder von einer Baufirma in Höhe mehr als einer halben Million Euro angenommen zu haben, sagte der Korruption in Peru den Kampf an.
Vizcarra wollte die parlamentarische Immunität aufheben und die Wiederwahl von Abgeordneten erschweren. Zwei Drittel der Parlamentarier, die wohl ihre Interessen gefährdet sahen, setzten daraufhin seinen Rücktritt durch - Sagasti war übrigens strikt dagegen. "Natürlich soll sich auch Vizcarra bereichert haben, trotzdem spricht alles dafür, dass das eine konzertierte Aktion einiger Abgeordneter war, um ihn loszuwerden", sagt Navarro.
Auf Francisco Sagasti wartet also eine wahre Mammutaufgabe. Angesprochen auf das, was in Sachen Korruptionsbekämpfung jetzt auf den neuen Präsidenten zukommt, hatte eine Abgeordnete direkt einen neuen Spitznamen für Sagasti parat: Don Quijote. Der Mann, der gegen Windmühlen kämpft.